Lichtschacht. Anne Goldmann
Читать онлайн книгу.hatte ihr Lächeln erwidert. Ein naives Landkind, nicht besonders schlau.
»Woran denkst du?« Jetzt war sie wach. Stützte sich auf den linken Arm und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie sah etwas benommen aus.
Er überging ihre Frage. »Kaffee?« Sie nickte. Er hörte sie ins Bad gehen, während er sich in der Küche zu schaffen machte, Laden öffnete und schloss, eine Kapsel in die Maschine drückte und eine Tasse, eine zweite, aus dem Regal nahm. Seine Morgen waren ihm heilig. Er vertrug keine Musik, keinen Lärm, keine Fragen. Sie wusste das.
Sie kam frisch geduscht mit feuchten, zu einem Zopf geflochtenen Haaren und vollständig bekleidet aus dem Badezimmer. Er hielt ihr eine Tasse hin. Sie dankte mit einem Nicken. Sie tranken schweigend. Sie sah ihn ein-, zweimal von der Seite an. Er reagierte nicht. Sie hielt die Schale mit beiden Händen, als wollte sie sich wärmen. Blickte ins Leere.
»Ich muss arbeiten«, sagte er schließlich. »Wir reden morgen weiter. Ich werde mich um die Sache kümmern.« Sie zuckte zusammen. »Hast du die Tabletten? Soll ich dich nach Hause bringen?«
»Nein danke. Ich komm schon zurecht.« Sie zögerte. »Kann ich dich anrufen? Am Abend?«
»Ich melde mich bei dir. Besser, wir reden nicht am Telefon.« Er strich ihr übers Haar. »Mach dir keine Sorgen. Dir wird nichts passieren«, murmelte er.
Ihr Kopf flog herum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an.
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Als Lena vor dem Geschäft ankam, stand die Tür bereits offen. Sich schon in der Früh hetzen zu müssen war wirklich das Letzte! »Guten Morgen. Bin ich zu spät?«
Ihr Chef drehte sich um. »Morgen, Lena.« Er lächelte und wies auf seine Armbanduhr. »Pünktlich auf die Minute.«
Warum sieht er mich so an? Sie stellte die Tasche ab und schlüpfte aus ihrer Jacke. Im zweiten Raum, der als Lager und Werkstatt diente, blubberte der Wasserkocher. Wolfgang verschwand nebenan und goss sich eine Tasse Tee auf. Lena zupfte an ihrem Rocksaum und zog ihn energisch nach unten. Zu kurz, dachte sie. Noch immer kam sie sich wie verkleidet vor.
»Ich muss in einer halben Stunde wieder weg. Denkst du, du schaffst das schon allein?«
»Ja, klar«, sagte sie forsch und nahm Rechnungsblock und Füllfeder aus der Schublade. Jedes Kind konnte das. Die Ware war ausgepreist. Rechnungen wurden – in Schönschrift, hatte er verlangt – mit der Hand geschrieben, das Bargeld in einer Kassette verwahrt. Die Bankomatkasse war kein Mirakel.
Als sie aufblickte, stand er mit einem Hocker mitten im Raum. Sie nahm ihn ihm ab und trug ihn vor die Tür. Er folgte mit einem kleinen Tischchen.
Wolfgang war schon älter, sicher vierzig, fünfundvierzig, schlank mit einem kleinen Bauchansatz, den er mit lässig geschnittenen, meist schwarzen Klamotten zu kaschieren versuchte. Dunkle kurze Haare, etwas Grau an den Schläfen. Kein Bart. Gutaussehend, wenn man diesen Typ Mann mochte. Lena hielt ihn für ein wenig eitel. Er hatte sie nach einem kurzen Gespräch eingestellt.
»Es geht um etwa drei Dienste pro Woche. Kann auch einmal kurzfristig sein.«
»Passt. Wenn ich es am Vortag weiß, kann ich mir das einteilen.« Sie brauchte dringend etwas Fixes, durfte keine großen Ansprüche stellen.
»Ich nehme an, es ist okay für dich, wenn wir uns duzen?« Wie mein Vater, dachte sie. Sie glauben, es macht sie jünger. »Ja, kein Problem.«
Wolfgang hatte das Geschäft vor knapp zwei Jahren eröffnet. EigeRT stand in großen Lettern auf dem Schaufenster. Dahinter ein ganz in Weiß gehaltenes Lokal. Kühl. Stylish. Wie die Wohnung, in der ich jetzt lebe, dachte sie. Man könnte viel daraus machen. Aus der Wohnung. Aus dem Laden. Aber beides gehörte nicht ihr.
Wolfgang verkaufte Kleinmöbel, vornehmlich Designerware, Dekoration und seine aktuelle Serie von künstlerisch verfremdeten Gebrauchsgegenständen. Die Kunden hatten Geld. Einige waren mit ihm befreundet. Manchmal kamen auch Leute in ihrem Alter, Studentinnen, Schüler. Sie sahen sich lange um, fragten viel und wählten dann eine Kleinigkeit, ein Geschenk für eine Freundin, ein Spiel, Klebebuchstaben, die aus irgendeinem Grund der große Renner waren. Ich würde nie in einem Geschäft wie dem hier einkaufen, dachte sie. Auch nicht, wenn ich Geld hätte. Die meisten Sachen waren viel zu teuer und nicht besonders originell. Und die wirklich schönen Stücke …
Wolfgang riss sie aus ihren Gedanken. »Hast du die Schorns schon angerufen?« Er trat einen Schritt zurück und betrachtete das Schaufenster. Er sah zufrieden aus.
»Ich komm grade von dort«, sagte sie schnell.
Ein kurzer Blick. »Und – machst du’s?«
»Ja.«
Er wandte sich um. Plötzlich hatte er es eilig. »Ich fahr dann.« Sie nickte und trat zurück in den Laden.
Die Zeit verging quälend langsam. Niemand kam. Jetzt bloß nicht grübeln! Sie holte Glasreiniger und Putzlappen und nahm sich das Regal hinter der Theke vor. Sie liebte es, aufzuräumen. Vor Sauberkeit blitzende Flächen zu hinterlassen. Das half immer, wenn sie unruhig war. Wenn sie das Drumherum wieder in Schuss brachte – und sich selber –, ordnete sich auch das Durcheinander an Ängsten und Zweifeln, in dem sie sich manchmal verhedderte. Mit jedem weiteren Handgriff klärten sich ihre Gedanken. Sie wusste: Wenn Menschen aus dem Takt gerieten, sah man es ihnen über kurz oder lang an. Sie pflegten sich nicht mehr und ihre Wohnungen versanken im Chaos.
Im Spital hatte sie immer wieder Patienten erlebt, die aufgegeben hatten, sich gehen ließen. Hatte versucht, sie zum Duschen zu bewegen, statt sie wie üblich schnell im Bett zu waschen. Sie dachte an Herrn Klein, ihren ersten Tumorpatienten, der eigentlich nicht auf ihre Station gehörte, aber aus Platzmangel dort gelandet war: wie er nach längerem Sträuben gegen ein Bad still und glücklich unter dem warmen Wasserstrahl hockte, nur noch Haut und Knochen, das Gesicht nach oben gewandt, die Augen geschlossen, als säße er in der warmen Herbstsonne, während sie ihn vorsichtig rasierte. Später, im frisch bezogenen Bett, von Seifengeruch umhüllt und noch ein wenig atemlos von der Anstrengung, hatte er ihre Hand gedrückt. Da glaubte sie noch, dass sie für diese Arbeit wie geschaffen war. Knapp zwei Jahre später hatte sie alles hingeschmissen und war gegangen.
Sie atmete tief durch und wandte sich dem Verkaufstisch zu. Hingebungsvoll polierte sie die Tischfläche, die Fronten. Sah auf die Uhr und holte sich ein Glas Wasser. Es war schon fast elf. Wo bloß die Kunden blieben? Gestern zehn, am Tag davor gezählte acht – davon konnte doch kein Mensch leben! Wenn sie nicht bald mehr Umsatz machte, war sie ihren Job bestimmt schnell wieder los. Ihr Chef sah nicht wie ein Wohltäter aus.
Er hätte dich nicht eingestellt, wenn es sich für ihn nicht rentiert, versuchte sie sich zu beruhigen und nahm sich das Schaufenster vor. Die filigranen weißen Schalen, wie aus Tortenspitze geformt, hoben sich kaum vom Hintergrund ab. Sie nahm sie vorsichtig hoch und stellte sie zur Seite. Man musste sie mit kräftigen Farben ergänzen, sie aufleuchten lassen. Ob er es merken würde, wenn sie das eine oder andere neu arrangierte? Sie zögerte kurz, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen.
»Du hast echt einen Putzfimmel«, hatte Elias ihr mehr als einmal genervt vorgeworfen. Ihre Beziehung war letztendlich aber an seiner Unzuverlässigkeit gescheitert.
Lena richtete sich auf und sah nach draußen. Vor dem Shirtshop gegenüber probierte ein blasses Mädchen unter den kritischen Blicken ihrer Freundin mehrere Kleidungsstücke aus der Wühlkiste gleich auf der Straße an. Ein Herr mit markantem Profil verhielt den Schritt und schaute interessiert zu, wie beim Ausziehen eines Tops ihr dünner Pulli mit hochrutschte und sie mit nacktem Bauch dastand, bis die Freundin ihr lachend zu Hilfe kam. Lena zog die Brauen hoch und wandte sich ab.
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Er rief sie am späten Nachmittag an. Sie meldete sich nach dem ersten Läuten. Sie verabredeten sich für den Abend beim neuen Italiener in der Nähe ihres Arbeitsplatzes.
Er war etwas zu spät dran, sie erwartete ihn bereits. Kein Lächeln, als er auf sie zueilte. Er beugte sich zu ihr hinab. Sie hielt ihm ihre Wange