Das Kreuz. Astrid Seehaus
Читать онлайн книгу.ein Orden?“, gurrte sie.
„Ein Sheriffstern“, entgegnete er dümmlich.
Der Versuch, die Frau von sich zu schieben, scheiterte an ihrem Alkoholpegel. Sie schien völlig enthemmt. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass es nicht Simone war.
„Lassen Sie das! Ich bin Polizist!“ Diese Argumentation kam ihm ebenso wenig intelligent vor wie seine Erläuterung zum Sheriffstern. Wo war er nur hineingeraten?
„Ich denke, du bist Sheriff? Wie originell, sich für unser erstes heißes Date zu verkleiden.“
Eine flusige Boa umschlang seinen Hals und der Geruch von Mottenkugeln reizte ihn zum Niesen. Der Hut rutschte ihm vom Kopf.
Während er den Niesreiz zu unterdrücken versuchte, fummelte sie weiter an ihm herum. Was für eine absurde Situation, dachte er und musste sie daran hindern, den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen.
„Wo sind die anderen?“, wollte er wissen.
„Welche anderen?“, grunzte sie.
Er stutzte. Sie hatte Recht. Welche anderen? Ganz offensichtlich waren sie allein. Er war im falschen Haus! Aber das konnte doch nicht sein! Straße und Hausnummer hatte er mehrmals überprüft.
Neureiter und seine Scherze!
Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, während er sich ihren fleischigen Armen entwand.
„Wo wolltest du denn hin, schöner Mann?“, lallte sie und ließ sich schwer atmend auf die nächstbeste Sitzgelegenheit sinken: eine Chaiselongue. Einladend klopfte sie auf die freie Stelle neben sich. „Möchtest du mir nicht Gesellschaft leisten?“
Rothe überging die Frage und besorgte ihr ein Glas Wasser aus der Küche.
„Trinken Sie, dann wird es Ihnen besser gehen“, setzte er an, als er ins Zimmer zurückkehrte, doch sie war in der Zwischenzeit eingeschlafen.
Das Glas stellte er auf das Beistelltischchen, bedeckte ihren leicht bekleideten Körper mit einer Decke und zog die roten Seidentücher von den Lampen, um einen Zimmerbrand zu vermeiden. Er nahm den Hut vom Boden und setzte ihn sich auf. An der Haustür stieß er auf einen jungen Mann.
Instinktiv zog Rothe die Tür hinter sich ins Schloss. „Wer sind Sie?“
Der junge Mann stellte sich als Ramon Fernandez vor.
„Ein Freund?“, fragte Rothe misstrauisch, ganz Polizist.
„Wie man’s nimmt“, war die ausweichende Antwort und reichte nicht, Rothes Vertrauen zu gewinnen.
Fernandez wollte sich an Rothe vorbeischieben, doch der verstellte ihm den Weg. Fernandez zögerte. Rothes verschlossenes Gesicht machte klar, dass er wenig ausrichten konnte.
„Und wer sind Sie?“, fragte Fernandez schließlich.
„Sehen Sie doch“, entgegnete Rothe trocken und zeigte auf den blechernen Sheriffstern. „Der Sheriff von Heiligenstadt.“ Zum Abschied tippte er an die Krempe seines Cowboyhutes und verschwand in die Nacht.
***
„Wir haben Sie vermisst. Wo waren Sie denn?“, krähte Neureiter, kaum dass Rothe in frostiger Laune den Raum betreten hatte. Sein freier Dienstag war von einem Wasserrohrbruch bestimmt gewesen und den vergeblichen Versuchen, Simone zu erreichen. Fasching hätte er am liebsten aus dem Gedächtnis gestrichen.
Als er Neureiter sah, stand ihm der verpatzte Rosenmontag wieder lebhaft vor Augen.
„Ich hatte zu tun“, knurrte er unfreundlich.
Mit schnellen Schritten ging er zum Schreibtisch und stürzte sich aufs Telefon, um Arbeitseifer vorzutäuschen. Aber Neureiter konnte ein ausgemachter Sturkopf sein. Sein bohrender Blick klebte an Rothe wie Kaugummi. Bei Vernehmungen war das nicht die schlechteste Taktik. Rothe knirschte mit den Zähnen, als auch das Telefon ihm nicht half, einem Gespräch zu entgehen. Das Besetztzeichen tutete laut und deutlich durch den Raum.
Genervt knallte er den Hörer auf die Gabel und herrschte: „Ich war da. Nur war da, wo ich war, keine Feier.“ Die Frau zu erwähnen, die Neureiter auf ihn angesetzt hatte, war unter seiner Würde.
„Sondern?“, fragte Neureiter neugierig.
„Sondern was?“, entgegnete Rothe und spießte seinen jungen Kollegen mit einem eiskalten Blick auf.
„Wer war denn da, wenn nicht wir?“, fragte dieser unerschrocken.
Rothe antwortete nicht, und Neureiter platzte heraus: „Niemand? Und wann ist Ihnen das aufgefallen? Kann es sein, dass Sie uns nicht gefunden haben?“
„Sie selbst haben mir doch die Straße genannt, warum sollte ich Sie da nicht finden?“, entgegnete Rothe.
„In Kallmerode?“
„Wieso Kallmerode?“, fragte Rothe.
Neureiter zuckte die Achseln und sah ihn abwartend an.
„In Kallmerode?“, wiederholte Rothe ungläubig.
Er unterließ es, sich anmerken zu lassen, dass er sich nun wirklich wie ein Idiot vorkam, und schnappte sich eine Akte vom Stapel.
Sture Bäcker tauchte auf. Noch mehr als Rothe schien er den Aschermittwoch für den Tag des Grauens zu halten, die Tränensäcke hingen ihm bis zu den Kniescheiben.
„So ein Scheiß!“, fluchte er vor sich hin. „So ein Scheiß!“
Neureiter wurde auf einmal erstaunlich wortkarg. Rothe ignorierte Bäcker. Wenn der was sagen wollte, tat er das auch ohne Aufforderung. Simone Nolte betrat den Raum, gönnte Rothe nicht das kleinste Lächeln, als sie ihm mitteilte, dass der Vorgesetzte Moritz Klages ihn sehen wolle, und verschwand wieder. Bäcker fluchte weiter vor sich hin.
„Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen“, erbarmte sich Neureiter, und Bäcker blaffte: „Das mache ich nie wieder, mit meinen Enkeln zum Teistunger Kinderfasching zu fahren. Die haben uns nicht am Tisch sitzen lassen, meinten, es wäre alles schon belegt, obwohl es genügend freie Plätze gab. Der halbe Saal war leer und wir mussten stehen. Wir haben genauso Eintritt bezahlt wie die.“
„Ist wie mit dem Badehandtuch auf den Liegen. Da wird ein Handtuch auf die Liege gelegt und dann geht derjenige erst einmal frühstücken. Hättest du dich doch einfach hinsetzen müssen.“
„Nee, der Spaß war mir dann auch vergangen.“
Neureiter zuckte die Achseln. „Wie bei der Kirmes in Worbis. Da musste man zwei Mal Eintritt bezahlen: einmal, um auf den Platz zu kommen, das zweite Mal für das Karussell. Ist ja dann auch keiner hingegangen. Ach Sture, jetzt reg dich aber ab! So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht!“
Rothe verließ den Raum, und Bäcker sah ihm nach. „Und was ist mit dem?“
„Was soll sein?“, tat Neureiter ahnungslos und vertiefte sich wieder in seine Unterlagen.
„Das ist nicht Ihr Ernst?“, meinte Rothe bissig, nachdem Klages ihn mit einer Aufgabe betraut hatte, die ihm weder lag noch interessierte.
„Wissen Sie, wer das ist, der da gerade mein Büro verlassen hat?“, fragte Klages ungerührt.
Simone Nolte war während des Gespräches zugegen und verzog keine Miene, während Rothe sich mühsam unter Kontrolle hielt.
„Der Landrat“, beantwortete Klages seine eigene Frage.
„Das ändert aber nichts an meiner Einstellung“, entgegnete Rothe.
„Sie ist eine Erfolgsautorin aus Amerika und genießt momentan die Gastfreundschaft des Landrates.“
„Das fällt nicht in meinen Aufgabenbereich. Wieso nehmen Sie nicht jemanden, der …“
„Wir wollen doch niemanden vor den Kopf stoßen. Sie wissen, was ich meine, Kollege?“
Nein,