Prostatakrebs-Kompass. Dr. med. Ludwig Manfred Jacob

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Prostatakrebs-Kompass - Dr. med. Ludwig Manfred Jacob


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geschieht durch Bindung an polyanionische Matrixmoleküle (Glykosaminoglykane) im Zwischenzellgewebe (Schafflhuber et al., 2007). Durch diese Natriumansammlung im Bindegewebe entsteht osmotischer Stress, der im Unterhautgewebe zur Sekretion von VEGF-C (Vascular Endothelial Growth Factor C) führt (Titze und Machnik, 2010). In einer Studie resultierte die erhöhte Zufuhr von Natrium in Form von Kochsalz in einem Anstieg von VEGF-C bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung. Derselbe Trend war in gesunden Personen zu beobachten (Slagman et al., 2012). Auch in einer weiteren Studie konnte dieser Effekt beobachtet werden. Dabei war die Sekretion von VEGF-C bei einer salzreichen Ernährung höher als bei einer salzarmen Ernährung (Liu et al., 2011).

      VEGF-C ist ein Wachstumsfaktor, der u. a. die vermehrte Bildung von Lymphgefäßen fördert (Titze und Machnik, 2010). Die Bildung von Lymphgefäßen im Tumorgewebe ist ein kritischer Faktor bei dessen Entartung und führt zur Streuung des Tumors. Skobe et al. (2001) stellten in einer Studie fest, dass VEGF-C für die vermehrte Bildung von Lymphgefäßen in Tumorgeweben verantwortlich ist, was zu einer verstärkten Ausbildung von Metastasen führt. Auch in einer Studie an humanen Pankreasadenokarzinomen konnte ermittelt werden, dass VEGF-C in denjenigen Proben erhöht war, in denen sich Lymphknoten-Metastasen gebildet hatten (Guo et al., 2013). Eine verstärkte Bildung von Lymphgefäßen könnte als Marker für eine spätere Bildung von Metastasen dienen (Tobler und Detmar, 2006).

      Chemokine können dazu beitragen, dass Tumorzellen und Lymphgefäße zueinander finden. Faktoren wie VEGF-C können die Bildung von Lymphgefäßen in Lymphknoten anregen, noch bevor Tumorzellen dort angekommen sind (Achen und Stacker, 2008).

      Wie bereits beschrieben, ist das Milieu im Gewebe entscheidend dafür, ob Krebszellen proliferieren oder nicht. Durch eine zu hohe Salzzufuhr und die folglich erhöhte Sekretion von VEGF-C wird also offenbar ein Milieu geschaffen, das es Krebszellen erleichtert Metastasen zu bilden.

      Wenn Ärzte die Nährstoffversorgung von Patienten untersuchen, verlassen sie sich üblicherweise auf die Serumwerte. Dass das lymphatische System auch eine sehr wichtige Rolle spielt, wird dabei leider außer Acht gelassen. Die aufgeführten Studien zeigen zudem, dass eine genaue Bestimmung des Elektrolythaushalts scheinbar noch schwieriger ist als bisher angenommen, da das Zwischenzellgewebe nur sehr schwer daraufhin untersucht werden kann.

      Klinisch und optisch zeigt sich eine Natriumchlorid-Einlagerung an der vermehrten Bildung von Lymphödemen (Wassereinlagerung im Bindegewebe). Starke Salzreduktion und kaliumreiche Ernährung sind eine ursächliche Therapie. Ödeme (z. B. Lid- und Gesichtsödeme) treten auch verstärkt unter Stress und damit verbundener Aldosteron-Ausschüttung auf und weisen auch auf einen erschöpften Energie- sowie gestörten Elektrolythaushalt hin.

      Das Membranpotential ist eine wichtige nicht-genetische, biophysikalische Eigenschaft des Tumormilieus (microenvironment), welche die Balance zwischen normalem Wachstum und Krebsentstehung reguliert. Bereits vor langer Zeit wurde ein Zusammenhang zwischen den bioelektrischen Eigenschaften eines Gewebes und der Entwicklung von Krebs vermutet (Burr et al., 1938; Burr, 1940). Clarence D. Cone Jr. unternahm in den 1960er Jahren eine Reihe bahnbrechender Experimente und entdeckte als Erster, dass sich das Membranpotential im Verlauf des Zellzyklus verändert. Er postulierte daraufhin, dass die Abweichungen in proliferierenden Zellen mit dem Fortschreiten des Zellzyklus von der G1- in die S-Phase und von der G2- in die M-Phase verbunden waren. In reifen Neuronen des zentralen Nervensystems wird durch eine verlängerte Depolarisierung der Zellmembran die Synthese von DNA ausgelöst und die Zellen treten erneut in die Mitose ein (Cone, 1971; Cone und Tongier, 1971). Außerdem wird auf diese Weise eine Überproliferation von Fibroblasten verursacht (Sundelacruz et al., 2008). Cone formulierte auf Basis dieser Beobachtungen seine Theorie über die Kontrolle von Mitose und Onkogenese (Cone, 1971).

      Bekanntlich sind die meisten Krebsarten epithelialen Ursprungs, sie gehen also von Zellen aus, die ein konstantes Ruhepotential haben und keine Aktionspotentiale bilden wie Nerven- oder Muskelzellen. Durch das Ruhepotential nicht-erregbarer Zellen werden zelluläre Eigenschaften wie Proliferation, Migration und Form reguliert (Blackiston et al., 2009; Sundelacruz et al., 2009). Zudem wird durch endogene bioelektrische Signale gewährleistet, dass Vorgänge wie Regeneration (Levin, 2007 und 2009), Entwicklung (Adams, 2008; Levin, 2012a) und Wundheilung (Nuccitelli, 2003; McCaig et al., 2005 und 2009) koordiniert ablaufen. All dies sind Hinweise darauf, dass es sich bei Krebs um eine Entwicklungsstörung handelt, bei der Ionenflüsse und die sich daraus ergebenden Spannungsgradienten eine wichtige Rolle spielen. Diese beiden Parameter machen es möglich, das neoplastische Verhalten von Zellen vorherzusagen und zu kontrollieren (Huang et al., 2009; Levin, 2012b; Rubin, 1985).

      Die proliferativen Fähigkeiten einer Zelle stehen mit der jeweiligen Membranspannung im Zusammenhang: Ruhende Zellen sind normalerweise hyperpolarisiert, stark proliferierende Zellen wie Embryonalzellen, Stammzellen und Krebszellen sind depolarisiert (Binggeli und Weinstein, 1986; Levin, 2007). Das Membranpotential ist dabei kein Korrelat, sondern ein ursächlicher Faktor in der Kontrolle von Wachstum oder Zelldifferenzierung.

      Viele Studienergebnisse weisen mittlerweile darauf hin, dass Ionenkanäle und -pumpen in den Prozess der Krebsentwicklung involviert sind. Ein Beispiel dafür ist der Kaliumkanal EAG (ether à go-go), der häufig in Tumorzellen zu finden ist (Becchetti, 2011; Brackenbury et al., 2008; Kunzelmann, 2005; Pardo et al., 1999; Pei et al., 2003; Saito et al., 1998; Stühmer et al., 2006). Die Hemmung von Ionenkanälen stellt somit einen interessanten Ansatz für die Krebstherapie dar (Arcangeli et al., 2009 und 2012). Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass für Ionenkanäle codierende Gene Onkogene sind (House et al., 2010; Onkal und Djamgoz, 2009; Pei et al., 2003; Roepke et al., 2010) und dass die Expression bestimmter Ionenkanäle in Tumoren verändert ist (Fiske et al., 2006; Schönherr, 2005).

      Im Anfangsstadium der Tumorentwicklung reguliert das Membranpotential den Zellzyklus und bestimmt das Ausmaß der Zellproliferation (Blackiston et al., 2009). In der Xenopus-Kaulquappe wurde gezeigt, dass die Depolarisierung einer Zellpopulation zu einem Phänotyp führt, der einem metastasierten Melanom ähnlich ist. Dabei spielte es keine Rolle, welche Art von Ionenkanälen zur Depolarisierung der Zellen benutzt wurden – der Effekt war derselbe, wenn verschiedene Kanäle (Chlorid-, Kalium-, Natrium-, Protonenkanäle) in geeigneter Weise miteinander kombiniert wurden (Blackiston et al., 2011; Morokuma et al., 2008).

      Auch neuere Daten zeigen, dass die Depolarisierung von Zellen Phänotypen auslöst, die Krebszellen ähneln (Blackiston et al., 2011; Morokuma et al., 2008). Lobikin et al. (2012) zeigten, dass im Krallenfroschmodell das Spannungspotential der Zellmembran der entscheidende Faktor in der Krebsentstehung und im Metastasierungsverhalten war. Durch die Depolarisierung von sogenannten „Instructor“-Zellen wurde in Melanozyten ein metastasenbildender Phänotyp induziert und die geordnete Bildung von Blutgefäßen gestört. Nur sehr wenige dieser „Instructor”-Zellen müssen für diesen Effekt depolarisiert werden (Lobikin et al., 2012).

      Durch den Einsatz einer karzinogenen Substanz (4-Nitroquinolin-1-oxid) wurden lokalisierte Tumoren erzeugt. Gleichzeitig hatte die Substanz aber auch einen Effekt auf die bioelektrischen Eigenschaften des ganzen Körpers. Dieser Effekt äußerte sich in dem ungewöhnlich hohen Natriumgehalt von Onkogen-induzierten Tumoren, der zur nicht-invasiven Diagnostik herangezogen werden kann. Durch die Expression hyperpolarisierender Ionenkanäle konnte die Tumorentstehung signifikant reduziert werden (Lobikin et al., 2012).

      Es konnte auch gezeigt werden, wie klassische Onkogene über eine Veränderung des Zellmembranpotentials die Tumorentwicklung anstoßen. Depolarisierte Zellmembranen waren für das induzierte Tumorwachstum typisch und weisen darauf hin, dass das Spannungspotential der Zellmembran eine funktionelle Rolle in der Wirkung von Onkogenen auf die maligne Transformation von Zellen hat (Chernet und Levin, 2013).


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