Berliner Leichenschau. Horst Bosetzky

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Berliner Leichenschau - Horst Bosetzky


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er nach Zeichen von Hitzeeinwirkung an den Kopfhaaren, danach an den Körperhaaren. Auch hier war nichts Auffälliges festzustellen. Schwarz wandte sich an den Krematoriumsangestellten. »Herr Schulz, die Leiche darf auf keinen Fall verbrannt werden. Sie kommt in unser Institut – das wird eine gerichtliche Obduktion. Ich verständige sofort die Mordkommission. Meine Leute werden die Frau Löwe noch heute abholen.« Dann notierte Schwarz auf seinem Befundblock:

       Offene Schädel-Hirn-Verletzung am Hinterkopf mit großer Platzwunde und Impressionsfraktur. Sonst keine äußeren Verletzungen, insbesondere keine Kampf- oder Abwehrspuren, keine Würge- bzw. Drosselmarken, vor allem keine Zeichen elektrischer Energie.

      Anschließend rief Schwarz die Mordkommission an. Als sich sein alter Freund Granow meldete, sagte er: »Hallo, Gunnar, ich bin gerade im Krematorium bei Frau Verena Löwe, eurem angeblichen Blitzschlagopfer. Den Blitzunfall könnt Ihr vergessen. Beantragt gleich mal eine Obduktion beim Staatsanwalt! Die Frau hat eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung, und es sieht ganz nach einem Schlag auf den Kopf aus. Mich würde ja schon interessieren, wie die Theorie vom Blitzschlag zustande gekommen ist und wie die Frau unter den getroffenen Baum kam. Meine Sekretärin ruft euch an, wenn wir mit der Sektion beginnen.«

      Granow wollte jedoch rasch Ergebnisse sehen und drängte auf eine Sofortobduktion.

      »Also gut«, gab Schwarz nach, »wenn ihr von der ›M‹ ruft, sind wir selbstverständlich immer zur Stelle. Na, dann fangen wir heute Nachmittag um halb drei an.«

      Inzwischen war es dreizehn Uhr, und Schwarz knurrte der Magen. Geistige Nahrung reicht eben doch nicht, dachte er schmunzelnd. Wenn ihm seine belastende Tätigkeit mit Verletzten oder Getöteten den Appetit verderben würde, wäre er längst verhungert. Also auf zur nächsten Bäckerei! Natürlich hätte er auch in der Mensa des Uniklinikums essen können, doch dahin ging er immer seltener. Das lag nicht etwa an der Qualität des Mittagstisches, sondern daran, dass er dort kaum in Ruhe essen konnte. Alle Störenfriede, ob Kollegen, Mitarbeiter oder Studenten, nutzten die Gelegenheit zu einem Gespräch.

      Prof. Schwarz erreichte gegen vierzehn Uhr sein Institut. Der Leichnam von Frau Löwe war noch nicht eingetroffen, und so blieb ihm noch etwas Zeit. Schwarz ging in sein Dienstzimmer, fragte seine Sekretärin nach wichtigen Anrufen und sah den Posteingang durch.

      Gut zehn Minuten später rief der Sektionsassistent Walter Mann an und meldete die Ankunft der Leiche. Als Schwarz in den Sektionssaal kam, erwartete ihn Dr. Krell, der zweite Obduzent, bereits in voller Montur. »KHK Granow ist auch soeben eingetroffen«, sagte Krell. »Er trinkt im Sektionssekretariat noch einen Kaffee.«

      »Prima, dann können wir ja anfangen«, meinte Schwarz, und das eingespielte Team begann mit der Obduktion.

      Zuerst diktierte Prof. Schwarz die »Äußere Besichtigung« in sein Diktaphon. Als er sich der Schädelverletzung zuwandte, erschien Kommissar Granow mit dem Staatsanwalt Wolf. Nach kurzer Begrüßung setzte Schwarz sein Diktat fort. Detailliert wurden alle Körperregionen beschrieben, insbesondere der Kopf. Die Verletzung am Hinterkopf wurde vermessen, danach aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit angelegtem Maßstab fotografiert. Mit dem Auflichtmikroskop suchten die Rechtsmediziner auffällige Wundbestandteile, die von einem Hiebwerkzeug hätten stammen können. Aber es gab weder Partikelchen noch Abrieb etwa von Farbe, Kunststoff, Metall oder Holz zu sehen.

      Dann legte der Assistenzarzt die Sektionsschnitte unter Hilfestellung des Sektionsassistenten. Schwarz diktierte detailliert alle inneren Befunde, die Teil B des Sektionsprotokolls darstellten. Nach dem Ablösen der Kopfschwarte wurde eine länglich geformte und zur Scheitelhöhe hin rundlich begrenzte Fraktur im rechten Hinterhaupts- und Scheitelbein beschrieben, vermessen und fotografiert.

      »Sehen Sie sich hier diese längliche und terrassenförmige Impressionsfraktur im rechten Hinterhaupt an!«, sagte Schwarz und zeigte den Gästen den wesentlichen Befund. »Diese Bruchform spricht für einen groben Hieb mit einem länglichen und relativ schweren Gegenstand. Mal abwarten, wie es darunter aussieht, dann können wir uns über mögliche Tatwerkzeuge unterhalten.«

      Gegen achtzehn Uhr war die Leichenöffnung beendet, und Prof. Schwarz diktierte das »Vorläufige Gutachten«.

       I. Sektionsergebnis Leichnam einer bekannten, 42 Jahre alten, 165 cm großen und 72 kg schweren Frau. Schweres Schädel-Hirn-Trauma: 7 × 3 cm messende ausgedehnt unterblutete Platzwunde der Kopfschwarte am rechten Hinterkopf. Längliche terrassenförmige Impressionsfraktur von 8 × 3 cm Ausdehnung im rechten Hinterhaupts- und Scheitelbein. Berstungsbruchausläufer nach rechts unten bis in die Schädelbasis. Ausgedehnte Hirnprellung und -quetschung im rechten Hinterhaupts- und Scheitellappen. Hirnschwellung. Blutiges Hirnwasser in den Hirnkammern. Schaumige, blutige Flüssigkeit in der Luftröhre und ihren Ästen. Kleinfleckige Bluteinatmungsherde beiderseits. Leichte allgemeine Arteriosklerose. Zustand nach länger zurückliegender operativer Entfernung von Gallenblase und Wurmfortsatz.

       II. Todesursache: Schädelbruch mit Hirnverletzung.

       III. Ergebnis der Alkoholbestimmung aus Schenkelblut und Urin nach zwei Methoden: Venenblut 0,0 mg/g Ethanol, Urin 0,0 mg/g Ethanol.

       IV. Als Todesursache ist die schwere Schädel-Hirn-Verletzung festzustellen. Zum Zeitpunkt des Todes bestand keine alkoholische Beeinflussung. Es fanden sich keine wesentlichen vorbestehenden krankhaften Veränderungen, die unmittelbar mit dem Todeseintritt in Zusammenhang stehen könnten. Die näher beschriebene Schädelverletzung ist durch einen Hieb mit einem länglichen Gegenstand zu erklären, wobei der Hieb mit großer Kraft und / oder mit einem schweren Werkzeug ausgeführt worden sein muss.

       V. Für die Einwirkung elektrischer Energie, wie hier vermutet durch Blitzschlag, gab es keinerlei Hinweise, weder am Körper der Toten noch an ihrer Kleidung. Die Tötung durch eine Blitzeinwirkung kann ausgeschlossen werden.

       VI. Die Obduzenten behalten sich ein endgültiges Gutachten ausdrücklich vor.

       VII. Prof. Dr. med. Robert Schwarz, Dr. med. Hans Krell

      »Ich will noch einmal betonen«, sagte Schwarz ergänzend zu seinen Ausführungen, »dass es sich hier nicht um einen Blitzschlag handelt, denn es sind weder typische Beschädigungen von Bekleidung und Haut des Opfers vorhanden, noch gibt es irgendwelche Verbrennungsspuren oder gar die schönen Blitzfiguren.« Sogleich erklärte er den Begriff: »So heißen arborisierte Erytheme – farnkrautartige oder astförmig verzweigte Hautrötungen –, die ein Fachmann sofort erkennt. Vielmehr haben wir es eindeutig mit einer Tötung von fremder Hand zu tun. Wir vermuten einen kräftigen und gezielten Hieb mit einem länglichen Werkzeug von rundem Querschnitt, beispielsweise mit einem Metallrohr oder einem Baseballschläger. Charakteristische Spuren von einem Werkzeug fanden sich in der Wunde nicht. Der Schlag ist offenbar von hinten geführt worden. Für den Hergang ist außerdem noch von Interesse, dass die Frau nach dem Hieb mit größter Wahrscheinlichkeit sofort kampfunfähig war.«

      Kriminalhauptkommissar Granow sah Staatsanwalt Wolf an. »Dann müssen wir jetzt abklären, wie die Frau unter den vom Blitz getroffenen Baum gekommen ist«, resümierte er.

      »Ich muss noch hinzufügen«, meinte Schwarz, »dass es keinerlei Schleifspuren oder andere Hinweise auf einen Transport der Verletzten oder Getöteten gibt. Die Frau hatte auch keine Kampf- oder Abwehrspuren. Sie sollten überprüfen, welche Wohnhäuser in der Nähe der Einschlagstelle stehen. Womöglich konnte von dort jemand den Blitzschlag beobachten.«

      Gunnar Granow legte die Hand grübelnd ans Kinn. »Ist die Frau Löwe dort unter dem Baum getötet worden – oder ist sie als Leiche dorthin transportiert worden? Und war das vor oder nach dem Unwetter beziehungsweise dem Blitzeinschlag in die Buche?«

      »Wenn wir nur eine halbwegs zuverlässige Todeszeit hätten!«, entgegnete Schwarz. »Leider gibt es die nicht, denn beim Auffinden der Frau gingen alle von einem Blitzschlag aus, und dessen Zeitpunkt war ziemlich genau bekannt. Jetzt, nach dem abgelaufenen Zeitraum und längerer Kühlraumlagerung, ist eine nähere Bestimmung leider nicht mehr möglich. Außerdem gibt es bei einem natürlichen Tod auch keine kriminalistische oder rechtsmedizinische


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