Tod im Thiergarten. Horst Bosetzky

Читать онлайн книгу.

Tod im Thiergarten - Horst Bosetzky


Скачать книгу
Wie herrlich leuchtet

       Mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur!

       Es dringen Blüten

       Aus jedem Zweig, Und tausend Stimmen Aus dem Gesträuch …

      Hier stockte Dove, aber Dr. Danewitz war nach kurzem Überlegen in der Lage, auch die dritte Strophe beizusteuern:

       Und Freud’ und Wonne

       Aus jeder Brust. O Erd’, o Sonne! O Glück, o Lust!

      Die Lust hatten sie zunächst einmal beim Frühschoppen im »Hofjäger«. Nachdem sie ihr Viertele getrunken hatten, machten sie sich auf den Weg, um quer durch den Thiergarten in weitem Bogen zum Brandenburger Thor zu laufen.

      »Eigentlich habe ich ja die Aufgabe, eine angemessene Sommerwohnung für meine Frau und unsere Töchter zu suchen«, erklärte Dr. Danewitz. »Aber das wird ein so teurer Spaß, dass ich erst einmal erkläre, nichts Passendes gefunden zu haben. Was planst du denn in dieser Hinsicht?«

      Dove verzog das Gesicht. »Eigentlich nichts, denn mein Geldbeutel ist nicht gerade prall gefüllt.«

      »Die Friedrich-Wilhelms-Universität sollte dir endlich eine Professur geben!«, rief Dr. Danewitz. »Jetzt, wo du schon fünf Jahre Mitglied der Akademie der Wissenschaften bist.«

      »Das mit der Professur wird wohl noch ein Weilchen dauern«, sagte Dove. »Es gibt da immer jemanden, der einem vorgezogen wird. Aber wie sieht es denn mit deinem Avancement aus?«

      Nun war es an Dr. Danewitz, hörbar aufzustöhnen.

      »Der Dr. Wiesenburg intrigiert ständig gegen mich, weil ich ihm angeblich zu liberal bin. Nur weil ich zufällig einmal mit Ludwig Kalisch im Café gesessen und mit ihm geplaudert habe.«

      Sie selbst plauderten noch über dieses und jenes, bis Dr. Danewitz mit zusammengebissenen Zähnen hervorstieß, dass er es nun nicht länger aushalten könne. »Meine Blase …«

      »Gott!« Dove musste trotz der Not des Freundes ein wenig schmunzeln. »Pass bloß auf, dass es dir nicht so ergeht wie dem wackeren Tycho de Brahe …«

      »Was ist mit dem?«, presste Dr. Danewitz hervor.

      »Der hat nicht nur bei einem Duell einen Teil seiner Nase verloren, sondern ist auch an Harnverhaltung gestorben, genauer gesagt an einem Riss in seiner Blase.«

      Das war zu viel für den Geheimen Oberregierungsrath: Er stürzte in die Büsche - mochte er, wurde er gesehen, auch noch so viel seiner Reputation einbüßen.

      Dove wartete geduldig am Wegesrand und sah den Wolken hinterher. Plötzlich aber fuhr er zusammen, denn der Freund hatte einen Schrei ausgestoßen, der von heftigem Erschrecken kündete.

      »Doch die Blase?«, rief er ins Unterholz hinein.

      Da kam Dr. Danewitz auch schon auf ihn zugestürzt.

      »Nein, da baumelt ein Mann an einem Ast … Da hat sich einer aufgehängt!«

      Der Criminal-Commissarius Waldemar Werpel nutzte wie jeden Sonntag den Frühstückstisch, um seinen Kindern - acht waren es - einen der Höhepunkte preußischer Geschichte nahezubringen.

      »Welchen Tag haben wir, Johannes?«

      »Den 28. Juni des Jahres 1815, Vater.«

      »Vorzüglich, wie aus der Pistole geschossen!« Werpel nahm seinen Kaffeetopf und setzte ihn in die Mitte des Tisches. »Dieses hier ist das kleine Städtchen Waterloo in der belgischen Provinz Brabant, fünfzehn Kilometer südöstlich von Brüssel. Folgt man in südlicher Richtung der Straße nach Charleroi, so trifft man wenige Kilometer von Waterloo entfernt auf zwei Höhenrücken. Hier …«, er markierte diese mit zwei Messern, »… zwischen diesen Erhebungen tobt dann die Schlacht, die das Ende von Napoleon Bonaparte mit sich bringt. Und wer hatte entscheidenden Anteil am Sieg der Verbündeten?«

      »Der Rittmeister Waldemar Werpel!«, kam es im Chor.

      »Und wo hat ihn die Kugel des Feindes getroffen?« Wilhelm glaubte es zu wissen. »In den Hintern.«

      »Setzen! Unsinn! Beim Dorfe Plancenoit. Und was hat der englische Heerführer Wellington flehentlich gerufen?« Marie hatte gut aufgepasst. »Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen.«

      »Sehr gut, meine Tochter. Und warum sprechen die Engländer von der Schlacht bei Waterloo, wir Preußen aber von der Schlacht bei Belle-Alliance?«

      Emil, der Kleinste, wollte auch einmal belobigt werden und sagte, dies sei so, weil ihre Tante Auguste am Belle-Alliance-Platz wohne.

      »Nein, mein Sohn, die Schlacht heißt so, weil …« Niemand wusste es, und so wurden alle belehrt, dass Wellington sein Hauptquartier bei Waterloo gehabt habe, während die Preußen dem Meierhof Belle-Alliance die größere Bedeutung beimaßen, weil sich dort das französische Zentrum befunden habe.

      »Nun lass es einmal gut sein, Waldemar!«, sagte seine Frau.

      »Wie du meinst, Minna.« Ein wenig verstimmt suchte Werpel nach anderen Gesprächsthemen. »Was habt ihr denn zuletzt in der Schule durchgenommen, Kinder?«

      Der Große meldete sich und bekam das Wort erteilt.

      »Da war einer beim König, einer aus Persien, und der will einen Garten bauen, wo auch im Winter was wächst.«

      Werpel musste einen Augenblick lang überlegen, was gemeint war. »Ach, du meinst den Persius! Aber der kommt nicht aus Persien, sondern aus Potsdam, und der will am Thiergarten ein Treibhaus bauen, einen Wintergarten. Das ist ein Haus aus Glas, und das wird im Winter geheizt, so dass du drin sitzen kannst, ohne dass du dich tot frierst.«

      Johannes lachte. »Kann sich auch einer lebendig frieren?«

      Werpel hob die Hand. »Du kriegst gleich ’n paar hinter die Ohren!« In diesem Augenblick wurde heftig am Klingelzug gerissen. Werpel war so wütend über diese Störung, dass er ins Berlinische fiel. »Wat soll denn der Quatsch! Sonntagsruhe is wie Friedhofsruhe, und wer die stört, den bring ick in de Hausvogtei.«

      Doch das konnte er mit dem Mann, der draußen stand, schlecht machen, denn das war der Constabler Krause, der in strammer Haltung Meldung machte.

      »Im Thiergarten hat sich eena uffjehängt, und Sie sollen bei ihm komm’!«

      »Beim Erhängen tritt der Tod durch plötzliche Unterbrechung beziehungsweise starke Drosselung der Blutzufuhr zum Gehirn ein«, erklärte der Arzt Dr. Friedrich Kußmaul den Umstehenden. »Der Körper hängt frei, die Fußspitzen befinden sich etwa fünf Zoll über dem Boden. Es ist davon auszugehen, dass der Selbstmörder auf diesen Baumstumpf hier geklettert ist. Danach hat er seinen Strick mit einer Schlaufe um den Ast geworfen, der schräg über ihm hängt, und festgezogen, um sich eine Schlinge um den Hals zu legen, den Strick fest zu verknoten und schlussendlich in den Tod zu springen. Sie sehen hier an den Beugeseiten seiner Finger noch Fasern. Das kommt vom Festziehen des Strickes.«

      Werpel dankte dem Mediziner und wandte sich an einen der herbeigeeilten Constabler. »Abschneiden und dann ins Leichenschauhaus. Der Wagner soll sich darum kümmern.«

      Das erste Berliner Leichenschauhaus für die Stadtphysici, wie die Rechtsmediziner anfangs hießen, war 1811 errichtet worden. Wegen der unzumutbaren Bedingungen dort wurden ab 1839 Räume des Leichen- und Sektionshauses der Charité für diesen Zweck genutzt. 1833 war an der Friedrich-Wilhelms-Universität die »praktische Unterrichtsanstalt für die Staatsarzneikunde« gegründet worden, wobei unter dieser Bezeichnung die Gerichtliche Medizin und die Medizinalpolizei zusammengefasst waren. Erster Lehrstuhlinhaber war der gerichtliche Stadtphysicus Wilhelm Wagner, der die Staatsarzneikunde auch als akademisches Fach etablierte.

      Nachdem man den Toten abgeschnitten und auf den Wagen gelegt hatte, wandte sich Werpel an die Umstehenden und fragte


Скачать книгу