Prostatakrebs-Kompass. Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

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Prostatakrebs-Kompass - Dr. med. Ludwig Manfred Jacob


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Gleichgewicht zwischen Androgenen und Östrogenen und deren Rezeptoren entscheidend.

      Prostatakrebs ist in den meisten Fällen hormonabhängig, im Speziellen androgenabhängig. Doch auch die Östrogene haben einen starken Einfluss auf die Krebsentstehung. Er tritt vor allem im Alter auf, wenn sich das Gleichgewicht von Androgenen und Östrogenen in Richtung Östrogene verschoben hat.

      Dihydrotestosteron (DHT) ist auf genetischer Ebene das am stärksten wirksame Testosteron und wirkt potentiell krebsfördernd. DHT wird durch das Enzym 5-alpha-Reduktase aus Testosteron gebildet, weshalb eine hohe Enzymtätigkeit der 5-alpha-Reduktase das Prostatakrebsrisiko erhöht.

      Doch nicht nur die Konzentration bestimmter Hormone beeinflusst das Krebsrisiko: Ebenso wichtig wie die Hormone sind die Hormonrezeptoren. Der Rezeptor empfängt das Hormon und gibt das so empfangene Signal an anderer Stelle weiter.

      Um das Gleichgewicht aus Hormon und Rezeptor zu gewährleisten, wird die Expression und Sensitivität der Rezeptoren normalerweise durch die Hormonspiegel im Körper gegenläufig reguliert: Je höher der Hormonspiegel, desto weniger aktive Rezeptoren. Dauerhaft niedrige Androgenspiegel führen hingegen zur Gegenregulierung in Form einer Überexpression des Androgenrezeptors (AR). Die Expression des AR ist abhängig vom Tumorstadium. Zu Beginn hemmt ein medikamentöser Androgenentzug den Prostatakrebs, indem bei den Krebszellen eine Apoptose ausgelöst wird; der Tumor ist hormonsensitiv. Bei dauerhaftem Androgenentzug wird der AR jedoch überexprimiert, hypersensitiv oder mutiert, weshalb auch schon sehr geringe Mengen an Androgenen eine Wirkung auslösen. Der Androgenentzug ist daher nicht mehr wirksam, der Tumor ist hormonrefraktär.

      Östrogene potenzieren die kanzerogene Wirkung von Testosteron. Sie werden durch verschiedene Enzyme zu (Semi-)Chinonen umgebaut, die genotoxisch, prooxidativ und somit kanzerogen wirken. Die beteiligten Enzyme werden auf genetischer Ebene gesteuert, können aber auch über die Ernährung beeinflusst werden.

      Es existieren zwei Östrogenrezeptoren (ER): ER-alpha und ER-beta. Sie sind in den verschiedenen Organen und Geweben ungleichmäßig verteilt. Die beiden Rezeptoren führen zu unterschiedlichen Auswirkungen: Über die Bindung an den ER-alpha fördern Östrogene die Bildung von Wachstumsfaktoren und somit die Zellteilung und hemmen die Differenzierung. Die Expression des ER-alpha steht im Zusammenhang mit dem Tumorstadium; er vermittelt die tumorfördernde Wirkung der Östrogene. ER-beta hemmt dagegen die Zellteilung und fördert die Zelldifferenzierung. Damit hemmt er den Tumor.

      Estradiol, das im Körper, insbesondere im Fettgewebe, gebildet, aber auch über Kuhmilch aufgenommen wird, bindet an beide Rezeptoren in gleichem Maße. Phytoöstrogene, die in Pflanzen wie Soja vorkommen und über die Nahrung aufgenommen werden, binden in der Regel an ER-beta. Über die Ernährung und die Menge des hormonaktiven Körperfetts kann demnach beeinflusst werden, welcher der beiden Rezeptoren stärker stimuliert wird.

      Mit höherem Alter verschiebt sich das Androgen/​Östrogen-Verhältnis bei Männern in Richtung der Östrogene. Die Produktion von Testosteron nimmt ab, die Bildung von Östrogenen nimmt zu. Dabei steigt die Konzentration der Östrogene, die ER-alpha aktivieren, wohingegen ER-beta-aktivierende Substanzen weniger werden. Dies erhöht das Prostatakrebsrisiko.

      Auch Fremdöstrogene (Xenoöstrogene), d. h. östrogenwirksame Substanzen aus der Umwelt, sind bei der Östrogenwirkung zu berücksichtigen. Dies können z. B. Pestizide, Zusatzstoffe in Kosmetika oder Weichmacher in Plastik wie in PET-Flaschen (Bisphenol A) sein. Viele Metalle wirken auch als Metalloöstrogene. Diese binden an Östrogenrezeptoren und beeinflussen in östrogensensitiven Zellen die Genexpression. Beispiele für Metalloöstrogene sind Aluminium (Deos, Alufolie, etc.), Kupfer (z. B. auch aus Kupfer-Wasserleitungen), Arsen, Cadmium, Blei, Quecksilber und Nickel (Darbre, 2006).

      Entscheidend für die Tumorwirkung der Hormone sind also nicht (nur) die Konzentrationen der einzelnen Hormone, sondern das Verhältnis von Androgenen zu Östrogenen, die Expression der verschiedenen Rezeptoren sowie die aus der Nahrung aufgenommenen Phytoöstrogene und andere Fremdöstrogene.

      Daher wirken hohe Testosteronpegel im Blut nicht zwingend krebsfördernd, wenn sie daraus resultieren, dass wenig Östrogen und DHT aus dem Testosteron gebildet werden.

       Die Bedeutung von Insulin und IGFs

      Prostatakrebs steht in engem Zusammenhang mit anderen Zivilisationserkrankungen, dem metabolischen Syndrom und der zugrunde liegenden Insulinresistenz. Insulin ist ein Hormon, das anabol, d. h. aufbauend und wachstumsfördernd wirkt. Es wird für die Verwertung der Energielieferanten aus der Nahrung und für die Zellernährung benötigt. Doch zu viel Insulin hat gesundheitsschädliche Wirkungen, u. a. geht ein hoher Insulinspiegel im Blut mit einem erhöhten Risiko für verschiedene Krebserkrankungen, einschließlich der Prostata einher. Insulin und insulinähnliche Wachstumsfaktoren (Insulin-like Growth Factor = IGF) fördern die Zellteilung und hemmen die Apoptose. Auch hohe Blutwerte von IGF-1 stehen in Verbindung mit Prostatakrebs.

      Erhöhte Insulinspiegel stehen in starkem Zusammenhang mit Übergewicht, Bauch- und Leberfett, liegen bei einem metabolischen Syndrom vor und führen zu einer Insulinresistenz. Das bedeutet, dass die Zellen auf die Wirkung von Insulin nicht mehr ansprechen. Die Insulinresistenz der Körperzellen ist eigentlich eine natürliche Reaktion auf eine zu hohe Nährstoffzufuhr. Die Zelle signalisiert: „Ich bin satt.“ Zur Gegenregulierung der zu hohen Blutzucker- und Aminosäurespiegel im Blut wird jedoch immer mehr Insulin gebildet.

      Der Insulinspiegel steigt folglich weiter, was auch die Ausschüttung von IGF-1 zusätzlich fördert – ein Teufelskreis, der das Wachstum eines Tumors weiter begünstigt, denn Krebszellen sind für die wachstumsfördernde Wirkung von Insulin und IGF-1 besonders empfänglich. Am Ende steht der Diabetes mellitus Typ 2, bei dem die Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse nicht mehr ausreicht, um genügend Insulin für eine ausreichende Zuckerreduktion im Blut zu produzieren. Es handelt sich dabei um einen relativen Insulinmangel: Die Insulinresistenz der Zellen ist größer als die Insulinwirkung.

      Der Insulinstoffwechsel und die IGF-1-Werte im Blut hängen sehr stark von der Ernährung ab (s. insbesondere Kapitel 6, Seite 159). Ein hoher Verzehr von (tierischem) Protein, Milchprodukten und Calcium geht mit erhöhten IGF-1-Spiegeln einher. Ein anschauliches Beispiel ist die Körpergröße verschiedener Länder: Europäer, die große Mengen an Milch und Milchprodukten sowie anderen tierischen Lebensmitteln aufnehmen, werden deutlich größer als Asiaten, die kaum Milch verzehren – ein Hinweis auf die wachstumsfördernde, nahrungsvermittelte Wirkung von Insulin und IGF-1. Doch nicht nur der Körper wird so zum Wachstum angeregt, auch Tumorzellen. Eine pflanzenbasierte Ernährung (s. Kapitel 7, Seite 201) und regelmäßige Bewegung führen zu einem gesunden Insulinhaushalt.

       Entzündungsprozesse und oxidativer Stress

      Entzündungen sind eine wichtige Schutzfunktion unseres Körpers. Werden sie jedoch chronisch, fördern sie eine Vielzahl von Erkrankungen, einschließlich Prostatakrebs. Entzündungen können u. a. von Krankheitserregern (Viren, Bakterien) ausgelöst werden, weshalb Infektionen auch in Zusammenhang mit Krebserkrankungen stehen.

      Entzündungen führen zu einer hohen Anzahl freier Radikale, die die Zellen und die Erbinformationen schädigen können. Zudem greifen sie in verschiedene Signalwege ein. Entzündungsfaktoren (wie TNF-alpha, Interleukine, VEGF) fördern die gegenseitige Ausschüttung, begünstigen die Zellteilung und hemmen die Apoptose. Entzündungen beeinflussen auch die Genexpression (z. B. über NF-kappaB) und somit die Regulation wichtiger Enzyme (wie Glutathion-S-Transferase, Cyclooxygenase).

      Vor allem Eingeweidefett erzeugt ein aktives, subklinisch erhöhtes Entzündungsgeschehen. Insbesondere der Transkriptionsfaktor NF-kappaB ist aktiviert. Dieser steht ganz oben in der Kaskade entzündlicher, prokanzerogener Prozesse und regt die Ausschüttung von TNFalpha sowie von Interleukin-1 an. NF-kappaB verhindert zudem den natürlichen Zelltod (Apoptose) und macht Tumorstammzellen „unsterblich“.

      Entzündungen und oxidativer Stress fördern auf diese Weise sowohl die Entartung einzelner Zellen


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