Feiertage und andere Katastrophen. Stefanie Grimm

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Feiertage und andere Katastrophen - Stefanie Grimm


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Nadine würde nicht lockerlassen. Aber diesmal war ich froh, um eine Antwort herum gekommen zu sein.

      Ich hing eine Weile im Night Cafe herum und beobachtete die Gäste. Bernd hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht immer wütend dazwischen gehen konnte, wenn ein Gast versuchte, mit Nadine zu flirten. Ok, so war das Geschäft und Nadine wusste sich durchaus selber zu helfen. Sie war schlagfertig, witzig und konnte allzu aufdringliche Gäste mit deutlichen Worten in ihre Schranken weisen. Mehrmals musste ich das schon anerkennend feststellen.

      Plötzlich klopfte mir jemand auf die Schulter. Ich zuckte zusammen. Normalerweise kam kein Mensch an mich heran, ohne dass ich es bemerkte. War ich einfach nur von meinen Gedanken an Nadine abgelenkt worden oder verlor ich langsam meine Fähigkeiten? Es war Karl, der sich freudestrahlend neben mich hockte.

      »Hi Tom, ich hab ihn!«

      »Wen?«

      »Mensch, wirst du vergesslich? Den neuen Job!«

      Jetzt fiel es mir wieder ein. Wie peinlich. Stundenlang hatten wir darüber geredet und ich hatte mit Karl sogar das Vorstellungsgespräch geübt. Heute war sein großer Tag gewesen. Auch das wäre mir früher niemals passiert. »Oh, cool. Das ist richtig klasse. Das müssen wir begießen.«

      Ich wusste, wie Menschen einen Erfolg zu feiern pflegten und bestellte bei Nadine auch gleich Karls Lieblingsbier und Lieblingsschnaps und für mich wie immer eine Bloody Mary. Nur Nadine wusste, dass ich keinen Alkohol trank und goss mir reinen Tomatensaft ein. Meine Familie hätte sich geschüttelt, wenn sie gesehen hätte, mit welchem Genuss ich mir den roten Gemüsesaft von den Lippen leckte. Gemüse war mittlerweile mein Junkfood geworden. Am liebsten rotes Gemüse.

      Gegen Ende der Nachtschicht hatte ich nicht mehr den Mut, Nadine alles zu erzählen. Außerdem blieb Karl an mir kleben wie ein Blutsauger. Er war schon ziemlich betrunken, und so nahmen Nadine und ich ihn einfach in ihre Wohnung mit. Die romantische Nacht mit Nadine konnte ich jetzt knicken. Nadine mochte Karl, und auch sie sah es als unsere Freundespflicht, ihn an seinem großen Tag nicht allein zu lassen. Schließlich schleppten wir Karl, der uns schief und laut die Ohren vollgrölte, ins fünfte Stockwerk. Wie viel lieber hätte ich Nadine auf meinen Händen die knarrenden Altbaustufen hinaufgetragen.

      »Ich glaub, ich mach ihm etwas zu essen, sonst wird er so schnell nicht nüchtern. In diesem Zustand sollten wir ihn nicht zu seinem Hausdrachen zurückschicken. Ich weiß wirklich nicht, was er an ihr findet.« Nadine kicherte. »Du hast sicher wieder keinen Hunger, oder?«

      Nein, ich hatte keinen Hunger, zumindest nicht auf irgendetwas zu essen. Ich versuchte, Karl so auf einen der bunt bemalten Küchenstühle zu setzen, dass er nicht gleich herunterrutschte. Da roch ich es. Blut! Obwohl ich schon seit einiger Zeit vegetarisch lebte, spürte ich, wie sich meine Fangzähne ganz langsam, schmerzlich pochend ihren Weg suchten. Verflixt. Ich musste mich ablenken. Dummerweise sah ich zu Nadine, die gerade von einem blutig rohen Rindersteak ein kleines Stück abschnitt und es sich verstohlen in den Mund schob. Da bemerkte sie meinen Blick. »Oh, ich weiß, das sollte man nicht. Aber es ist ganz frisch und Tatar isst man doch auch roh, oder nicht?« Sie leckte sich verlegen über die Lippen und legte das Steak in die Pfanne. Der Geruch von bratendem Fleisch verdrängte den Blutduft. Das war auch nicht besser. Dieser Gestank verursachte mir allergrößten Ekel. Feuer, Brennen, Sonne ... für Vampire stinkt gebratenes Fleisch wie der Tod, wie unser Tod. Ich würgte, ich schluckte und würgte wieder. Karl knallte mit dem Kinn auf die Tischplatte, als ich aufsprang und ins Bad rannte. Ich kotzte den Tomatensaft in die Kloschüssel. Rotes, schleimiges Blut. Nadine rief mir noch etwas hinterher, aber ich stürzte wie von tausend Sonnen verfolgt auf den Flur, sprang die fünf Stockwerke mit einem Satz hinunter und betete zu allen Untoten, dass Nadine meinen Sprung nicht gesehen hatte. Verdammter Mist.

      Meine Freundin aß blutiges Fleisch. Sie aß es nicht nur, sie liebte es. Ich hatte es in ihren Augen gesehen. Gierig wie ein Vampir in den frühen Abendstunden. Mir wuchsen die Zähne und ich hasste den Brutzelgestank an meinem T-Shirt. Ich raste durch die Dunkelheit. Dass ich zwei Radarfallen auslöste, war mir schnurzegal. Ich fuhr das Motorrad in die Tiefgarage unter unserer Villa und stiefelte die Marmortreppe nach oben. Frustriert schlug ich die Eingangstür hinter mir zu. Kein Licht brannte. Klar, es war mitten in der Nacht und die Familie war ausgeflogen. Im Dunkeln bahnte ich mir meinen Weg in die Küche und angelte mir eine Blutkonserve aus dem Kühlschrank. AB-negativ, selten und teuer. Dass sie besonders gut schmeckte, war mir egal. Mist. Verdammter Mist. Im Wohnzimmer ließ ich mich auf einen Sessel fallen und starrte in die stockfinstere Nacht. In den stockfinsteren Park vor dem Fenster und in meine stockfinsteren Gedanken. Wegen ihr wollte ich zum Vegetarier werden.

      »Na, hat wohl nicht so geklappt. Hat sie dir den Laufpass gegeben?«

      Luzi! Meine kleine Schwester Luzi. Sie hockte auf der Fensterbank im Erker, nur ihre Silhouette war zu erkennen. Mit einer Handbewegung ließ ich die Tischlampe neben ihr aufleuchten. Schwarz, alles an ihr war schwarz. Die stacheligen Haare, die zerrissenen Netzstumpfhosen, die Stiefel und die Lederkorsage.

      »Laufpass, wer?« Ich versuchte überrascht zu klingen.

      »Na, das hübsche Mädchen aus dem Night Cafe. Ihr gefiel wohl deine Idee mit dem vegetarischen Restaurant nicht.« Luzi lachte und mir plumpste die Blutkonserve auf den Perserteppich.

      »Hoffentlich war die leer, sonst weiß ich nicht, was Tante Edeltraud mit dir macht. Hast du schon gehört, dass sie einen Verein für die »Erhaltung vampirischer Etikette« gründen will? Von wegen – kein Schmatzen am Hals – und so?«

      »Woher weißt du ...?«

      »Das erzählt sie doch jeder ihrer Freundinnen.«

      »Nein, ich meine das, was du vorher gesagt hast.« Ich überlegte kurz, vor meiner Schwester den Unwissenden zu spielen. Aber das wäre sinnlos gewesen. Luzi wusste immer alles. Als wäre sie als Kind in eine Weiß-die-Wahrheit-Droge gefallen.

      »Ich hab mir den Schuppen angesehen, den du gekauft hast. Hätt ich dir nicht zugetraut. Da würde ich sogar mal mit meinen Kumpels hingehen. Da sind ohnedies Vegetarier dabei.«

      Hatte ich vorher die Blutkonserve fallen gelassen, war es jetzt die Kinnlade, die mir herunterfiel.

      »Kuck nicht so belämmert. Du bist nicht der einzige, der Tomatensaft trinkt.«

      »Du bist auch ...?«, fragte ich verstört.

      »Ne, dafür liebe ich eine zarte Kehle viel zu sehr. Am liebsten mit schlecht rasiertem Dreitage-Bart. Aber Gemüsesaft hab ich schon probiert. Törnt gut. Bei manchen wirkt es wie Ecstasy. Kann mir vorstellen, dass der Laden brummt, wenn du die richtigen Drinks hinstellst.« Luzi stand auf, streckte sich und ging zur Tür. »Hey, ich würd nicht so schnell aufgeben ... sie ist nett, deine Nadine.«

      Sprachlos blieb ich hocken. Dass Luzi jemanden nett fand, war eigentlich schon sein Todesurteil. Aber meine kleine Schwester hatte unerwartet sanft geklungen.

      »Luzi, warte!« Ich sprang auf und rannte ihr hinterher, aber sie war schon verschwunden. In der Nacht.

      Ich grübelte zwei Tage, konnte nicht schlafen und fühlte mich scheußlich. Festivalul Primăverii stand vor der Tür. Einer der wenigen rumänischen Feiertage, die in unserer Familie noch richtig gefeiert wurden: Das Frühlingsfest. In unseren Breitengraden eher ein Abschiedsfest von den langen Nächten. Ein Umbruch, ein Neuanfang – auch das konnte es bedeuten. Sollte ich jetzt aufgeben? Nein. Endlich riss ich mich aus meinem Selbstmitleid und rief Nadine an. Sie klang etwas unterkühlt. Kein Wunder. In ihren Augen hatte ich ihr das Bad vollgekotzt, sie mit einem Betrunkenen alleingelassen, der ihr kurz darauf die Küche vollgekotzt hatte und war ohne jede Erklärung einfach abgehauen. Ich murmelte etwas von Allergie, aber das ließ sie nicht gelten. Wenigstens erlaubte sie mir, sie nach ihrer Schicht abzuholen.

      Um zwei Uhr morgens schloss das Night Cafe. Es war fünf nach zwei. Fünf Minuten zu spät!

      Es waren drei. Sie hatten in der Hofeinfahrt hinter den Abfallcontainern gewartet. Ich hörte Nadine schreien, roch Blut und war im Bruchteil einer Sekunde bei ihr. Ein schwerer Kerl in Lederjacke drängte sie an die Hausmauer


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