Das Kreuz. Astrid Seehaus
Читать онлайн книгу.„Ein Mensch, der sich mit Gefälligkeiten Freunde verschafft, hat Feinde. Martin, du bist ein solcher Grünschnabel. Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, oder willst du es nicht wahrhaben?“
Neureiter machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, das! Das ist doch nichts. Meine Großcousine hat nicht nachgedacht, abgesehen davon hat sie genug Geld, sie hätte es nicht gebraucht. Sie wollte einfach nur weg und …“
Nolte trat ein und unterbrach Neureiters Ausschweifungen. „Habt ihr euch schon um das verlassene Auto gekümmert?“
„Das bearbeitet der diensthabende Kollege“, sagte Neureiter.
Rothe nahm Simone den Bericht ab, den sie ihm kommentarlos entgegenstreckte, und überflog ihn. „Scheint doch alles geklärt zu sein.“ Er legte die Unterlage auf seinen Aktenstapel.
Sie runzelte die Stirn: „Hast du wieder ein Treffen mit der Connolly?“
„Nochmal die Connolly?“, fragte Neureiter neugierig.
„Nein, heute nicht. Sonst noch etwas, Kollegin? Wir sind gerade bei einem anderen Fall.“ Rothe streifte sie nur mit einem Blick und wandte sich dann wieder Neureiter zu.
„Oh, Entschuldigung, Kollege, da will ich die Elefantenrunde mal nicht stören“, sagte sie.
Sichtlich gekränkt verließ Simone das Zimmer, und ehe Neureiter nur einen Gedanken über die Beziehung Rothe/Nolte verschwenden konnte, kehrte Rothe zum ursprünglichen Thema zurück. „Was war das mit der Großcousine?“
Neureiter antwortete: „Sie wollte ihre Gärtnerei verkaufen. War ihr zu viel Arbeit, abgesehen davon wollte sie zu einem Bekannten ziehen. Nun, jedenfalls hat Eckermann ihr unter die Arme gegriffen und ihr einen Teil der Maschinen abgekauft.“
„Abgeschwatzt wolltest du wohl sagen“, brummte Bäcker.
„Nein, das wollte ich nicht sagen“, widersprach Neureiter.
Bäcker ignorierte ihn und erklärte Rothe: „Um es abzukürzen: Wenn jemand einer alten Frau einen nagelneuen Kleintrecker für den halben Preis abkauft, obwohl die Maschine noch keinen Kilometer gelaufen ist, wie würden Sie das nennen? Einen Freundschaftsdienst? Der Neffe wollte die Gärtnerei weiterbetreiben und plötzlich fehlen die Maschinen. Und wer hatte da seine Hände im Spiel?“
„Nun ja, Eckermann ist schon ein Schlitzohr, aber –“, wandte Neureiter ein.
„Hat er den Trecker gekauft?“, fragte Rothe.
„Nein, er ist der Mann der Gefälligkeiten. Eine Hand wäscht die andere. Er hat den Trecker an einen Freund vermittelt.“
„Und die Frau war damit einverstanden?“
„Die hat doch gar nicht gemerkt, dass sie übers Ohr gehauen wurde“, schnaubte Bäcker aufgebracht.
„Ach, Sture, das kann man so nicht sagen“, wehrte Neureiter ab.
„Durchaus kann man das. Mit dem Anhänger war es das gleiche. Plötzlich war er weg.“
„Der hatte doch keinen TÜV mehr“, sagte Neureiter.
„Deswegen verschenkt man keinen Anhänger. Der war auch fast neu. Er hat ihn ihr auch abgeschwatzt. Ich weiß überhaupt nicht, warum du ihn verteidigst, Martin. Sie hätte das Ding auch stehen lassen können. Es frisst ja kein Brot, nicht so wie ihre Pferde. Aber die alten Klepper hat Eckermann nicht haben wollen, die kamen zum Abdecker.“
Neureiter gab es auf, darauf noch etwas zu entgegnen.
„Sie können Eckermann nicht besonders leiden, scheint mir“, sagte Rothe.
„Ich bin nicht der Einzige.“
„Und glauben Sie jetzt, die Großcousine oder einer aus ihrer Familie könnte womöglich bei diesem Brand nachgeholfen haben?“
„Natürlich nicht!“, wurde Neureiter laut. „Meine Großcousine ist …“
„Eine dumme Person“, vollendete Bäcker den Satz.
„Also hör mal, Sture, was ist denn heute mit dir los? Ich habe dich ja noch nie so reden hören“, stieß Neureiter empört aus.
„Wenn es um deine Familie geht, bist du blind und taub, Martin“, sagte Bäcker und zu Rothe: „Die Großcousine ist die Frau, die unserem stadtbekannten Alkoholiker Anton Dewe Kost und Logis gegeben hat und ihm fünfhundert Euro in die Hand drückt, weil der mal nach der Heizung sieht. Und so war es auch, er hat nur nach der Heizung gesehen, sie nicht repariert. Die war nämlich gar nicht kaputt. Und als sie ihm nicht noch mehr geben wollte, dafür dass er angeblich die Pferde gefüttert hatte, – stattdessen hatte er seinen Rausch im Stall ausgeschlafen –, hat er ihr gedroht.“ Und wieder an seinen jungen Kollegen: „Und nun komm mir nicht moralisch, Martin, dass ich hier Familiengeheimnisse ausplaudere. Du weißt genau, was ich von dieser Geschichte halte“
„Du übertreibst maßlos, Sture. Bei meiner Großcousine hat er bei der Arbeit nie getrunken“, wehrte sich Neureiter.
„Wer’s glaubt“, knurrte Bäcker und stampfte aus dem Zimmer.
Rothe sah ihm verdutzt nach. Schließlich fragte er Neureiter: „Was halten Sie davon, dass Dewe bei Eckermanns Anlage gefunden wurde, Kollege?“
Neureiter starrte auf seinen Bildschirm. „Er wird dort seinen Rausch ausgeschlafen haben, nehme ich an.“
„Also hat er doch bei der Arbeit getrunken.“
Neureiter zuckte die Achseln. „Vielleicht hat er nicht gearbeitet.“
„Es hat eher den Anschein, er habe sich vor der Arbeit gedrückt.“ Rothe dachte noch eine Weile darüber nach und entschied, dass es nicht seine Sache war. Sollte doch Bäcker den Fall bearbeiten. Er fragte sich, ob er die Connolly wegen eines weiteren Treffens anrufen sollte oder mit Simone reden, der er etwas unglücklich über den Mund gefahren war. Er stellte fest, dass er zu beidem keine Lust hatte, und griff sich den obersten Bericht aus seiner Ablage.
Das zurückgelassene Auto. Der Bericht las sich flüssig. Da hatte ein Kollege seine Arbeit getan, der sich im Verfassen von Protokollen auskannte. Das Auto war ein Mercedes, Baujahr 1992, Diesel, Karosserie rot, gepflegt. Der Kilometerstand lag im sechsstelligen Bereich. Der Wagen war Montag früh von einer Politesse unverschlossen vor dem Bahnhofsgebäude gefunden worden. Der Zündschlüssel steckte. Persönliche Gegenstände waren nicht gefunden worden. Anhand des Kennzeichens konnte der Name der Halterin ausfindig gemacht werden. Die Bericht schloss mit dem Vermerk: Halterin tel. nicht angetroffen. Wagen wurde abgeschlossen. Es wurde eine Kurznotiz im Auto hinterlassen, dass der Schlüssel auf der Polizeidienststelle abgeholt werden kann.
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