Das Akkordeonspiel. Gerald Netsch

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Das Akkordeonspiel - Gerald Netsch


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schlag zurück, wenn du nicht aufhörst“, stößt sie hervor.

      „Versuchs doch, du Schlampe, wenn du das Echo verträgst“, höhnt er.

      Mama setzt sich, dem Geräusch nach, festen Willens zur Wehr. Es dringen nur noch Wortfetzen durch die geschlossene Tür. Immer wieder knallen Schläge auf schwitzende, nasse Körper ein, klatschen Handflächen auf blanke Haut. Mama schreit um Hilfe, spuckt um sich, beschimpft ihren überlegenen Gegner, handelt sich dafür weitere Prügel ein.

      Ich ziehe mir die Zudecke bis über die Ohren. Will nichts mehr hören. Die Neugierde ist erloschen. Leise, damit keiner es hört, weine ich vor mich hin. Meine Decke wird mit einem Schwung heruntergezogen.

      „Halt die Schnauze und schlaf endlich“, faucht mich mein Bruder an, der im Bett hinter mir schläft.

      Warum ist er nicht hinausgegangen, er, der ältere und größere? Warum hat er die beiden Streithähne nicht auseinandergebracht? Ich bin dazu noch zu klein. Aber, das nehme ich mir ganz fest vor, wenn ich groß bin, dann gehe ich dazwischen. Die sollen sich nicht mehr streiten. Ich will das nicht.

      Mein täglicher Kampf gegen den Kindergarten hat keinen Sinn. Ich füge mich einmal mehr dem unausweichlichen Schicksal und gehe Hand in Hand jeden Morgen mit Mama zum verhassten Kindergarten. Das Handhalten ist eine wohlbedachte Sicherheitsmaßnahme von Mama. Sie traut dem Braten nicht. Irgendetwas muss dieser kleine Knopf doch im Schilde führen. Nichts habe ich im Sinn. Mir ist es einfach langweilig geworden, jeden früh das gleiche Spiel zu spielen. So zieht langsam Ruhe ein. Ab und an gefällt mir sogar der Kindergarten. Immer dann, wenn wir auf die kleine Wiese gehen, oberhalb vom Schlachtbereich, dort kann ich Kühe und Schweine hören, wie sie brüllen, quicken, und dann den letzten Schuss erhalten. Einmal ist ein Bulle mit dem ganzen Gitter auf den Hörnern losmarschiert, hat einen Mann an die Hauswand gedrückt, bis er brüllend vor Schmerz zu Boden fiel und von anderen Leuten weggezogen wurde. Ich bewunderte den Bullen, der hatte sich gewehrt, hatte nicht das Schlimme mit sich machen lassen. „Ich will auch mal so werden wie der Bulle und mir nichts gefallen lassen“, präge ich mir ein.

      Einige Wochen später holt mich Mama wie immer vom Kindergarten ab und geht aber nicht durch das Werktor an der Freibank, sondern läuft mit mir quer durch den Gebäudekomplex zum Haupteingang.

      „Heute fahren wir mit dem Auto nach Hause. Es steht da vorn. Das ist aber unser Geheimnis. Versprichst du mir das?“, fragt sie und wartet auf die richtige Antwort.

      „Ja“, gebe ich brav zurück.

      Ich darf hinten einsteigen, Mama neben dem Fahrer, einem jungen braungebrannten Mann mit lockigen schwarzen Haaren. Mama ermahnt mich, artig sitzen zu bleiben und nicht in die Mitte der Sitzbank zu rutschen. Wir fahren die Straßen entlang, bis wir an einen leeren Platz kommen, wo weit und breit kein Mensch zu sehen ist, und halten dort an. Von Anfang an habe ich mich nicht angefreundet mit der Position ohne Aussicht hinter dem Vordersitz. Ich suche im vorderen Teil des Wagens etwas zu erspähen, was interessanter ist als der Stoffbezug vor mir mit den kleinen gelben Blumen. Das, was ich sehe, ist die Hand des Fahrers unter dem Rock von Mama und ihre Hand auf seiner Hose. Sie knetet den Hosenstoff, als wollte sie mit Teig Brot backen. Ihre Gesichter treffen sich und ihre Zungen lecken an den Lippen. Gerade will ich noch etwas in die Mitte rücken, um besser schauen zu können, da hat Mama mein Treiben erkannt und gibt mir mit der flachen Hand eine Backpfeife. Ich schnelle zurück, verkrieche mich auf den Platz, den sie mir zugewiesen hat.

      „Ach nein, das wird nichts. Der Junge ist mir zu neugierig. Wir machen demnächst was Gescheites aus, versprochen“, höre ich sie flüstern.

      Der Motor springt an, wir fahren auf direktem Wege nach Hause und steigen etwas oberhalb unseres Einganges aus.

      „Wehe dem, du verpetzt mich bei Papa. Du hast es versprochen“, ermahnt mich Mama nochmals ausdrücklich.

      Ich nicke. Vor dem Haus steht die mit den prallen Brüsten und der rauchigen Stimme. Sie hat ein knallrotes Kleid mit einem breiten, glänzenden schwarzen Gürtel an.

      „Ich will mich bei dir entschuldigen, Annemarie. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Der viele Alkohol, unsere kleinen Spielchen mit deinem Mann, als ich dann mit ihm allein war, ging es einfach durch mit mir. Ich mache mir seitdem solche Vorwürfe. Du bist doch meine beste Freundin. Sei wieder lieb mit mir, Anni, ich tue das nicht mehr, versprochen“, fleht Eva mit einem übertriebenen Augenaufschlag, den Kopf demütig zur Seite geneigt.

      Das Spiel zeigt Wirkung. Eigentlich hat Annemarie den Vorfall schon abgehakt. Es interessiert sie nicht mehr. Mit Paul hat sie abgeschlossen. „Wegen mir“, denkt sie für sich, „kann sie sich den Paul auf ihre großen Brüste schnallen. Mir egal.“ Der Akt des Verzeihens ist kurz und bündig.

      „Schon gut, vergessen die Geschichte. Das wird unsere Freundschaft auf keinen Fall zerstören“, sagt sie mit geschwellter Brust, die sie nicht hat, und gibt Eva einen versöhnenden Kuss auf die Wange.

      „Kannst dich ja gelegentlich revanchieren bei mir“, schießt sie noch nach.

      „Verstehe! Der mit dem Auto und den lockigen schwarzen Haaren. Kannst nicht lassen von ihm, gell? Sag Bescheid, wenn du meine sturmfreie Bude brachst. Mach ich doch gern für dich, Anni“, haucht Eva verschwörerisch.

      „Und du halt mir bloß deinen Schnabel. Hast du mich verstanden?!“, trichtert mir Mama nochmals ein.

      Wieder nicke ich brav und steige mit ihr die Stufen hinauf bis nach ganz oben. Falsch! Ganz oben ist es ja nicht. Über uns wohnen die mit dem großen Hund. Meine Mama ist öfters bei denen. Ich bin froh, wenn ich nicht mit muss, der Hund flößt mir Angst ein.

      An diesem Tag verschwindet Mama auch wieder nach oben, als sie mich in der Wohnung eingeparkt und meinen Bruder zum Aufpassen verdonnert hat. Kaum ist die Wohnungstür hinter ihr geschlossen, bekomme ich ein Buch an den Kopf. Der Große, so wird er von den Eltern genannt, hat überhaupt keine Lust, auf mich aufzupassen und seine eigene Art, mir das zu demonstrieren. Natürlich schreie ich sofort wie am Spieß, werfe mich auf den Boden und halte den Kopf. Damit habe ich ihn noch mehr aus der Reserve gelockt. Er zerrt mich hoch, schleift mich am Arm ins Schlafzimmer und gibt mir noch einen kräftigen Tritt mit dem Fuß, sodass ich auf Knien bis zum Schrank rutsche.

      „Halts Maul und geh mir nicht auf die Nerven“, zischt er böse. Ich sitze da wie ein Häufchen Unglück und schwöre mir, ihm alles irgendwann, wenn ich groß bin, heimzuzahlen. Mein Gefängnis verlasse ich, als die Stimme von Papa ertönt.

      „Wo ist Mutter?“, fragt er schroff meinen Bruder.

      „Weiß ich doch nicht, wo sie abgeblieben ist“, versucht der genauso zu antworten.

      Klatsch, hat er eine sitzen. Danach folgt die Erklärung.

      „So redest du nicht mit mir, merk dir das“, belehrt er den Großen, der genau sieht, wie ich ihn schadenfroh angrinse.

      „Weißt du, wo Mutti ist?“, kommt nun die Frage an mich.

      „Ja, weiß ich, Papa. Da oben ist sie“, antworte ich besonders lieb und zeige mit dem Finger zur Decke.

      Aus den Augenwinkeln heraus blicke ich zu meinem Bruder, der mir mit erhobener, geballter Faust Prügel ankündigt.

      „Wolfgang hat mir sein Buch an den Kopf geworfen und mich danach auch noch gehauen“, petze ich.

      „Warum machst du das?“, geht die Frage an den Übeltäter. Der zuckt mit den Schultern. Ihm fällt dazu nichts ein. Papa allerdings schon. Klatsch, gibt es die nächste Kopfnuss. „Das haste davon“, denke ich ketzerisch.

      „Hol die runter“, befiehlt er Wolfgang, der auch gleich losrennt.

      Nach einer Weile erscheint der Rest der Familie aus der oberen Wohnung. Mama hat einen leicht gläsernen Blick, die Wangen sind tiefrot eingefärbt und mit der Sprache holpert es.

      „Hast wieder gesoffen bei Meiers?“, schnauzt Papa vorwurfsvoll.

      „Na und, wenn schon, du machst auch, was du willst.“

      „Hast


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