Mörderische Bilanz. Christopher Stahl
Читать онлайн книгу.der Beurteilung – das war die Überschrift. – Bedienstete sind unabhängig von Beurteilungen auf Leistungs- und Verhaltensmängel aufmerksam zu machen. Ihnen ist rechtzeitig Gelegenheit zur Beseitigung dieser Mängel zu geben. Die Art und Weise, in der sich der Beurteilungsprozess vollzieht, ist von wesentlicher Bedeutung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und für die Transparenz des Beurteilungsverfahrens. Sie eröffnet zugleich die Möglichkeit der Standortbestimmung der Beurteilten und der Rückkopplung für die Vorgesetzten. Deshalb haben vor allem die vorbereitenden, begleitenden und abschließenden Gespräche besonderes Gewicht. Das Beurteilungsverfahren soll, um eine geschlechtsbezogene Benachteiligung auszuschließen, diskriminierungsfrei und geschlechtsneutral sein und …”
An dieser Stelle unterbrach er sich plötzlich und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als würde er mich erst in diesem Moment wahrnehmen.
„Was hast du da gesagt? Du hast vor vier Tagen, am …” Er warf einen Seitenblick in seinem Tischkalender. Dann nahm er einen E-Mail-Ausdruck zur Hand, den er ebenfalls kurz überflog und sah mich nachdenklich an. Blitzschnell hatte er auf die sachliche Ebene umgeschaltet und war endlich wieder der „Alte.”
Ich sollte es bald bereuen.
„Dagmar, lässt du uns jetzt bitte alleine?”
Sie beteuerte, dass sie das auch gerade hatte vorschlagen wollen, nickte mir freundlich zu und verschwand durch die Tür. Heribert wartete bis sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, bevor er fortfuhr.
„Ja, dann muss es tatsächlich am Freitag dem 19. gewesen sein. Du sagst also, dass du einen Anruf bekommen hast? Um was ging es dabei?”
„Ich kann mir keinen Reim darauf machen”, begann ich zögernd. „Ein Mann, er muss schon älter gewesen sein, er flüsterte ängstlich meinen Namen.”
„Kam dir die Stimme bekannt vor?”
„Nein. Der sprach auch so leise. Ich fragte dann, um was es denn geht. Und er sagte, auch …, warte, jetzt entsinne ich mich wieder: Er sagte auch, dass ich ihn nicht kenne, aber wir wären Berufskollegen und er müsse mich dringend sprechen und es wäre wichtig. Na ja, er war überaus aufgeregt. Oder sagte er sehr wichtig?”
Ich blickte Heribert fragend an, als ob er mir die Antwort darauf geben könne. Er hatte während meiner Schilderung mehrmals auf seine Uhr gesehen und kurze Notizen auf einem Stück Papier gemacht. Trotzdem schien er mir zugehört zu haben. Auf meine eigentlich sinnlose Frage reagierte er jedenfalls mit Schulternzucken. Dann bedeutete er mir mit einer Handbewegung fortzufahren, schloss dann aber doch erst einmal einen Fragekatalog an.
„Woher kannte er dich eigentlich? Was wollte er? Weshalb rief er gerade dich an? Hat er seinen Namen genannt?”
„Es war wirklich merkwürdig. Er sagte, er sei durch einen Artikel im deutschsprachigen Wochenspiegel auf mich gestoßen. Später erst ist mir eingefallen, dass es sich dabei um das wöchentlich erscheinende Journal handeln könnte, das auf den Kanaren vertrieben wird, auch auf La Palma.”
„Und seinen Namen?”, hakte Heribert nach, „hat er den denn nicht genannt?”
„Nein, dazu kam er nicht. Ich entsinne mich zwar, dass er dazu ansetzte. Dann stammelte er aber etwas wie: Wassoll denn das .., das ist doch idiotisch …, lass das …, wir können doch darüber reden …, meine Tochter … So, als ob er verwirrt war. Und dann war die Verbindung auf einmal unterbrochen. Es knackte nur noch in der Leitung. Da habe ich aufgelegt.”
Wieder sah Heribert auf seine Uhr. „Um welche Zeit war das?”
„Das muss so gegen 22 Uhr 30 gewesen sein. Ich weiß das daher so genau, weil Sonja kurz danach von der Chorprobe ihrer Gesangsgruppe in Siefersheim bei mir vorbeikam.”
Heribert schüttelte den Kopf und blickte noch einmal auf den E-Mail-Ausdruck. Dann stellte er lakonisch fest,
„Das kann nicht sein.”
„Natürlich kann das sein, weil nämlich …”
Ohne zu realisieren, dass ich zu einer Erklärung angesetzt hatte, unterbrach mich Heribert, um seinen Gedankengang fortzusetzen.
„Es sei denn, du hast mit einem Geist telefoniert. Da war der nämlich schon eine Stunde tot. Vorausgesetzt, die Angaben von Inspector Muñoz von der …” wieder sah er auf den Ausdruck und las zögernd „Politsia Juditsial de Santa Crutz de La Palma, sind korrekt. – Das ist die Kripo dort.”
Trotzdem ich mir sicher war, dass mein Freund sich verrannte, mich andererseits die Angelegenheit aber auch verwirrte und meine Neugierde weckte, dominierte mich meine berufstypische Korinthenkackerei. Ich konnte nicht anders, als zuerst eine Korrektur anzubringen. „Die Übersetzung stimmt, aber an deiner Aussprache musst du noch feilen. Ein Spanier würde dich nur mit allergrößter Mühe verstehen, obwohl du buchstabengetreu abgelesen hast. Ein c vor den Selbstlauten i und e und wenn es der letzteBuchstabe in einem Wort ist, wird in der Regel mit der Zungenspitze zwischen den Schneidezähnen gesprochen. So, wie du es vom englischen th kennst. Also, Poli-th-ia Judit-th-ial de Santa Cru-th de La Palma.”
Heribert seufzte. „Und das ist alles, was dich nun interessiert? Dann kann ich ja kurz deine Aussage zu Protokoll nehmen und an den Kollegen nach Spanien schicken.”
„Wie kommen die überhaupt auf mich und worum geht es?”, überging ich seinen verständlichen Zynismus.
„Vor drei Jahren habe ich bei einem internationalen Polizeiseminar in Hamburg einen spanischen Kollegen kennen gelernt und mich ein wenig mit ihm angefreundet. Wir haben die Adressen ausgetauscht und zu den Feier- und Geburtstagen schicken wir uns seitdem ein Kärtchen. Er heißt Muñoz mit Nachnamen und mit Vornamen, du wirst es nicht glauben, Heribert.”
„Ich wusste gar nicht, dass dein Vorname aus dem Spanischen kommt? Eribert klingt ja auch irgendwie melodischer und weniger profan. Dabei dachte ich immer Heribert kommt aus dem Althochdeutschen, hat was mit Heer und Krieger zu tun. Aber jetzt verstehe ich, weshalb mir bei dir ab und zu etwas spanisch vork…”
„Umgekehrt wird ein Schuh draus”, unterbrach er mich heftig. „Die Erklärung ist ganz simpel. Seine Mutter ist Deutsche und sein Vater Palmero. Er hat mir erzählt, dass sie sich Anfang der Siebziger bei einem Aufenthalt auf La Palma in seinen Vater und die Insel verliebte. Sie blieb dort und ein Jahr später kam er zur Welt. Sein Taufpate, der Bruder seiner Mutter, heißt Heribert. Daher der für einen Palmero ungewöhnliche Vorname. Mit dem zweiten Vornamen heißt er übrigens José, den benutzt er aber nicht. Er ist zweisprachig aufgewachsen und spricht daher fließend deutsch, sogar mit rheinischem Akzent.”
„Und was hat das nun mit mir zu tun?”
„Er hat sich gestern Morgen telefonisch direkt mit mir in Verbindung gesetzt und im Laufe des Tages auch über seine vorgesetzte Behörde. Er benötigt meine Hilfe, schnell und daher unbürokratisch.”
„Aber, ich verstehe immer noch nicht.”
„Ich gehe am besten mal der Reihe nach vor. So, wie inzwischen mein Informationsstand durch Heribert und meine eigene Recherchen beim Einwohnermeldeamt und der Steuerberaterkammer ist. Ich habe es bereits chronologisch sortiert.” Heribert nahm seinen kleinen zerfledderten DIN-A 5-Notizblock, mit Ringheftung, der mich immer wieder an Colombo erinnerte. Er blätterte ihn nervös durch und suchte offenkundig den Anfang seiner Aufzeichnungen.
„Da ist es. Am Abend des 19. Septembers 2003 – also, Freitag letzter Woche – wurde die Feuerwehr von Breña Baja abends wegen eines Brandes im Wohnhaus einer Finca oberhalb der Wohnsiedlungen zugewanderter Residente alarmiert. Kennst du die Gegend?”
„Aber ja. Das ist eine kleine Ortschaft, cirka fünf Kilometer südlich der Inselhauptstadt Santa Cruz, nicht weit weg vom Flughafen. Dadurch, dass Breña Baja etwa 300 Meter hoch liegt, hat man von den meisten Grundstücken aus einen herrlichen Blick auf den Atlantik. Bei gutem Wetter kannst du von dort aus sogar den Teide auf Teneriffa erkennen. Dort haben viele Deutsche ihren Dauerwohnsitz,