Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl

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Bilanz einer Lüge - Christopher Stahl


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inzwischen unangenehm. Ich zog es vor, zur Sache zu kommen. „Was haben Sie denn selbst unternommen, um den Ursachen auf den Grund zu gehen?”

      „Natürlich habe ich versucht, den offenkundigsten Ereignissen nachzugehen. Teilweise waren sie erklärlich, da musste ich gar nicht erst nachfragen. Verpfuschte Aufträge, Liefertermine nicht eingehalten. Dass da selbst langjährige Kunden abspringen, mussich einfach akzeptieren. Aber auch Neukunden zogen ihre Aufträge mit fadenscheinigen Argumenten zurück. Irgendjemand schien Unsinn über mich und die Druckerei zu erzählen. Soweit ich es mitbekommen habe, sind die Kunden dann zu Knober gegangen. So wie einige meiner langjährigen Mitarbeiter. Zu Knober – das ist doch bezeichnend und gibt zu denken. Oder?”

      „Mit welcher Begründung?”

      „Nur ausweichende Antworten, Ausflüchte. Dem einen war die Anfahrtstrecke plötzlich zu lang, ein anderer beklagte die verschlechterten Arbeitsbedingungen.”

      „Und ist das so?”

      „Herrgott nochmal. Wir sind hier nicht auf einem Ponyhof. Es gab immer Probleme. Früher gehörte das zum Tagesgeschäft. Allerdings haben ja, wie Sie wissen, mehrere bewährte Mitarbeiter gekündigt. Die kannten das Geschäft noch von Anfang an und haben alle Entwicklungen mitgemacht. Die neuen Kräfte sind entweder Angelernte oder kennen sich nur noch mit den heutigen Betriebsmitteln aus. Die denken nicht mehr. Denen wird das Denken von den Maschinen weitgehend abgenommen.”

      In seiner Rage war er aufgestanden und ging nun auf und ab.

      „Aber wehe, wenn diese Maschinen nicht reibungslos funktionieren.”

      „Na ja, das haben sie ja auch nicht, oder?”

      „Ich war ja selbst überrascht davon. Ungewöhnliche Maschinenausfälle. Mal spielte die Software verrückt, mal hatten wir es mit mechanischen Ausfällen zu tun. Von der EDV habe ich ja nicht viel Ahnung, der traue ich auch nicht so. Aber die mechanischen Probleme …”, er schüttelte verzweifelt den Kopf und sah mich durchdringend an. „Wissen Sie, ich achte peinlich genau auf die Einhaltung der vorbeugenden Wartung. Das ist so etwas wie ein persönliches Anliegen von mir. Aber was hilft’s, wenn eine Welle steckt. Oder wenn sich plötzlich ein Sicherungsstift löst, obwohl er eigentlich arretiert ist.”

      „Ich würde gerne etwas besser verstehen, was in einer Druckerei abläuft. Was macht ein Drucker eigentlich heutzutage?”

      Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass ihn meine Frage etwas verwunderte.

      „Also, in Kürze: Wir stellen die unterschiedlichsten Druckerzeugnisse her. Der Drucker bedient dazu ganze Systeme von Druckmaschinen. Zu seinem Arbeitsbereich gehören das Vorbereiten von Druckformen, Bedruckstoffen, Druckfarben und Druckmaschinen zur Produktion. Dazu kommen noch die Optimierung der Fertigungsprozesse und der Druckqualität. Das sind die wesentlichen Aufgaben beim Fortdruck. Dabei setzen wir ….”

      „Wissen Sie, was ein BilMoG ist?”, unterbrach ich ihn.

      Er schüttelte irritiert den Kopf.

      „Sehen Sie, und ich weiß nicht, was ein Fortdruck ist.”

      Gero Arnold versuchte gar nicht erst, seinen Unmut zu verbergen: „Wenn´s denn hilft, erkläre ich Ihnen das halt.” Dann schob er aber doch noch ein „gerne” hinterher. „Zuerst kommt der sogenannte Andruck. Das ist ein Probedruck, mit dem die Qualität der Druckvorlagen überprüft wird, besonders bei mehrfarbigen Arbeiten an einer Druckmaschine. Wenn der Andruck dann vom Auftraggeber genehmigt ist, dient er dem Drucker an der Fortdruckmaschine als Vorlage für ein möglichst ähnliches Druckergebnis.”

      „Wenn ich es richtig verstehe, ist ein Fortdruck der Druck der vereinbarten Auflage, nachdem alle vorbereitenden Arbeiten abgeschlossen sind und die Genehmigung zum Fortdruck durch den Besteller vorliegt.”

      „Exakt!”

      „Na, da war meine Nachfrage doch gar nicht so dumm.” Diese Spitze musste ich loswerden. „Die verpfuschten Aufträge, die Sie erwähnten, um was ging es dabei?”

      Mit einem Seufzer ließ er sich wieder in seinen Sessel fallen. „Wir mussten komplette Produktionschargen vernichten. Mal stimmte die Schrifttype oder Schriftgröße nicht. Mal gab es Abweichungen in der Farbgestaltung. Bilder wurden an den falschenStellen platziert oder gar verwechselt. Fotos von Auftrag X landeten plötzlich im Auftrag Y. Sehen Sie selbst.”

      Er wies auf zwei aufwändig gestaltete Flyer. „Das ist zu Mamas Zeiten nie vorgekommen.”

      Ich begutachtete die Flyer: Eine Eröffnungsanzeige eines griechischen Restaurants – mit einem Bild von einem chinesischen Koch vor seinem Wok. Der andere Flyer warb für ein Toyota-Autohaus – mit einem Logo von Mercedes.

      „Makulatur – beide Chargen. Mal eben Material und Arbeitszeit für 5.000 Euro durch den Kamin gejagt. Puff. Und das sind nur wenige Beispiele.”

      „Aber Sie gehen doch den Mängelursachen nach, oder?”

      „Klar doch. Wir haben ein Qualitätsmanagement-System und sind sogar ISO-zertifiziert. Wir halten uns an die Vorgaben.”

      „Also betreiben Sie eine systematische Suche nach den Fehlerursachen”, stellte ich fest.

      „Na ja”, er wog bedenklich den Kopf, „das ist so ein Schwachpunkt. Wir sammeln zwar erst einmal die Fehler, aber die Reparaturen und Neuauflagen der verpfuschten Aufträge haben natürlich Vorrang. Wenn wir die verärgerten Kunden überhaupt bei der Stange halten können. Der Flyer für das Autohaus ist in diesem Zustand”, er hielt ihn mir nochmals hin, „sogar ausgeliefert worden. Und zwar nicht an den Kunden, sondern an die Vertriebsgesellschaft, die für die Verteilung sorgt. Da”, er legte mir einen Zeitungsausschnitt vor, „das war natürlich ein gefundenes Fressen für eine Glosse. Und hier sogar verhöhnende Leserbriefe. Klasse Werbung, kann ich da nur sagen.”

      „Sie müssen aber doch wenigstens eine Ahnung haben, wo die Ursachen liegen!”

      „Ich sagte ja schon: Fehler bei den Mitarbeitern und bei der Software. Wir haben ein komplexes EDV-System. Von der Anfrage über Kalkulation, Angebot, Kundenauftrag, Produktionssteuerung bis hin zur Rechnungsschreibung läuft alles über die EDV.”

      „Und?”

      „Manche Aufträge verschwanden komplett nach ihrer Fertigstellung. Es kam auch vor, dass nur Teile davon, zum Beispiel Nachträge oder Änderungen, nicht mehr vorhanden waren. Sie waren einfach nicht mehr im System.”

      „Mal abgesehen von der Chose mit dem Autohaus – wann stellen Sie so etwas fest? Oder besser, wer stellt das fest?”

      „Meist erst dann, wenn der Kunde einen Liefertermin oder einen Mangel reklamiert. Und wenn dann noch Mitarbeiter ausfallen oder gar nicht mehr da sind, die den Kunden kennen oder den Auftrag ausgeführt haben, wird es ganz kritisch. Es ist hochnotpeinlich, beim Auftraggeber mit fadenscheinigen Erklärungen um eine Kopie der Auftragsbestätigung zu bitten.”

      „Lässt sich das eingrenzen, zum Beispiel auf bestimmte Kunden, Auftragstypen oder Mitarbeiter?”

      „Es handelte sich immer um größere Aufträge. Und um solche mit einem hohen Materialeinsatz. Bei Spezialpapier, Sonderformaten, aufwendiger Bindetechnik oder Ähnlichem.”

      „Also dort, wo ein maximaler Schaden entsteht. Nicht nur für Ihre Reputation, sondern auch materiell. Um es betriebswirtschaftlich auszudrücken: Laufender Umsatz, potenzieller Umsatz und Materialeinsatz belasten den Ertrag.”

      „Nicht zu vergessen die anonymen Anzeigen.” Er knallte mehrere Schriftsätze vor mir auf den Tisch. „Hier: Beschäftigung von illegalen Arbeitskräften. Und: Steuerhinterziehung wegen nicht deklarierter Bargeschäfte. Und hier: Verstoß gegen die Hygienevorschriften im Aufenthaltsbereich. Und da habe ich etwas besonders Feines: Strafvereitelung gemäß § 258 StGB, weil ich einem polizeilich gesuchten Straftäter Zuflucht gewährt und ihn bei mir beschäftigt haben soll. Aber damit nicht genug, hier habe ich noch eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen die Arbeitssicherheit. Zoll, Gewerbeaufsicht, Finanzamt


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