Drei Dekaden. Hermann Ritter

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Drei Dekaden - Hermann Ritter


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Für ihn waren die Ereignisse seit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges nur eine Bestätigung seiner Theorien. Er glaubte, in einer besonderen Zeit zu leben, in der der Boom des Okkultismus nur Vorankündigung schlimmerer, größerer Ereignisse war. Zu dieser Art von Artikeln gehört z.B. Der Lotse49.

      Er interessierte sich auch für die Alchimie (wie man nicht nur in seinen Goldmachergeschichten merkt) und schrieb auch über dieses Thema eine Reihe von Artikeln, u.a. für Vorwörter (meist für Bücher, die er selber übersetzt hatte). So schrieb er z.B. Alchimie oder die Unerforschlichkeit (als Einleitung zu Thomas von Aquino Abhandlung über den Stein der Weisen).50 Aber auch allgemeine okkultistische Themen reizten ihn, so z.B. bei „Haschisch und Hellsehen“51, der nicht nur angesichts der momentan boomenden Okkultismus-Welle so klingt, als stamme er aus der Gegenwart.

      Sein okkultes Hauptwerk dürfte An der Grenze des Jenseits sein. Obwohl schon 1923 erschienen, wirken viele Formulierungen sehr aktuell: „Der heilige Bonifazius hat die Donnereiche abgesägt, und es ist ihm nichts geschehen. Hätte er den Mast einer Hochspannungsleitung abgesägt, wäre ihm das unter Umständen übel bekommen, aber die Existenz oder Nichtexistenz eines Blitzdämons bliebe unbewiesen in dem einen wie in dem anderen Falle.“52

      Einige wenige Artikel widmeten sich anderen Themen, z.B. Südsee-Masken53.

       b.) Geschichten

      Meyrinks Gesamtwerk umfasst fünf Romane, ein Romanfragment, drei Novellen und sechs Bände mit Kurzgeschichten.

      Seine fünf Romane sind Der Golem (Buchausgabe 1915, ab 1913 erschien er als Fortsetzungsroman) (der Roman spielt in Prag), Der weiße Dominikaner (1921) (ebenso Prag), Das grüne Gesicht (1917) (Amsterdam), Walpurgisnacht (Prag) und Der Engel vom westlichen Fenster (1927). Sein Romanfragment ist Das Haus des Alchimisten, das im Haus zur letzten Latern 1 veröffentlicht ist. Doch dies ist kein von Meyrink zur Veröffentlichung vorgesehenes Werk: „Ein Enkel Gustav Meyrinks, Dr. Julius Gustav Böhler, hat das nachgelassene Manuskript bearbeitet und sämtliche Entwürfe zu diesem Roman zusammengefasst; so ist ein Exposé entstanden, das die vorgesehene Grundstruktur und den Inhalt des gesamten Romans enthält.“54

      Seine drei Novellen (Der Mönch Laskaris, Der seltsame Gast und Die Abenteuer des Polen Sendivogius) sind alle im Band Goldmachergeschichten (1925) enthalten.55

      Seine Kurzgeschichten finden sich in Des deutschen Spiessers Wunderhorn (1913). Diese zweibändige Ausgabe umfasst in Band 1 Der heiße Soldat56, Orchideen (1904) und Das Wachsfigurenkabinett (1907). Band 2 ist Der violette Tod (1922). Beide Bände bestehen zum großen Teil aus Simplicissimus-Artikeln. Das Haus zur letzten Latern, 1973 von Eduard Frank herausgegeben, enthält drei Bände mit vermischtem Inhalt, nämlich Die Frau ohne Mund und Das Zauberdiagramm sowie Fledermäuse (1916) (wiederum 2 Bände – Die 4 Mondbrüder und Der schwarze Habicht). Zwei angekündigte Romane – Die seltsamen Abenteuer des Bankiers Hugendubel und Salz – sind wohl nie geschrieben worden.57

      Auch in seinen Romanen bleibt Meyrink bei den beiden Themen, mit denen er sich am besten auskennt: Prag und Okkultismus. Weiter oben ist schon die These dargelegt worden, dass zwar nicht alle Romane in Prag spielen, aber doch Prag als Handlungshintergrund haben.

      Meyrinks erster Roman, Der Golem, erscheint erst, nachdem er schon einige Jahre aus Prag fort war. Er verließ sich also auf seine Erinnerung und erzeugte so ein idealisiertes Prag, mehr ein Abbild seiner Idee von Prag als eine Darstellung des wirklichen Prag (wobei der Begriff des wirklichen Prag für Meyrink unverständlich gewesen wäre. Er ging immer davon aus, dass es bei der Stadt Prag mehrere Ebenen von Wirklichkeit gibt). Es gelang ihm trotzdem in diesem – und seinen folgenden Romanen – Prag treffend zu schildern; scheinbar ist erst durch die Distanz zu Prag seine treffende Schilderung möglich. Kafka z.B. hat Der Golem nicht gefallen, aber dafür die Schilderung der Atmosphäre Prags58, ein größeres Lob kann man sich für einen Exil-Prager kaum vorstellen.

      In Prag spielt auch eine der wichtigsten autobiographischen Geschichten, in der er seinen Hass auf diese Stadt durch die Zerstörung einiger ihrer Teile ausdrückt (hier ist es der Hass des Vertriebenen; dieser rächt sich aus dem Exil zurückgekehrt durch seine überlegene Intelligenz an den bornierten Stadteinwohnern). Diese Geschichte G.M.59, die er in seiner Münchener Zeit verfasste, ist nicht nur wegen der Initialen im Titel mehrfach ein klarer Hinweis auf die Person Meyrinks.

      Ich will in diesem Zusammenhang nur kurz auf sein Hauptwerk eingehen. Der Golem geht zurück auf den alten Mythos von Rabbi Löw und dem aus Ton erschaffenen Golem.60 Meyrink war – obwohl selber von der Erziehung her Christ – ein großer Bewunderer des Judentums. Er war z.B. von der chassidischen Bewegung fasziniert. So stand er auch einige Zeit im Briefwechsel mit Martin Buber und kannte Gershom Scholem.61 Meyrink verwendet den Golem jedoch nicht in der sehr roboterhaften Form, in der ihn die volkstümliche Überlieferung benützt. Er verwendet ihn als Handlungshintergrund, wobei er absichtlich die Sagen benutzt, ohne auf sie wirklich inhaltlich zurückzugreifen. Der Golem ist eigentlich ein Werk über Gott (nicht umsonst arbeitet Marzin in seiner sehr guten Golem-Analyse heraus, dass es „im Golem keinen rationalisierten Gottesbegriff“ gibt. „Gott ist ein deus absconditus, der sich dem Menschen vollständig entzieht“62).

      Im Golem geht es nur vordergründig um eine Handlung. Alle irdischen Dinge – auch die sonst so gern verwendeten Geschehnisse wie Liebe, Verrat, Enttäuschung – sind nur Spiegelungen einer höheren Wahrheit, die die Existenz Gottes zwar zu beweisen trachtet, ihn aber nicht selber vorführt (analog dazu wird der Golem im Roman nur erwähnt, tritt jedoch handelnd nicht auf).

      Kisch hat den Golem später gesucht – er stieg auf den Dachboden der Prager Altneu-Synagoge, um ihn zu suchen. Er konnte ihn nicht finden. Aber immerhin – er war der einzige, der ihn vor Ort gesucht hat.63

       4. Meyrinks Kosmologie

      Marzin arbeitet für Meyrinks Kosmologie drei Punkte heraus, die ich – leicht verändert – an den Abschluss dieser Werkschau stellen möchte.64

      Der erste Punkt ist der Okkultismus (statt der Marzinschen Kabbala) als Lehre, der sich durch Meyrinks Werk zieht. In allen Geschichten bezieht sich Meyrink auf irgendwelche okkulten Lehren, nur wandelt er im Laufe der Zeit seine Vorlieben (manchmal ist es die Alchimie, manchmal eben Yoga oder Anthroposophie oder starke christliche Elemente). Meyrink versteht sich als jemand, der versucht, das Wissen um die Magie durch die Literatur den Menschen wieder nahe zu bringen.

      Konieczny fasst dies folgendermaßen zusammen: „Der Schriftsteller versucht, die Welt wieder zu verzaubern, und sei es mit dem Bösen, Bizarren, Okkulten.“65 Dieses Literaturverständnis hat Meyrink immer wieder Kritik eingebracht. Jüngst ist diese Kritik von Reiter zusammengefasst worden: „Die bereits bei oberflächliche Lektüre offenkundigen Probleme seines Oeuvres liegt darin, dass in die Texte okkultistische Glaubensmodelle derart stark einfließen, dass ihr Status als ästhetische Literatur und als fiktionale Werke durch didaktische Züge gefährdet wird.“66 Es sollte betont werden, dass ich diese Ansicht nicht teile.

      Beim zweiten Punkt geht es um das Verhaftetsein in der Geschichte. Meyrinks Figuren handeln nicht selber, sondern sie sind Ausführende einer Handlung, die sozusagen an ihnen vorbeiläuft, die sie nur noch ausführen können, ohne wirklich auf sie einwirken zu können. Besonders im Golem wird deutlich, dass die Protagonisten nur Spielbälle des Schicksals sind, welches sie selber nicht beeinflussen oder verändern können. Meyrink geht sogar so weit, dass er hinter Kriegen handelnde Mächte sieht, die jenseits unserer menschlichen Ebene liegen.67

      Der dritte Punkt ist das individuelle Schicksal als zentrales Thema. Dies scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zum zweiten Punkt zu stehen. Doch während für Meyrink die Geschichte etwas kosmologisches ist (in


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