Feiertage und andere Katastrophen. Stefanie Grimm

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Feiertage und andere Katastrophen - Stefanie Grimm


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Ich roch ihr süßes Blut und sah rot. Den Dicken riss ich mit einem Ruck von ihr weg und schleuderte ihn in einen halboffenen Müllcontainer. Der Deckel schloss sich mit einem lauten Scheppern über ihm. Nun mischte sich der dritte Schuft ein. Er zog eine Waffe und schoss auf mich. Dass ich mich duckte, war ein Reflex, denn die Kugel konnte mir nichts anhaben. So fuhr das Projektil dem langen Kerl, der Nadine immer noch festhielt, in den Rücken, durchdrang den dünnen Körper und traf sie in die Brust. Beide stürzten zu Boden. Der Kerl, der geschossen hatte, schrie: »Scheiße!«, und rannte davon, während ich seinen Kumpan von meiner Freundin zerrte. Vorsichtig hob ich sie hoch. Ein Federgewicht in meinen Armen. Blut am Hals und unter dem rechten Schlüsselbein. Oh Heilige der Nächte. Ich sprintete zu meinem Motorrad. Krankenhaus – nein, es war zu spät. Ich wusste es. Ich kannte mich aus – mit dem Hauch von menschlichen Leben. Mir blieben wenige Minuten.

      Ich hielt Nadine umklammert vor mir auf dem Motorradsitz und raste mit einer Höllengeschwindigkeit durch die Stadt. Einen Polizeiwagen hängte ich mühelos ab, und noch bevor er Verstärkung rufen konnte, schloss sich das große schmiedeeiserne Tor zu unserem Anwesen hinter mir. Hoffentlich war Tante Edeltraud nicht unterwegs.

      Ich ließ das Motorrad achtlos fallen, hastete mit Nadine auf den Armen die steinerne Treppe hoch, öffnete Kraft meiner Gedanken die Eichenholztür und stand nach wenigen Schritten in unserem Speisezimmer. Sie waren alle da: Festivalul Primăverii. Ich hatte es total vergessen. Die ganze Familie kam zusammen und feierte das Frühlingsfest mit einem Festmahl. In früheren Zeiten mit frisch Gezapftem ... ich drängte die Gedanken panisch beiseite.

      »Wir brauchen Hilfe«, stieß ich hervor, während meine Tante, mein Onkel und meine Eltern fassungslos auf das menschliche Bündel starrten, das ich ihnen frei Haus geliefert hatte.

      »Thomas!«, stöhnte meine Mutter entsetzt.

      Ich wischte mit einer Bewegung die Kristallgläser vom Tisch und legte Nadine vorsichtig auf die weiße Spitzentischdecke.

      »Thomas!«, rief mein Vater. Er stand auf, trat neben mich und starrte auf das Häufchen Leben vor uns auf dem Tisch. »Ein Mensch!«

      Ein Häuflein Mensch auf dem Esszimmertisch zwischen sechs Vampiren, ausgerechnet zu Festivalul Primăverii.

      Onkel Theobald zupfte nervös an seinem Schnurrbart. Tante Edeltraut flog in die Küche, um Handtücher zu holen. Mein Vater, der vollendete Aristokrat, schüttelte ungläubig den Kopf. Meine Schwester lehnte sich mit breitem Grinsen zurück und meine Mutter, eine durchscheinende Schönheit, löste sich auf.

      »Sie hatte noch nichts gegessen«, zischte mein Vater in die plötzliche Stille. »Kannst du mir erklären, was das soll? Du wirst uns sicher kein Feiertags-Dinner mitgebracht haben.«

      Peinlich für einen erwachsenen Vampir, aber ich hatte immer noch Angst vor meinem Vater. Aber noch mehr Angst hatte ich um Nadine.

      »Ich liebe sie. Ich will sie heiraten. Ich will mit ihr ein vegetarisches Nachtlokal aufmachen. Ich will wie ein Mensch leben!«, platzte es aus mir heraus. Totenstille.

      »Bravo! Endlich zeigst du mal Mumm in den Knochen.« Luzi stand auf und klopfte mir gönnerhaft auf die Schultern. »Dann sieh mal zu, dass deine Nadine nicht vorher stirbt.«

      Meine Beine drohten unter mir nachzugeben. Ich stöhnte: »Tante Edeltraud, hilf uns! Bitte!«

      »Thomas David Sokrates!«, brüllte mein Vater wutentbrannt, aber Onkel Theobald brachte ihn zum Schweigen: »Er meint es bluternst. Wie Großvater Hubert.«

      »So schlimm?« Meines Vaters Stimme zitterte immer noch, war aber deutlich leiser geworden. »Gut. Du wirst mit den Konsequenzen leben müssen. Aber glaube nicht, dass deine Mutter und ich dich zum Mitternachtskaffee besuchen kommen, wenn du dich bar jeglicher Vernunft aus unserer Gesellschaft ausstößt.«

      Tante Edeltraud hatte mittlerweile Nadines Wunden geschlossen. Sie besaß als Einzige der Familie die Fähigkeit der Sekundenheilung. »Thomas, es ist nicht überstanden. Dein Mädchen hat zu viel Blut verloren. Willst du ...?«

      »Ja«, flüsterte ich heiser. Alle Ängste, Träume und Wünsche wirbelten einem Tornado gleich durch mein Gehirn. Aber am Ende stand nur eins: Nadine.

      In dieser Nacht stand das Frühlingsfest zum erstem Mal, seit ich mich erinnern konnte, nicht für Tod und Ende, sondern für neues Leben.

      Nach zwei Tagen wachte sie auf. Ich hatte ununterbrochen neben ihrem Bett gesessen, ihre Stirn gekühlt und ihre Hand gehalten. Meine Mutter hatte mich einmal zu ihr gebeten. Einem ätherischen Schatten gleich war sie dennoch eine starke Frau. Sie schüttelte den Kopf, nickte dann und drückte mir die Hand. Gesagt hatte sie nichts, ich verstand sie dennoch. Sie würde mir nicht im Wege stehen. Mein Vater hatte mich enterbt. Aber das war nichts Neues, und zum ersten Mal in meinem Leben war es mir sogar egal. Nadine war bei mir. Und ich in ihr. Mein Blut floss durch ihre Adern und hatte ihr das Leben gerettet. OK, das mit dem Blut war eigentlich nichts Besonderes. Wir Vampire amüsierten uns immer über die menschlichen Fantasien über unser Blut. Nichts von den Behauptungen aus den Vampirromanen stimmte. Es war nur einfach sehr verträglich, für jeden. Dennoch fühlte ich mich Nadine sehr nah.

      Sie schlug die Augen auf.

      »Wann ...«

      »Nicht aufregen. Es ist alles gut. Du bist überfallen worden.«

      »Wann ...«

      »Ich hab dich zu meiner Tante gebracht, sie konnte dir helfen.« Jetzt galt es – ich musste es ihr endlich sagen. Spätestens, wenn sie sah, dass die Familie ihr Frühstück um acht nahm, würde sie Fragen stellen.

      »Wann ...«

      »Sch... nicht aufregen, aber ich muss dir etwas sagen ...«

      »Himmel, Tom.« Nadine kämpfte sich aus den Kissen hoch und funkelte mich wütend an. »WANN willst du dein Restaurant eröffnen?«

      »Wie?« Jetzt war es an mir, zu stammeln. »Woher ...«

      »Von Luzi.«

      »Woher kennst du meine Schwester? Sie ist eine ...«

      »Vampirin. Ich weiß. Wenn du mich endlich mal ausreden lassen würdest«, keuchte Nadine und sank ermattet in die Kissen.

      Ich beteuerte, ihr den Mond vom Himmel zu pflücken, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, ihr jeden Unhold vom Leib zu halten und sie immer ausreden zu lassen, bis sie lachen musste. Endlich strahlten ihre blauen Augen in mein verängstigtes Herz.

      »Ich möchte nur, dass du deine vegetarische Nachtbar eröffnest. Und dass ich nicht vegetarisch leben muss.«

      Vier Wochen später feierten wir die Eröffnung des »Festivalul Primăverii«. Onkel Theobald wagte sich an eine alkoholfreie Blood Mary und Tante Edeltraud fragte nach dem Rezept. Mein Vater ging herum und inspizierte mit kritischem Blick Einrichtung und Ausstattung. Luzi hatte ein paar ihrer Freunde mitgebracht. Es war wirklich schwer zu unterscheiden, wer von ihnen Vampir war und wer nur aussah wie einer. Meine Mutter ließ sich entschuldigen. Aber sie hatte mir einen silbernen Cocktailshaker mit meinen Initialen geschenkt. Ich wusste, dass es zu viel für sie gewesen wäre, entstammte sie doch einem jahrtausende alten Vampirgeschlecht.

      Im Morgengrauen verließen die letzten Gäste unser Restaurant. Luzi zupfte kurz an meinem Arm und drückte mir verschwörerisch etwas in die Hand. Ich starrte verblüfft auf ein kleines Fläschchen mit zartrosa Kügelchen. »Globlutuli. Sie helfen bei vegetarisch verursachter Unterversorgung – hat Großvater Hubert erfunden.«

      Vier Monate später wurde Nadine schwanger und wir heirateten.

      Vier Jahre später schenkte ich meiner kleinen Tochter zum Festivalul Primăverii ein Meerschweinchen.

      »Süß!«, rief sie fröhlich. Dann grub sie ein zweites Mal ihre zarten Milchzähne in das zappelnde Tier und trank. Mein Vater, der sich von meiner lächelnden Frau gerade einen Mitternachtskaffee einschenken ließ, prostete mir mit der Kaffeetasse zu. »Großvater Hubert lässt übrigens grüßen, er will uns bald besuchen.«

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