Berliner Leichenschau. Horst Bosetzky

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Berliner Leichenschau - Horst Bosetzky


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es lachend ausdrückte. Er achtete anhand seines GPS-Gerätes streng darauf, dass die Gruppe die Geschwindigkeit von 4,5 Stundenkilometern nicht unterschritt. Tat sie das doch einmal, rief er den anderen zu, dass man eine Wandergruppe und keine Seniorengruppe sei, die vor ihrem Heim spazieren ging. »Ihr schiebt doch noch keinen Rollator vor euch her!«

      Die erste Verzögerung gab es, als Medea Meier-Ebersbach mit großer Geste eine mitgebrachte Kartoffel auf die Grabplatte Friedrichs des Großen legte und dabei aus seinen Randverfügungen zitierte.

      Für eine zweite Verzögerung sorgte Bo Rommerskirchen, der eigentlich Boris mit Vornamen hieß, aber nicht an Boris Becker erinnert werden wollte und deshalb die zweite Silbe wegließ. Da Bo ein schwedischer Vorname war, dachten viele, er käme aus dem Pippi-Langstrumpf-Land, was er gern mit dem Kalauer »Ich komme nicht aus Schweden, sondern aus Schwedt« kommentierte. Da er recht beleibt war, empfand er die Wanderung im Gegensatz zu den anderen als beschwerlich. Keuchend warf er sich, endlich oben auf dem Ruinenberg angekommen, ins Gras und verlangte eine Pause.

      Doch kurze Zeit später drängte der ruhelose Ludger Krügelstein zum Weitergehen. »Kinder, unsere Durchschnittsgeschwindigkeit ist schon auf 3,3 Stundenkilometer abgesunken! Manche Schildkröte ist schneller als ihr.«

      »Soll ich dich nun erschlagen«, brummte Bo Rommerskirchen, »oder reicht es, wenn ich dein blödes Gerät zertrete?«

      Trotz des Gejammers ging die Gruppe zunehmend schneller, denn die Gewitterfront rückte näher und näher. Ohne weiteren Zwischenhalt kamen sie bei der Glienicker Brücke an, und für Ludger Krügelstein, der jede Wanderung genauestens protokollierte, gab es diesmal nichts Bedeutendes zu notieren. Dann aber ereignete sich doch noch ein merkwürdiger Zwischenfall.

      Vor ihnen lief eine Joggerin mit auffallend knapp geschnittener Kleidung, als plötzlich ein Radfahrer neben ihr hielt, absprang und sie festhalten wollte.

      »Lass mich in Ruhe!«, schrie die Joggerin, stieß den Mann zur Seite und lief weiter Richtung Moorlake.

      Der Mann schwang sich wieder auf sein Rad, kehrte um und radelte an ihnen vorbei zurück zur Glienicker Brücke.

      Sie hätten das Ganze wohl noch des Längeren diskutiert, wäre nicht in diesem Moment ein Sturm losgebrochen, der sie, als seien sie trockene Blätter, das Havelufer entlangwehte. Und schon setzte ein Platzregen ein, der Donner rollte derart, dass ihnen das Trommelfell zu platzen drohte, und kurz hinter ihnen fuhren schon die ersten Blitze nieder. Mit Müh und Not und schon ein wenig durchnässt, erreichten sie das Wirtshaus Moorlake und waren erst einmal in Sicherheit. Wie die Medien später berichten sollten, waren sie in eines der schwersten Gewitter geraten, die Berlin seit Jahren erlebt hatte.

      Hungrig von der Wanderung, bestellten sie sich rasch etwas zu essen und zu trinken. Die beiden Männer entschieden sich für Bollenfleisch.

      Katharina Krügelstein fragte, ob denn alle wüssten, was im Berlinischen Bollen seien.

      »Na, Bollen sind Zwiebeln«, war die Antwort von Medea Meier-Ebersbach. »Und so nennt man auch die Löcher in den Strümpfen.«

      »Das stimmt, aber Bollen bedeuten auch noch Hoden. In Zilles Hurengesprächen etwa tritt eine Frau namens Bollenjuste auf.«

      »Ah«, rief Bo Rommerskirchen, »daher also kommt der Ausdruck ›Du kannst mir mal die Bollen lecken‹.«

      Medea Meier-Ebersbach verzog angewidert die Nase, worauf Bo Rommerskirchen herzlich lachte.

      Während sie aßen, zog das Gewitter langsam ab, und als Ludger Krügelstein nach dem letzten Bissen auf sein GPS-Gerät blickte, schrie er erschrocken auf. »Unser Gesamtschnitt ist auf 2,9 Kilometer pro Stunde abgesunken. Nun aber los!«

      »Aber bitte mit ’ner Taxe!«, erwiderte seine Frau. »So quatschnass, wie ich noch immer bin, wandere ich nicht gern.«

      »Das kommt nicht in Frage!«, rief Bo Rommerskirchen, der sich wegen seines Geizes bei den anderen schon öfter unbeliebt gemacht hatte. Aber es war nur seine Erfolglosigkeit als Schauspieler, die ihn zur Sparsamkeit zwang.

      »Ich habe ebenfalls keine Lust, bis zum S-Bahnhof Wannsee zu laufen«, maulte jetzt auch Medea Meier-Ebersbach.

      Katharina Krügelstein suchte nach einem Kompromiss. »Was hieltet ihr davon, wenn wir quer durch den Wald zur Königstraße gehen? Da fährt ein Bus zum Bahnhof Wannsee.«

      Der Vorschlag wurde mit einer Gegenstimme angenommen, nur Ludger Krügelstein hatte missmutig dagegen gestimmt, denn er hätte zu gern auch heute seine zwanzig Kilometer geschafft. Sie zahlten und machten sich sogleich auf den Weg Richtung Süden. Ludger Krügelstein hatte eine Karte bei sich, und so lag die Wahrscheinlichkeit, sich zu verlaufen, nur bei 27, 23 Prozent, wie seine Frau einmal anhand seiner bisherigen diesbezüglichen Heldentaten ausgerechnet hatte.

      Als sie den Punkt erreicht hatten, wo es rechts hinter dem Schneewittchenweg etwas aufsteigend zum Finkenberg ging, hielt Bo Rommerskirchen plötzlich inne. »Da liegt doch jemand!«, rief er den anderen zu.

      Jetzt erkannten auch sie den leblosen Frauenkörper, der gekrümmt am Fuße einer mächtigen Buche lag. Der Sportkleidung nach musste es sich um eine Joggerin handeln.

      Da sich den gesamten Stamm der Buche eine schwarze Furche hinunterzog, schien offensichtlich, was sich hier ereignet hatte: Die Frau hatte Schutz vor dem gewaltigen Gewitter gesucht und war vom Blitz erschlagen worden.

      »Buchen sollst du suchen …«, murmelte Medea Meier-Ebersbach.

      Katharina Krügelstein, die einen Kurs in Erster Hilfe mitgemacht hatte, zog einen kleinen Spiegel aus dem Rucksack und hielt ihn der Joggerin vor den Mund. »Nichts. Die dürfte es erwischt haben.«

      Trotzdem forderte ihr Mann per Handy Feuerwehr und Notarzt an.

      Die morgendliche Zeitungslektüre gehörte für Gunnar Granow zu seinen dienstlichen Pflichten, denn als Mitglied einer Mordkommission konnte man auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn man ganz genau wusste, was in Berlin Tag für Tag geschah. Sein Anspruch, zu den gebildeten Ständen zu zählen, verbot ihm eigentlich die Lektüre aller Boulevardzeitungen, doch da bei einer von ihnen sein junger Freund Charly Packebusch tätig war, las er sie dennoch – schon wegen der literarisch so wertvollen Überschriften. Eine der heutigen besagte: 42-jährige Dichterin Verena Löwe aus Wannsee in der Nähe des Schäferbergs vom Blitz erschlagen.

      Dies hätte ihn nun nicht weiter interessieren müssen, denn Unfälle fielen nicht in sein Ressort, und den Herrgott konnte man schwerlich wegen fahrlässiger Tötung eines Menschen vor Gericht stellen. Doch in der darauffolgenden halben Stunde gab es zwei Anrufe, die dies änderten.

      Der erste kam von einem Architekten namens Krügelstein und schien im ersten Augenblick nicht weiter von Bedeutung zu sein.

      »Ich war gestern mit meiner Wandergruppe unterwegs«, berichtete ihm Herr Krügelstein, »und wir haben die Frau gefunden, die womöglich vom Blitz erschlagen worden ist.«

      »Sie meinen wohl den Unfall in der Nähe des Schäferbergs«, murmelte Granow.

      »Es sah tatsächlich alles nach einem Blitzschlag aus«, fuhr Krügelstein fort. »Allerdings ist mir heute früh eingefallen, dass wir auf dem Weg zwischen der Glienicker Brücke und dem Wirtshaus Moorlake eine kleine Szene beobachtet haben. Da hat ganz offensichtlich ein Radfahrer eine Joggerin belästigt. Das war kurz vor dem Gewitter.«

      »Und – ist er ihr gefolgt?«

      »Nein, er ist dann in die andere Richtung gefahren.«

      Granow überlegte einen Augenblick. »Haben Sie denn in der Toten unter der Buche vielleicht die Joggerin wiedererkannt, die belästigt worden ist?«

      »Nein, wir hatten sie nur von hinten und aus einiger Entfernung gesehen. Aber von der Kleidung her könnte sie es durchaus gewesen sein. Sie trug eine dunkle Jacke und eine blaue Hose, mit Regenbogenfarben abgesetzt.«

      »Vielen Dank, Herr Krügelstein, wir werden der Sache nachgehen.«

      Damit wäre der Fall für


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