Drei Dekaden. Hermann Ritter

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Drei Dekaden - Hermann Ritter


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der Dinge tun darf, die kein anderer tun darf. Odin und Loki sind Blutsbrüder, weil sie gemeinsam um das Ende wissen.

      Doch war das Geheimnis wirklich ein Geheimnis, das nur Odin kannte? Woher kennen die Götter beim Ragnarök dann das Geheimnis?

      Die Asen treffen

      am Idafeld sich, (…)

      und denken zurück

      an die großen Dinge,

      an Göttervaters,

      altes Geheimnis.119

      Und auch die Seherin kennt das Schicksal der Welt:

      Heimreite du, Odin,

      freu dich des Ruhms!

      So suche keiner mehr

      Künftig mich heim,

      bis Loki sich löst

      aus seinen Banden

      und Göttergeschick,

      das gewaltige, eintritt.120

      Was spricht Odin seinem (eigentlich schon toten) Sohn ins Ohr, bevor dieser auf den Holzstoß steigt?121

      Das Geheimnis kann kein Geheimnis sein, wenn es so weit bekannt ist. Aber es ist auch nicht öffentlich bekannt, eher ein Geheimnis einer kleinen Gruppe, die gemeinsam schweigt, außer sie verplappert sich oder wird zum Reden gezwungen.

      Odin kennt den Gang der Welt, aber er nutzt dieses Wissen meiner Ansicht nach, um das Ende der Welt so weit wie möglich zu verzögern. Verschlüsselt wirft auch Loki Odin vor, am Schicksal gedreht zu haben.122 Wofür hat Odin eigentlich sein Auge bezahlt? Das Schicksal der Welt kannte er schon, als er sich verstümmelte.

      Immer wieder wird Loki von Odin geschützt – scheinbar als Ergebnis des alten Bundes, der Loki schützt, so lange dieser das Geheimnis wahrt. Doch Odin ist nicht der einzige, der Loki schützt. Loki wird bestraft, in dem eine Giftschlange ihm Gift ins Gesicht tropft. Seine Frau Sigyn123 hält eine Schale über sein Gesicht, um ihn vor dem Schmerz zu retten. Macht man das mit jemanden, der die Welt vernichten will?124

      Meine These ist einfach: Loki weiß durch Odin (oder durch eigenes Erfahren?) vom Ende der Götter. Odin schützt Loki des gemeinsamen Geheimnisses willen. Die beiden schließen einen Bund, bis zum Ende der Welt zu schweigen, da sie ihre Umgebung nicht mit dem Wissen belasten wollen, das zu groß und zu schrecklich ist, um es selbst Göttern anzuvertrauen. Loki bleibt der Zyniker der Götter, der – von Odin geschützt – tun und lassen darf was er will, so lange er hilft, das gesehene Ende zu verwirklichen. So ist zu erklären, warum er Thor seinen Hammer besorgte und warum er seinen Teil im Kampf der Götter spielte.

      Doch er wusste und erkannte, wer an dem Krieg wirklich schuld war. Die Asen trugen die Schuld der alten Blutlast und sie werden bestraft. Aber mit dem Fall der Asen endet auch das goldene Zeitalter Asgards, und so versucht Loki alles, um dieses Zeitalter zu verlängern – vergeblich, wie es scheint. Wenn die Zeichen kommen, dann steigt Loki an Deck und lenkt das Schiff zum letzten Kampf.

      Und so erfüllt sich das Schicksal, das nicht hätte sein müssen, wenn die Götter ihre Eide gehalten hätten. Loki – der widerwillig zum Feind gemachte Possenreißer – zieht mit seinen Kindern gegen die Götter-Ordnung, um vernichtet zu werden. Das Steuerrad sicher zwischen den Händen fährt er aus, um Familie und eigenes Leben zu verlieren. Aber er stirbt im Wissen, das Ende der Welt mitgestaltet und – soweit möglich – verzögert zu haben.

       V. Das kurze Nachwort

       Nur ein sehr naives Zeitalter konnte wähnen, dass des Feuers Macht Segen bringt, solange es der Mensch bezähmt und bewacht. Der Teufel ist ein gewiefter Falschspieler, er lässt den Partner zunächst einmal gewinnen, um ihn dann hinterher um so müheloser ausplündern zu können. Mit dem Feuer, dem Element der Dämonen, lässt sich kein dauerhafter Bund schließen.

      – Der Dämon und sein Bild, Erwin Reisner125

       Dreieinhalb Nachbemerkungen.

      Erstens: Ich bin kein Fachmann in nordischer Mythologie, kann weder fünfundzwanzig Namen für Gehöft in altisländisch oder altnorwegisch vorschlagen noch wichtige Sätze wie „Noch ein Met für den Magier an Tisch Zwo!“ in einer Zunge sprechen, die nordischen Göttern verständlich wäre. Sollte ich nach meinem Tode von Walküren geholt werde (was ich bezweifele), so hoffe ich in der Halle der Helden auf Bedienung nach Handzeichen.

      Zweitens: Ich bin kein Mensch, der sich mit Schamanismus beschäftigt. Schamanismus und Religion sind nicht zwei unterschiedliche Seiten einer Münze, sondern eine Holzscheibe und eine Münze. Da ich an Gott oder Götter glaube (nennen wir es Theismus), muss ich auf den Schamanismus verzichten. Mir fehlt daher auch der Zugang, zu Göttern oder göttlichen Welten zu reisen und mich dort selbst umzuschauen. Mir bleiben das Buch, das gesprochene Wort und das eigene Erleben.

      Drittens: Meine Annäherung an Loki ist eine vorsichtige. Ich habe große Achtung und Demut vor dem Feuer und der Lohe, die in Loki brennt. Aber Loki fasziniert mich trotz der Warnung, die in Reisner Zitat „Mit dem Feuer, dem Element der Dämonen, lässt sich kein dauerhafter Bund schließen“ mitschwingt. Ich will nicht den Fehler machen, mit dem Feuer einen Bund zu schließen. Ich suche einen Mittler, der mir das Feuer erklärt und mir hilft, mehr zu Feuer zu werden oder das Feuer zu erkennen126. Dieser Mittler ist für mich – mit aller Demut, die man benutzen muss, wenn man für Menschen, die mehr von nordischer Mythologie verstehen als man selbst, über nordische Mythologie schreibt – Loki. Keiner sonst.

      Dreieinhalb: Hey Loki, wir sterben sowieso (fast) alle im Endkampf. Ich würde gerne den Wind in den Segeln spüren und die Waffe für etwas schwingen, an das ich glaube, bevor alles vorbei ist. An Zynismus kann ich glauben, aber eher an einen Eid, der einen zum Schweigen verpflichtet, damit das Leid durch das Wissen um das Ende nicht noch größer wird. Wenn auf deinem Schiff noch ein Platz frei ist …

       MUSIK, MYTHOS, FANTASY

       1. Vorbemerkung

      Ich bin selbst kein Musikwissenschaftler. Ich bin von der Ausbildung her eigentlich Sozialarbeiter und habe mein Diplom über Fantasy-Rollenspiele geschrieben. Danach kam ein Studium der Geschichte und Politik mit einer Magisterarbeit über Alternative Geschichte – also über das Was wäre wenn? einer anderen Entwicklung von historischen Ereignissen. Darüber hinaus bin ich seit vielen Jahren in der Phantastik-Szene aktiv.

      Man möge mir also verzeihen, wenn meine Abhandlungen weniger mit Musiktheorie als mit Phantastik, weniger mit wunderschönen Liedbeispielen aus dem 11. Jahrhundert als mit Zitaten aus dem sogenannten Mainstream geschmückt sind. Als Mainstream bezeichne ich im Folgenden etwas lapidar all jenes, was einem ohne zu suchen via der modernen Kommunikationsmedien ins Haus gebracht wird. Jene Dinge, die man suchen muss, um auf sie aufmerksam zu werden, können per Definition nicht Mainstream sein.

       2. Status Quo

      Die Phantastik ist mit ihren mythischen Bildern nach vielen Jahrzehnten als verlachte Randerscheinung der Literatur längst im Mainstream angekommen. Dies gilt nicht nur für die Literatur, sondern auch für den Film und die Musik. Ich brauche – völlig anders als noch vor zwanzig Jahren, als das Lesen von Fantasy ähnlich ruchbar war wie der Import von bunten Druckheften aus Dänemark – nur auf die Bestsellerlisten zu verweisen, wo nicht nur Harry Potter für die Phantastik punktet. Auch die Herr der Ringe-Verfilmung, Narnia, Beowulf und was da sonst noch in den letzten Jahren über uns hereingebrochen ist, hat bewiesen, dass mythische Bilder längst ihren Platz in der allgemeinen Kultur eingenommen haben.

      Keine andere Literaturgattung kennt eine so enge Bindung zwischen


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