Mörderische Bilanz. Christopher Stahl

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Mörderische Bilanz - Christopher Stahl


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      Der Schauplatz: Die Rheinhessische Schweiz

      Das Gebiet zwischen Bingen, Mainz, Worms und Alzey wurde 1816 der Provinz Hessen zugeschlagen, später gehörte es zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Seinen heutigen Namen Rheinhessen erhielt es 1819. Im Rahmen der Länderneuregelung wurde es nach dem 2. Weltkrieg Rheinland-Pfalz angegliedert.

      Es ist das größte zusammenhängende Weinanbaugebiet Deutschlands, dessen vielfältige Produkte (Müller-Thurgau, Kerner, Scheurebe, Faber, Bacchus, Huxelrebe, Silvaner, Riesling, Morio Muskat, Weißburgunder, Grauburgunder – Pinot Gricio –, Portugieser, Dornfelder, Blauer Spätburgunder, neuerdings auch wieder Gewürztraminer), in der ganzen Welt getrunken und geschätzt werden.

      Dem Teil Rheinhessens, der nördlich an das Pfälzische Bergland anschließt, hat man wegen seiner hügeligen Landschaft den bezeichnenden Namen Rheinhessische Schweiz gegeben.

      Hier, in Alzey und der näheren Umgebung, beginnt diese Geschichte und hier schließt sich auch wieder ihr Kreis. Die örtlichen und geschichtlichen Gegebenheiten orientieren sich an der Realität. Nur das Dörfchen Bernheim, das gibt es ebenso wenig, wie die handelnden Personen. Sie und ihre Geschichte sind frei erfunden. So frei, wie halt eben die Fantasie doch unwillkürlich und ohne Absicht durch die persönliche Lebenserfahrung gesteuert wird.

       Die wichtigsten Personen, die den Ablauf des Geschehens beeinflussen oder mit ihm verbunden sind:

      Der Hass ist wahrscheinlich ein ebenso mächtiger Urtrieb, wie Liebe und Hunger.

       (Arthur Schnitzler)

      1. Kapitel Dienstag, 23. September 2003, 7.30 Uhr (Herbstanfang)

      Das Telefon riss uns unbarmherzig aus dem Ansatz frühmorgendlicher Zärtlichkeit. „Lass es klingeln!”, flüsterte Sonja liebevoll.

      „Darius, geh ran, wenn du da bist!” Heriberts sachliche Stimme aus dem Anrufbeantworter wirkte auf uns so ernüchternd wie ein Kübel Eiswasser.

      Mit missmutigem Brummen nahm ich den Hörer ab. „Du nervst! Was ist los?”

      „Was los ist? Mir liegt ein Ersuchen auf Amtshilfe von der Policia de Investigatión Criminal auf La Palma wegen eines Verbrechens an einem deutschen Residente vor. Wieder einmal ein Kollege von dir. Kennst, oder besser gesagt, kanntest du …”

      Mehr erfuhr ich erst ein paar Stunden später, Sonja hatte nämlich den Störenfried abgekoppelt, indem sie das Kabel aus der Anschlussdose und mich in ihren Bann gezogen hatte.

      Ich erinnerte mich jedoch beim Frühstück wieder daran, dass ich vor vier Tagen, abends gegen 22 Uhr 30 einen merkwürdigen Anruf erhalten hatte.

      „Herr Schäfer?”, flüsterte ein Mann ängstlich.

      „Was kann ich für Sie tun?”, fragte ich unsicher.

      „Sie kennen mich nicht, aber ich muss dringend mit Ihnen sprechen.” Der Anrufer sprach so zögerlich und leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Andererseits ließ er mir keine Möglichkeit für Zwischenfragen, meine Ansätze gingen in seiner hörbaren Aufgeregtheit unter.

      „Es ist sehr wichtig. Ich kenne Ihren Namen aus einem Artikel im deutschsprachigen Wochenspiegel Wir sind Berufskollegen. Mein Name ist … was soll das … lass das … das ist doch verrückt … man kann doch über alles re… meine Tochter …” Dann wurde die Verbindung abrupt getrennt. In der Leitung war nur noch ein Rauschen. Ich zuckte ratlos mit den Schultern und legte auf. Tatsächlich vergaß ich die Sache. – Bis zu dem Anruf von Heribert. Mir fiel plötzlich in Verbindung mit „La Palma” ein, dass es sich bei dem von dem mysteriösen Anrufer erwähnten deutschsprachigen Wochenspiegel um ein wöchentlich erscheinendes Journal handelte. Es wurde auf den Kanaren vertrieben und somit auch auf La Palma.

      Nun war natürlich meine Neugierde geweckt. Zum Missfallen von Sonja unterbrach ich unser trautes Frühstück und rief Heribert in der Polizeiinspektion Alzey zurück.

      „Was wolltest du in aller Frühe, wenn anständige Menschen noch im Tiefschlaf sind?”, eröffnete ich das Gespräch etwas zu forsch und bevor Heribert sich melden konnte. Ich wollte ihm keine Gelegenheit geben, Rückschlüsse wegen des rüde unterbrochenen Telefonats zu ziehen. Seine Fantasie lieferte ihm auch ohne meine Unterstützung genug Stoff für boshafte Bemerkungen. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass jemand anderes als er das Telefon in seinem Büro abnehmen könnte.

      „Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, irgendjemanden, mit dem ich auch noch per du sein soll, zwischen Mitternacht und Morgen angerufen zu haben”, klärte mich eine energische, aber nicht unsympathische Frauenstimme auf.

      Mit einem kurzen Blick auf das Display meines Telefons versicherte ich mich, dass ich tatsächlich die korrekteTelefonnummer gewählt hatte. Ich wollte dennoch gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, als ich Heribert im Hintergrund sagen hörte:

      „Das könnte für mich sein. Wer ist dran?”

      Trotzdem offenkundig die Sprechmuschel zugehalten wurde, konnte ich die Fortsetzung des Dialogs auf der anderen Seite, wenn auch nur leise, mitverfolgen.

      „Das weiß ich nicht, er hat seinen Namen nicht genannt.”

      Dann hörte ich kurzes Tuscheln und endlich die vertraute Stimme von Heribert:

      „Kriminalhauptkommissar Koman, guten Tag! Mit wem spreche ich bitte?”

      „Ja, du hast richtig getippt. Es ist für dich. Hast du neuerdings eine persönliche Sekretärin, die dich abblockt?”, versuchte ich sofort seiner zu erwartenden bissigen Reaktion auf die abrupte und stilwidrige Unterbrechung unseres frühmorgendlichen Telefonates auszuweichen.

      „Du willst nur ablenken”, knurrte er.

      „Ablenken? Weshalb? Wovon?”, tat ich ahnungslos.

      „Du weißt schon, was ich meine. Weshalb hast du ohne erleuchtende Offenbarung den Hörer aufgelegt?!” Das war keine Frage, sondern klang eher wie eine Rüge.

      „Hatte ich nicht klar und deutlich gesagt, dass du nervst? Das sollte doch wohl genügen. Aber Zaunpfähle sind bei dir ja wirkungslos, also musste es der ganze Lattenzaun sein!”, setzte ich mich zur Wehr. Ich wollte dann aber aus dieser Mücke keinen Elefanten machen und fuhr daher in beschwichtigendem Tonfall fort. „Nun sag schon, was gibt es denn so Wichtiges?”

      „Das ist nichts fürs Telefon.”

      „Sag schon, damit ich wenigstens weiß, was mir droht”, drängelte ich.

      „Na gut. Erstens benötige ich deinen Rat als Quasikollege und als Angehöriger des steuerberatenden Berufsstandes, so heißt das doch wohl in eurem offiziellen Jargon.”

      „In dieser ungewöhnlichen, fast schon bizarren Kombination steckt eine extravagante Herausforderung”, reagierte ich süffisant. „Hoffentlich nicht wieder so ein Job, der mit viel Ärger und dafür wenig oder gar keinem Honorar verbunden ist. Und zweitens …?”

      „Was zweitens!?”, fragte Heribert verwirrt.

      „Du sagtest, dass du erstens meinen Rat brauchst. Also folgt nach Adam Riese zweitens – schon vergessen?”

      Heribert ging nur knapp darauf ein. „Zweitens, weil du dich mit den Gegebenheiten auf La Palma etwas auskennst. Könntest du also sofort zu mir kommen, oder soll ich …”

      Ich unterbrach ihn mit einem Blick auf Sonja, die unser Telefonat mit Kopfschütteln


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