Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl

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Bilanz einer Lüge - Christopher Stahl


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beim Finanzamt gehen anonyme Anzeigen wegen Steuerhinterziehung und Zollvergehen ein
die Presse veröffentlicht Leserbriefe, in denen Unwahrheiten über Unternehmen und Unternehmer stehen

      Vermutung:

Bereits vor vielen Jahren hatte es Querelen zwischen Gisela Arnold und dem Vater ihres Konkurrenten, Sigurd Knober, gegeben
Dieter Knober versucht, Gero Arnold zum Verkauf seines Unternehmens an ihn zu bewegen und unterbreitet ihm immer drängender Angebote, die im Laufe der Zeit nötigende Ausmaße annehmen – nur im Vier-Augen-Gespräch, ohne Zeugen.
Eine Einschaltung der Kriminalpolizei Alzey scheitert daran, dass kein strafbarer Tatbestand zu erkennen ist. Man empfahl, sich mit einem Rechtsanwalt oder einem Privatdetektiv zu beraten.

      Donnerstag, 14. Juli 2011, Siefersheim

      Gero Arnold war sofort bereit, sich mit mir zu treffen. „Sie glauben gar nicht, wie viel mir das bedeutet und wie sehr mich das erleichtert! Ich setze voll auf Sie und Ihr kriminalistisches Gespür. Sie haben es ja schon mehrmals erfolgreich unter Beweis gestellt. Herr Schäfer, Sie sind meine letzte Rettung!”, hatte er unsere telefonische Terminabsprache beendet.

      Erst wollte ich ihn in seiner pathetisch gefärbten Erwartungshaltung bremsen. Schließlich hatten wir auch schon seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr miteinander gehabt. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass ihn seine Euphorie öffnen würde. Ich brauchte alles an ungefilterten Informationen, was nur irgendwie mit seinen Problemen zu tun hatte. Er sollte nicht lange überlegen, sondern alles heraussprudeln, was ihm so einfiel. Das Filtern durfte er getrost mir überlassen.

      Von Bernheim bis Siefersheim hatte ich mit dem Pkw etwa fünf Kilometer zurückzulegen. Die idyllische Weinbaugemeinde gehört mit ihren knapp 1.300 Einwohnern zur Verbandsgemeinde Wöllstein. Der Ortsname leitete sich aus der fränkischen Zeit, Mitte des 5. Jahrhunderts, ab. Die Franken bevorzugten, im Gegensatz zu den abgezogenen Römern, ländliche Siedlungen. Sie gründeten und besiedelten jene Dörfer, deren Ortsnamen auf „-heim” enden. Die Baustruktur der bäuerlichen Anwesen ließ im Ursprung die fränkischen Hofanlagen heute noch deutlich erkennen. Hofreiten, Bruchsteingebäude aus regionalen Sandstein-Steinbrüchen, Kuhtempel und Gewölbekeller charakterisierten die archaische Architektur. Und nicht nur die bestimmten den Charme von Siefersheim. Hof- und Dorffeste, kulturelle Veranstaltungen, thematisch besetzte Weinbergwanderungen, Bauernmärkte, aber auch attraktive Angebote zur sportlichen Betätigung waren das bestätigende Pendant zur aufgeschlossenen Lebensart des Rheinhessen – falls es ihn überhaupt in Reinform gab.

      Bekannt ist Siefersheim jedoch weit über seine Grenzen hinaus durch die hervorragenden Weine, die von annähernd zehn Weingütern angebaut und produziert werden.

      Ich erreichte den Betrieb der BEWAG GmbH pünktlich um 18 Uhr, wie wir es vereinbart hatten. Gero Arnold wartete bereits auf der breiten Treppe, die zu der zweiflügeligen Eingangstüre aus Glas führte. Ich war schockiert, als ich ihn sah. Was war aus dem stets adretten Mann geworden, dessen positiver Ausstrahlung man sich nicht entziehen konnte? Seiner Kleidung nach zu urteilen, war er bereits auf Feierabend eingestellt: Er trug eine ausgebeulte Cordhose in einem undefinierbaren bräunlichen Ton, dazu ein Holzfällerhemd und darüber eine abgewetzte Wollweste. Dieses Ensemble hatte auch schon bessere Tage gesehen. Unfraglich waren Kleidung und sein allgemeines Aussehen absolut authentisch. Der 64-Jährige ewige Junggeselle sah in seiner gebeugten Haltung und mit der fahlen, fast gelblichen Haut gut und gerne zehn Jahre älter aus. Da half es auch nicht, dass er sein noch volles Haar rabenschwarz färbte.

      Das Wohnhaus lag oberhalb der beiden Betriebsgebäude, getrennt durch die Firmenparkplätze und einen etwa 20 Meter breiten, ungepflegten Rasenstreifen. Er wurde aufgelockert durch ein paar vor sich hin kümmernde Rosenstöcke.

      Dem Zeitstil der frühen 60er Jahre entsprechend war das Haus als Bungalow konzipiert worden. Alleine schon die geschwungenen, schmiedeeisernen Gitter vor den Fenstern, die blauen, glänzend gebrannten Hohlpfannendachziegel und die edlen Außenleuchten offenbarten, dass Gisela Arnold damals bei der Ausstattung nicht gespart hatte. Ein Renovierungsstau war allerdings auch nicht zu übersehen. Die kupfernen Dachrinnen und Fallrohre wiesen undichte Stellen auf und schrien geradezu nach Reparatur und teilweise auch Erneuerung. Ebenso die Fensterrahmen, von denen die Farbe abblätterte und bereits verrottete Stellen sichtbarwaren. Auch an der breiten Marmortreppe hätte es an einigen Stellen einer Restaurierung bedurft.

      Gero Arnold forderte mich mit einer einladenden Geste dazu auf, ihm zu folgen. Durch die überdimensionierte Eingangshalle führte er mich ein riesiges, langgezogenes Wohnzimmer. Eine schwere, lederne Sitzgarnitur bestehend aus Couch, drei Sesseln und dazwischen einem niedrigen Tisch verlor sich trotz ihrer Masse im Raum. Über die eine Wand erstreckte sich ein überdimensionales Bücherregal, das wie der Couchtisch aus Eiche rustikal P43 gefertigt war. Ein futuristisch anmutender LED-Fernseher zog meinen Blick auf sich. Darunter entdeckte ich den gleichen Satellitenempfänger mit integrierter Festplatte als Speichermedium, wie ich ihn auch hatte.

      Die gegenüberliegende Seite des Raums hätte ein märchenhaftes Motiv für eine Bildtapete ergeben: Durch die Glasfront, die die gesamte Länge des Raumes einnahm, hatte man einen grandiosen Blick über die Terrasse auf die Siefersheimer Weinlagen, das Goldene Horn und den Höllberg.

      Jetzt erst bemerkte ich den Geruch eines schweren Parfums. Ich empfand ihn als störend. Nicht etwa, weil er unangenehm war. Er passte nur nicht zu einem Mann und schon gar nicht zu Gero Arnold, wie er sich hier präsentierte.

      Wir nahmen jeder auf einem der Sessel Platz. Auf dem Couchtisch hatte Gero Arnold bereits einige Unterlagen, Zeitungsausschnitte, Briefe und Fotos ausgebreitet. Doch bevor wir zum eigentlichen Grund meines Besuches kamen, wurde einem unerlässlichen, rheinhessischen Ritual Tribut gezollt.

      „Rot oder weiß? Ich habe hier einen Riesling, eine trockene Spätlese. Aus der Lage, Siefersheimer Heerkretz. Vom Weingut Gebert.” Gero Arnold deutete auf die Kühlbox, aus der ein grüner Flaschenhals herausragte. „Auf Porphyr angebaut”, betonte er.

      Porphyr? Ich grinste ihn wissend an, als sei mir die Bedeutung bekannt. Ich nahm mir vor, mich im Internet schlau zu machen.

      „Oder lieber den hier?”, unterbrach er meinen Gedanken. „Ein Blauer Frühburgunder? Im Holzfass gereift. Vom Weingut Sommer. Ich kaufe gerne die Weine von hier. Man kennt die Winzer, die Lagen. Ich sehe beim Spaziergang durch die Weinberge, wie sehr auf ökologische Verträglichkeit geachtet wird. Und wenn ich will, kann ich beim Keltern zusehen und im Weinkeller den ersten Jungwein verkosten. Und dann erst den Federweißer.” Er verdrehte genießerisch die Augen nach oben, bevor er mir die bereits geöffnete Flasche mit dem Frühburgunder hinhielt.

      „Welchen nehmen Sie?”, wollte ich wissen.

      „Den Roten. Sie wissen ja: Rotwein ist für alte Knaben …”

      Ich schloss mich seiner Wahl an. Ein Zuprosten, ein nachschmeckendes Verkosten und wir konnten uns endlich dem eigentlichen Thema zuwenden.

      „Herr Schäfer, ich weiß inzwischen nicht mehr, was ich tun soll. Die Polizei kann oder will nicht helfen. Der Rechtsanwalt, für den ich alles aufbereitet habe”, er wies auf die auf dem Tisch ausgebreiteten Unterlagen, „hat die Segel gestrichen. Der beste Rat, den er mir anscheinend geben konnte oder wollte, war, einen Privatdetektiv zu beauftragen. Aber was weiß ich, an wen ich da gerate. Sie aber … wissen Sie, meine Mutter hielt große Stücke auf Sie. Und auch ich habe grenzenloses Vertrauen in ihre Integrität und Verschwiegenheit.”

      Es war mir peinlich und ich


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