Ich atme ein – Ich raste aus!. Angela Dumrath
Читать онлайн книгу.am offenen Feuer. Auf seiner Schürze prangten in großen Buchstaben „Grillen & Chillen. Seine Hände steckten in dick wattierten Handschuhen, passend zur Farbe der Schürze. Ich war die Erste, damit ich auf einem Plastiksessel am gedeckten Tisch Platz nehmen konnte. So hatte ich die Möglichkeit, die ankommenden Gäste bei einem kühlen Glas Wein zu beobachten. Mut hat er, unser Ronny. Auf der Gästeliste standen nämlich die gemeinen Fleischfresser, Vegetarier und solche, die an Veganismus leiden.
Lisa hatte selbst eingelegten Tofu dabei. Ehe sie uns begrüßte, warf sie einen Blick auf den Grill. „Hat da schon mal Fleisch draufgelegen?“, fragte sie mit leicht hysterischer Stimme. „Ich habe ihn gründlich gereinigt, erwiderte Ronny. „Pfui Deibel, du hast ja Speck um die Pilze gewickelt. Das ist ja so was von eklig. Mit gequälter Miene schubste sie die mühsam gerollten kleinen Snacks an den Rand des Grills.
Kai schaut derweilen verächtlich auf den Teller von Marie-Luise, die Gemüse und vegetarische Bratwurst geladen hatte. „Während er seine fetttriefende Wurst mit Senf und Mayo zuschaufelte, bemerkte er so nebenbei: „davon wirst du auch nicht schlanker. Gemüse schmeckt am besten, wenn man es durch ein saftiges Steak ersetzt. Ha Ha! Hab ich recht oder hab ich recht, wandte er sich Ronny am Grill zu. Unerschrocken stieß Marie-Luise ihre vegetarische Kreation der „Rügenwalder Mühle“ in den noch unverschlossenen Mund und bemerkte zynisch, dass sie nicht gewillt sei, auf diese respektlose Bemerkung näher einzugehen. Man sehe unzweifelhaft an seinem Bauch, was er esse und das wäre kein schöner Anblick.“ Kai tat dies mit einer verächtlichen Handbewegung ab und trank erstmal sein selbst gezapftes Bier in einem Zug herunter. „Prost! Gerste und Malz, Gott erhalt’s.“ Die Stimmung wurde keineswegs gemütlicher.
Um 19 Uhr traf Sven ein und wirft sein T-Bone-Steak auf den Grill. „Entschuldigung, du hast mit deinem Fleisch mein vegetarisches Filet berührt“, jammerte Lisa. Wie soll ich das noch essen?“ Ah, du bist auch eine von denen, die unschuldige Möhrchen ins kochende Wasser schubst. „Und dir sei gesagt, lieber Sven, kein Mensch ist unnütz. Er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen, fauchte Lisa ihn an.“
Ronnys Lebenspartnerin Annegret, die gerade eine Ananas-Kur machte und sich nur einen Maiskolben rösten ließ, versuchte zu beschwichtigen. „Wir markieren mit Kartoffeln eine Linie, damit jeder getrennt sein Lieblingsessen grillen kann.“ Die Front der Veggis forderte, den Rost zuvor zu reinigen, um dann mit dem „gemütlichen Abend“ fortzufahren. „Das bringt ja gar nichts. Wenn schon, denn schon! In die Kohle ist viel Fett getropft. Deshalb muss sie auch ausgetauscht werden.“ Ronny entschuldigt sich dafür, dass er keinen zweiten Grill angeschafft habe.
Jutta sucht nach weizenfreiem Brot. „Weizen ist deshalb so böse, weil früher ein Halm nur 12 Körner tragen konnte. Durch Züchtung erreicht man heute 46 - 56 Körner und deshalb ist Weizen nicht mehr bekömmlich“, belehrte sie uns. Ihre aufschlussreichen Worte dienten jedoch nicht der miesepetrigen Stimmung. Marie-Luise bittet um einen Schluck Leitungswasser. „Der Zuckergehalt in den Fruchtsäften ist für mich einfach zu hoch, verklebt die oberen Hautschichten, was dazu führt, dass man grau wie ein alter Esel aussieht“, belehrte sie uns.
Ronny witzelt „kommt sofort! Hier hast du Wasser, welches ich eigenhändig aus den Tiefen eines Bergsees geschöpft habe, Jahrgang 2018.“ Marie-Luise schüttelte verständnislos ihr flatterhaftes Haar. „Du Schlaumeier weißt aber schon, dass in Frankreich ein See ausgetrocknet ist, weil Nestle die Quellen restlos ausgebeutet hat, um Wasser in Plastikflaschen abzufüllen und teuer zu verkaufen. Das sei ein Politikum“, blaffte sie uns alle an.“ Kai trällert frech: „Am Berg da rauscht der Wasserfall. Wenn’s nicht mehr rauscht, ist‘s Wasser all.“
„By the way, meldete sich Sven zu Wort, der bislang eher gelangweilt in der Holzkohle rumstocherte. „Trump hat getwittert…“ „Halt, mischt Kai sich ein. „Wenn wir jetzt über Politik reden wollen, bin ich raus.“
Annegret lobt die mitgebrachten diversen Beilagen. „Hier haben wir wunderbares Kräuter-Pesto und eine schmackhafte Avocado-Creme, einen Kartoffel- und Nudelsalat. Jutta rollt mit den Augen und zieht ihre linke Augenbraue missbilligend hoch. Marie-Luise erhob wieder ihre Stimme: „Liebe Annegret, du weißt aber schon, dass Avocado-Früchte eine verheerende Umweltbilanz aufweisen.“ Kai schwoll der Hals: „Jetzt werden wir schon wieder politisch. Wir waren uns doch einig, dass wir dieses Thema nicht beackern wollen.“ „Ne, nur du bist mit dir einig. Wenn es darum geht, mal richtig hinzusehen, machst du lieber die Augen zu“, wetterte Marie-Luise. Ich versuche es mit einem Witz. „Frau mit Grill sucht Mann mit Kohle.“ Mäßiges, fast verkrampftes Lachen.
Es dämmerte. Am Himmel schaute uns der Mond zu. Lächelte er oder ist ihm auch die Fröhlichkeit abhandengekommen, grummelt es in meinem Inneren. Wehmütig dachte ich an vergangene Zeiten, wo man mit einem einfachen Kartoffelsalat nach Omas Rezept und einem Grillwürstchen allerbeste Laune hatte. Was ist bloß los mit euch?, frage ich mich ratlos. Mit jedem Häppchen, was in den Mund gesteckt wird, befürchtet man den ungesunden Vergiftungstod. Mein Blick traf rein zufällig den von Marie-Luise. Sie kauft ihre Lebensmittel nur an der Biotheke, lässt sich aber die Stirnfalten - auch Zornesfalte genannt - mit Botox wegspritzen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit räuspert sich Annegret, die immer noch an ihrem Maiskolben nagte: „Habt ihr es auch schon gehört? Leslie und Malte haben sich getrennt.“ „Das war von Anfang an klar, hab ich mir schon gedacht, waren die eigentlich verheiratet, ne, Leslie war noch nie verheiratet, aus gutem Grund, an der ist ja nichts dran, so dünn wie die ist, launisch ist sie außerdem, hätte lieber mal ein Butterbrot essen sollen. Malte ist auch ein Blödmann, er lässt nichts anbrennen, sein Herz ist ein Bienenkorn, die Bienen sterben aus. Gehört ihm eigentlich der Mercedes oder doch Leslie?, schwirrten plötzlich alle Stimmen durcheinander. Kai schmetterte mit kräftiger Stimme. „Plötzlich gingst du fort von mir. Sagtest:“ ich muss weg von Dir. Mit mir hieltest du es nicht aus, packtest deine Sachen und zogst aus.“ Endlich kam Schwung in die Unterhaltung.
Ronny zog sich die dick wattierten Handschuhe aus und die Schürze ab. Ein richtig netter Grill-Abend. Sollten wir öfters machen.
4.“WER HAT SCHON GUT LACHEN, WENN ER NACKT AUF DORNEN SITZT!“ (SORBISCHES SPRICHWORT)
„Schneeflöckchen weiß Röckchen“ damit werde ich heute Morgen von einer Frauenstimme geweckt, die das Lachen anscheinend automatisch eingebaut hat. Schon fast fröhlich stehe ich auf, freue mich auf meine schneebedeckte Terrasse. Ne ist nicht, grau und schmuddelig empfängt mich der trübe Morgen. „In einigen Teilen Schleswig-Holsteins können wir bis zu 4 Stunden Sonne erwarten“, verkündet die Lachstimme. Ja, murmele ich vor mich hin, „an einem geheim gehaltenen Ort.“ Nun gehöre ich morgens zu den Menschen, die eher brummig den Tag beginnen und da kommt das frohe Laune provozierende Gelächter der Radiomacher bei mir gar nicht gut an.
Überhaupt wird alles an Beschwerlichkeiten weggelacht. Mir völlig fremde Wesen wollen mich mit Heiterkeit und positiver Ausstrahlung dazu bringen, mir Dinge schön zu reden, die im realen Alltag weder schön noch zum Lachen sind. Zum Beispiel: Ein gut aussehender älterer Herr mit schlohweißen Haaren lässt sich über beide Ohren grinsend mit dem Treppenlift im Eigenheim nach oben befördern. Der Kerl sieht aus wie ein Eintänzer auf dem Traumschiff und hat vielleicht mal eben die 50 Jahre überschritten. Und dem soll ich abnehmen, dass er froh darüber ist, dass er nicht ohne Beschwerden die Treppe herauf steigen kann?
Oder ein Tanzpärchen schwebt schwungvoll über den Bildschirm. Sie ist mit einem Röckchen bekleidet, welches äußerst knapp den Po bedeckt. Er steckt in einem hautengen Fitnessdress. Beide, nicht mehr ganz jung, bejubeln ihre geschmeidige Beweglichkeit. Ypiie, endlich habe ich es geschafft, endlich kann ich sie auch tragen, scheint die übermütig lachende Frau zu frohlocken. Und für was macht sie Reklame? Für Tena-Lady, dieses schmucke Hilfsmittel für inkontinente Frauen ab 40. „Mit 40 inkontinent?“, frage ich mich. In dem Alter habe ich noch gar nicht gewusst, dass so etwas möglich sein könnte.
Eine strahlende Frau beißt kraftvoll mit schneeweißen Zähnen in einen knackigen Apfel und bietet Protefix als sicheres Haftmittel für die Dritten an. Das ist nicht lustig, wenn man nicht mehr über eine flächendeckende Kauleiste verfügt.
Schwungvoll