Katzmann und die Dämonen des Krieges. Uwe Schimunek

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Katzmann und die Dämonen des Krieges - Uwe Schimunek


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      Mokka, Zeitung, Zigarette - Heinz Eggebrecht genoss seinen Luxus. Der Tisch stand direkt am offenen Fenster, und viel Platz bis zur Tür in seinem Rücken blieb nicht. Aber er konnte immerhin auf die Zeitzer Straße schauen.

      Auf das möblierte Zimmer musste er einen großen Teil seines Lehrlingslohnes verwenden, dafür konnte Heinz Eggebrecht in der Südvorstadt wohnen, zwischen all den Handwerkern, kleinen Ladenbesitzern, Lehrern - dem Leipziger Mittelstand.

      Nicht wenige seiner Kollegen bei der LVZ wohnten in den Mietskasernen im Osten der Stadt. Vielleicht, weil sie es so nicht weit bis zur Redaktion in der Tauchaer Straße hatten, sicher aber auch aus Überzeugung. Dabei waren viele von ihnen durchaus bürgerlicher Herkunft. Zwar kam nicht jeder aus so gutem Hause wie Katzmann, aber das Gymnasium hatten sie fast alle besucht.

      Heinz Eggebrecht trank einen Schluck Mokka. Diese Delikatesse verdankte er seiner Stelle bei der Zeitung. Die Anzeige für den Kolonialwarenhändler war ihm tatsächlich gut gelungen, deshalb hatte Heinz Eggebrecht auch kein schlechtes Gewissen, das Päckchen mit dem schwarzen Mokkapulver anzunehmen. Auch die feinen englischen Zigaretten kamen von einem Kunden. Die Kollegen sahen die kleinen Präsente zwar nicht gern, sagten aber auch nichts. Sicher werteten sie seinen jämmerlichen Lehrlingslohn als mildernden Umstand.

      Das Getränk lag auf der Zunge wie ein winziger Teich, Bitterkeit breitete sich im Rachen aus, belebte den Gaumen. Herrlich! Noch ein Zug von der Zigarette. Ein perfekter Samstagvormittag.

      Unten auf der Straße kauften die Leute Waren ein. Hier oben klangen die Menschen, als schnatterten Enten im Stimmbruch. Gelegentlich klang eine Türglocke von einem der zahllosen Ladengeschäfte in der Zeitzer Straße herauf.

      Heinz Eggebrecht nahm die Morgenausgabe der Leipziger Neuesten Nachrichten und las. Er begann mit einem kurzen Artikel über Die Aussichten der Frühjahrsmesse, ganz oben auf der Titelseite: Über 11 500 Aussteller seien bereits angemeldet, 40 000 Einkäufer hätten sich beim Messeamt eingetragen. Es schien also wieder aufwärts zu gehen, mit der Wirtschaft, mit dem Leben.

      Die Berichte aus der lokalen Wirtschaft las Heinz Eggebrecht in den Neuesten Nachrichten gerne. Die endlosen Börsenberichte interessierten ihn mangels Vermögen nicht, die Hinweise auf die Versammlungen der Deutschnationalen ignorierte er. Die Zeitung bekam er von der Vermieterin kostenlos, wenn diese sie gelesen hatte. Er schaute in das großbürgerliche Blatt aber auch, um zu wissen, was die anderen so trieben.

      Zum Beispiel ging es um die Auslieferung der deutschen Kriegsverbrecher an die Ententestaaten. Die Neuesten Nachrichten behandelten dieses Thema seit Wochen fast täglich auf dem Titel. Auch heute berichteten sie, dass der Leipziger Studentenausschuss gestern auf einer Versammlung gegen die Auslieferung protestiert hatte. Es gehe um die Ehre Deutschlands, wurde Rektor Brandenburg zitiert.

      Heinz Eggebrecht dachte an den Krieg, sah die von deutschen Soldaten gehängten Zivilisten vor seinem inneren Auge, wie sie an den Galgen zappelten. Die Schreie vor den Erschießungen, schrill wie berstendes Glas. Die Leichenberge. Der Gestank …

      Ehre ? Ekel spürte er. Aber waren die Sieger tatsächlich besser, oder konnten sie nur die Moralischen spielen, weil sie den Krieg gewonnen hatten?

      Schnell blätterte er weiter, während er an der Zigarette zog. Auf Seite drei fand er einen kurzen Bericht über Stresemann und den Wiederaufbau Deutschlands. Stresemanns Rede vor der Leipziger Ortsgruppe des Industriellenverbandes wurde zitiert: Sozialisierung sei gefährlich, Politik solle aus den Betrieben herausgehalten werden - lauter Thesen, die in der LVZ sicher heftig bekämpft würden, könnte sie erscheinen. Am Ende wurde Stresemann optimistisch: Die Arbeitslust im Lande sei wieder vorhanden. Auch der Wunsch nach Autorität.

      Ersteres konnte Heinz Eggebrecht nachvollziehen, von Autorität allerdings hatte er seit dem Krieg die Nase gestrichen voll.

      Schnell umblättern. Ein Schluck aus der Tasse. Er trank so hastig, dass er kurz husten musste. Da, die Meldungen aus Leipzig…

      Das Wetter sollte weiter mild bleiben, gelegentlicher Regen. Heinz Eggebrecht überflog die Seite, blieb hängen an einer kurzen Meldung:

      Großhändler im Bureau erschossen

       Am Freitagmittag wurde der Unternehmer August Preßburg in seinem Bureau tot aufgefunden. Wie die Polizei mitteilte, ist der Inhaber des Großhandels Preßburg erschossen worden. Die Sekretärin habe den Leichnam nach der Mittagspause entdeckt. Vom Täter fehlt bislang jede Spur.

      Heinz Eggebrecht legte die Zeitung auf den Tisch. Er blies einen Rauchkringel zum offenen Fenster hinaus. Den Namen Preßburg hatte er schon mal gehört. Aber wo?

      Der letzte Schluck Mokka aus der Tasse half auch nicht. Nein, spontan fiel ihm nichts ein zu dem Namen. Das musste er in der Redaktion klären.

      Die Kartoffelsuppe dampfte im Kochtopf und roch nach Kindheit. Die zeitige Samstagsschicht steckte Liesbeth Weymann noch in den Knochen, und sie war hungrig. Im Betrieb galt der Achtstundentag. Die Arbeiter hatten sich das Mehr an Wochenende durch die frühe Schicht erkämpft, deshalb musste Familie Weymann schon um fünf Uhr aufstehen. Und heute auch noch mit Alptraum.

      Sie stellte Teller auf den viel zu großen Tisch. Früher hatte die Familie kaum in die Küche gepasst. Doch Albert und Karl, die beiden Brüder, waren im Krieg geblieben, und nun lebte die Familie zu dritt in der Wohnung. Liesbeth Weymann hatte ihr eigenes Zimmer, und drei Löffel reichten für das Weymann’sche Mittagsmahl.

      Käthe Weymann rührte mit einer Holzkelle im Topf. Sie hatte sich in den letzten Jahren so sehr verändert, dass Lisbeth Weymann angst und bange wurde. Mama sah aus wie eine alte Frau: lief gebeugt wie eine Oma, die Haare ergraut, tiefe Falten auf Stirn und Wangen.

      Ludwig Weymann trat in die Essküche. Auch bei ihm hatten sich graue Strähnen an die Schläfen gemogelt. Doch der Vater strotzte vor Kraft, schien zu blühen. Er schlang den Arm um die Taille seiner Frau, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Schopf, beugte seine Nase über den Topf. «Hm, wie das riecht …»

      Käthe Weymann kicherte. Sie wuchtete mit einer Drehung aus der Hüfte den Topf auf den Esstisch. Durch ihr Lächeln wirkte sie gleich um Jahre jünger, fand Liesbeth Weymann. Das freute sie, auch wenn die Zärtlichkeiten ihrer Eltern ihr unangenehm waren - sie kam sich dabei immer so vor, als würde sie im Schlafzimmerschrank der Eltern durchs Schlüsselloch linsen.

      Die Mutter verteilte die Suppe und faltete die Hände zum Gebet, der Vater verdrehte die Augen. Liesbeth Weymann senkte den Blick, bevor Vater sie ansehen konnte. Das Ritual vorm gemeinsamen Essen.

      Frau Weymann seufzte leise.

      «Nun aber Mahlzeit!» Ludwig Weymann hielt den Löffel aufrecht in der Hand.

      Liesbeth Weymann murmelte: «Guten Appetit!» Sie begannen zu essen. Die Suppe war cremig. Seit Liesbeth und der Vater Geld nach Hause brachten, konnte Mama mehr Kartoffeln in die Suppe schnippeln. Da war schon wieder der Gedanke an das Bureau. An Preßburgs Leiche …

      «Wo hat der Bastard eigentlich das Loch im Kopf gehabt?» Der Vater schien auch nicht von dem Mord loszukommen.

      «So spricht man nicht über Tote!», mahnte Mama.

      «Vom Sterben wird so einer auch nicht besser», brummte Ludwig Weymann, aß einen Löffel Suppe und blickte zu seiner Tochter.

      Ach ja, die Frage nach dem Loch im Kopf. «Mitten auf der Stirn.» Auch Liesbeth Weymann aß etwas von der Suppe. Sie zögerte. «Und Herr Preßburg war immer nett zu mir. Urteile nicht zu hart über ihn, Vati!» Sie hoffte, dass der Kosename seinen Zorn milderte.

      «Lieschen, er zahlt Hungerlöhne, und beim kleinsten Fehler gibt es noch Abzüge. Die Überstunden werden auch nicht bezahlt. Er ist ein Ausbeuter!»

      «Aber Ludwig, er ist doch tot. Lass ihn ruhen!»

      «Außerdem war er ein rechter Hund. Wenn es deinen Gott gibt, schmort er in der Hölle.»

      «Nun ist aber gut, Ludwig! Wenn du schimpfen willst, such dir einen lebendigen Gegner!» Die Mutter legte den Löffel neben den Teller.

      Liesbeth


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