Das Kreuz. Astrid Seehaus

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Das Kreuz - Astrid Seehaus


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in der Presse aufgefallen, aber das waren unvorteilhafte Schnappschüsse von einer Frau, die vor den Fotografen floh, weil sie nicht abgelichtet werden wollte, und dabei höchst unsympathisch wirkte. Ihm gegenüber gab sie sich reserviert, fast schon arrogant. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie mit ihm spielte und es ihre Art war zu provozieren. Es war nur die Frage, ob er sich provozieren ließe. Die Farbe ihrer Augen hätte er bei Aufforderung mit hellem Bernstein beschrieben, nicht unbedingt stechend, aber durchdringend, fast so, als könne man ihr keine Wahrheit verheimlichen. Ihre Nase war kein niedliches Stupsnäschen, was auch nicht zu ihrem Gesicht gepasst hätte, sondern durchaus prägnant. Aber am ausdrucksstärksten war ihr Mund. Um die Illusion eines solch sinnlichen Mundes zu erschaffen, wurden bestimmt Millionen für Lippenstifte ausgegeben.

      Sein Blick löste sich von ihren vollen Lippen und wanderte zurück zu ihren Augen, die nun ihrerseits sehr intensiv sein Gesicht begutachteten.

      „Nennen Sie mich Frank“, bat er.

      Sie zögerte, ließ ihn ein wenig zappeln. Tatsächlich die Arroganz in Person.

      „Lizzy“, sagte sie schließlich.

      Die Cappuccini wurden serviert. Lizzy ignorierte den Keks neben ihrer Tasse. Er zerriss die Zuckertüte und streute den Zucker auf die aufgeschäumte Milch. Seine Gedanken wanderten zu berühmten Filmszenen („Schau mir in die Augen, Kleines“, „Wir haben ein vollen Tank, eine halbe Packung Zigaretten, es ist Nacht, und wir tragen Sonnenbrillen“), und er fragte sich, warum er gerade daran denken musste. Vermutlich weil die Situation ihm vorkam wie eine Inszenierung.

      Wozu sollte dieses Treffen führen? Er hätte es gerne gesehen, wenn sie ihm soweit vertraute, dass sie ihm ihr Herz ausschüttete. Ihm von dem Brief erzählen würde. Von den Auseinandersetzungen, den Dingen, die dazu geführt hatten, dass sie hier war. War es wirklich nur die Lesereise, die sie zurück ins Eichsfeld gebracht hatte? Oder war sie auf der Flucht vor ihrem Ex?

      Aber anstatt zu reden, ohne dass er Fragen stellen musste, sagte sie gar nichts. Sie schwieg. Frank fühlte sich wie auf einem Heizkissen, es fehlte nicht viel und er würde an seinem Kragen herumnesteln, um sich mehr Luft zu verschaffen. Und sie wirkte wie eine gelangweilte Geliebte. Jessi hatte ihn gebeten, sich jedes Wort von ihr zu merken. Aber was sollte er ihr erzählen, wenn es nichts zu erzählen gab?

      Er versuchte sich an einer Kevin-Costner-Haltung und eröffnete das Gespräch mit einer Frage. „Wofür steht das K in Ihrem Namen?“

      Sie lehnte sich zurück, spielte mit dem Kaffeelöffel, den sie leicht gegen ihre volle Unterlippe tippte. Wie magnetisiert starrte er auf ihre Lippen.

      Sie antwortete: „Katharina ist der Name meiner Großmutter. Ansonsten ist der Name Rebecca Connolly ein Kunstprodukt. Meine Agentin hatte diesen Namen schon lange im Kopf und suchte die dazu passende Autorin. Und dann kam ich, und sie meinte, der Name passe zu meinem Gesicht. Das eingefügte K war meine Idee. Ich wollte wenigstens etwas, das zu mir gehört. Etwas Authentisches, dass ich mich nicht nur als Kunstprodukt fühle.“ Sie lachte, und das erste Mal begann Frank zu verstehen, warum die Connolly so viele Anhänger hatte.

      „Und warum sind Sie nach Amerika gegangen? Hat man dort leichter Erfolg als bei uns?“

      Sie wiegte den Kopf „Sie stellen interessante Fragen, Herr Kommissar.“

      „Frank.“

      „Frank“, wiederholte sie und sah ihm tief in die Augen. Ihm fielen in diesem Moment die feinen Lachfältchen um ihre Augen auf. „Ich habe eher damit gerechnet, dass Sie mich nach dem Brief befragen würden.“

      „Erwischt!“, gab er lächelnd zu. „Aber vergessen Sie doch einfach den Ermittler und erzählen Sie!“

      Sie legte den Löffel zurück auf die Untertasse und schwieg. Das Schweigen dehnte sich aus.

      „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Frank.

      „Natürlich nicht.“ Wieder blitzte dieses umwerfende Lächeln auf. „Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich glaube, mit dieser Vorstellung sind wir doch alle aufgewachsen. Vielleicht nicht Sie im Osten, aber wir im Westen. Für uns Jugendliche war Amerika das Land der Träume. Das ist eine Glaubensvorstellung, die man nicht hinterfragt. Man weiß, es stimmt. Man weiß es so sehr, man geht so sehr davon aus, dass es so ist, dass man diesen Glaubenssatz niemals in Zweifel zieht.“ Sie lächelte. „Bis man eigene Erfahrungen macht.“

      „Und Sie haben Ihre eigenen Erfahrungen gemacht.“

      „Und ich habe meine eigenen Erfahrungen gemacht.“

      „Wie alt waren Sie denn, als Sie das Eichsfeld verließen?“

      „Zweiundzwanzig.“

      „Für Eichsfelder Verhältnisse doch recht früh“, sagte Frank spontan, da er an Sture Bäcker dachte, der sich an seine Familie klammerte wie andere an ihr Portemonnaie.

      „Möglich“, antwortete sie wieder einsilbig.

      Das Schweigen, das sich erneut zwischen ihnen ausbreitete, war zäh und lästig. Frank hätte gern gesehen, dass sie weitersprach, aber er spürte ihren Widerstand. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat Amerika nicht alle Ihre Träume erfüllen können.“

      Sie seufzte. „Wie es mit Träumen eben so ist. Sie fliegen wie Luftballons in den Himmel und fort sind sie. Nicht alle Träume lassen sich verwirklichen, und Luftballons haben an sich auch keine andere Funktion, als zu fliegen. Ich möchte nicht unzufrieden wirken, das müssen Sie mir glauben. Amerika hat mir viele Chancen gegeben. Sie lagen nur nicht in dem Bereich, den ich mir erträumt habe. Als ich nach Amerika ging, wollte ich in der Musikbranche Karriere machen. Aber die Musikindustrie ist knallhart. Das ist sie hier auch, aber mir scheint, dort ist sie härter. Die amerikanischen Musikproduzenten haben nicht gerade auf die kleine Lizzy gewartet. Und mit meiner landwirtschaftlichen Lehre wäre ich als Apfelsinenpflückerin geendet. Das entsprach nun gar nicht meinen Vorstellungen.“ Sie lachte. „Glück ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Ich hätte niemals gedacht, dass ich letztendlich mein Geld mit Schreiben verdienen würde. Und das hatte durchaus mit Glück zu tun. Zur richtigen Zeit die richtige Geschichte beim richtigen Agenten. In meinem Falle eine Agentin. Der Erfolg hat sich trotzdem nicht so schnell eingestellt. Ich wurde nicht über Nacht bekannt, wie Sie vielleicht glauben. Dazwischen liegen Jahre voller Hoffnungen und Enttäuschungen.“

      Sie rührte im Kaffee und leckte sich die Lippen. Eine Geste, die sein Herz höher schlagen ließ. „Niemand kann einem vorhersagen, ob man mit dem, was man tut, Erfolg haben wird. Und wie misst man Erfolg? Irgendwann wird sowieso alles zur Routine. Die Interviews, die Gastauftritte in den Shows, der Medienrummel. Sogar das, was von der Regenbogenpresse als Glamour verkauft wird, kann langweilig werden.“

      „Ist das der Grund, dass Sie zurück nach Deutschland wollen?“

      „Sie stellen vielleicht Fragen. Wie kommen Sie denn darauf?“

      „Ich dachte, ich hätte das zwischen den Zeilen herausgehört. Mir scheint, Sie haben genug von Amerika.“

      „Dann haben Sie aber gute Ohren.“ Sie zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden werde. Das muss die Lesereise ergeben. Vielleicht ergeht es mir mit Deutschland wie mit Amerika. Wenn ich lange genug hier gewesen bin, zieht es mich wieder zurück.“

      „Nach Boston?“, stocherte Frank herum, in der Hoffnung, das Gespräch in eine Richtung zu lenken, die ihm hinsichtlich dieses Briefes mit der angeblichen Drohung ihres Exmannes weiterhelfen könnte.

      „Boston ist eine Millionenstadt und weist sicherlich viele interessante Aspekte auf.“

      „Aber?“

      „Aber Boston wird nie meine Heimat werden.“ Sie lachte auf. „Nun habe ich es ausgesprochen.“

      „Was?“, fragte Frank.

      „Das Wort, das ich vermeiden wollte. Heimat.“

      „Was ist daran so schlimm?“

      „Nichts. Und trotzdem.


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