Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy

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Menschen im Krieg – Gone to Soldiers - Marge Piercy


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      Ein Seegefecht war im Gang, die wenigen amerikanischen Schiffe versuchten, der japanischen Invasionsflotte den Zugang zu Port Moresby an der Südküste Neuguineas zu verwehren, nur dreihundert Seemeilen von Australien entfernt. Sektion 20-G hatte genug vom japanischen Marinecode (mit Spitznamen Rot) entschlüsselt, um ungefähr zu wissen, was die Japaner vorhatten, und Admiral Nimitz Vorwarnung gegeben. Doch während der Schlacht, die in den Zeitungen »Die Schlacht im Korallenmeer« hieß, vermochten sie nur wenige der japanischen Funksprüche zu entziffern. Und noch als die Schlacht vorüber war, schien sie vielen in der Sektion ergebnislos verlaufen zu sein, zumal ihnen gleichzeitig klar wurde, dass die japanische Marine einen neuen und größeren Coup plante. Die Zeitungen bezeichneten die Schlacht als einen Sieg, doch Sektion 20-G wusste, wie verzweifelt die amerikanische Marine nach wie vor einen Sieg brauchte. Diesmal war es keiner, aber es war auch keine Niederlage. Die japanische Invasion war für diesmal abgewendet. Vielleicht mussten sie sich damit zufrieden geben, Nichtniederlagen zu feiern.

      Das Beste an der Schlacht war, dass sich bei so viel abgefangenen Funksprüchen genug Vergleichsmaterial angehäuft hatte, um im Laufe des nächsten Monats die Aufschlüsselung vieler Codegruppen zu ermöglichen. Im Büro herrschte eine Atmosphäre mühsam bezähmter hysterischer Lachlust, denn zum einen wussten sie nun genau, worauf sie hinarbeiteten, und zum anderen hatten sie der Admiralität, die ihrer Arbeit eher misstrauisch gegenüberstand, bewiesen, dass sie nicht nur nützlich, sondern notwendig waren. Das verringerte nicht den Druck, denn ihre Frist hatte ihnen Yamamoto persönlich gesetzt, der große japanische Seelord, der den Überfall auf Pearl Harbour geplant und geleitet hatte.

      Yamamoto befand sich auf dem Flaggschiff Yamato, und von diesem ultramodernen Schlachtschiff aus versammelte er zweihundert weitere Schiffe für einen bevorstehenden Angriff, der die amerikanische Flotte endgültig auslöschen sollte. Bis Mitte Mai konnten sie – Washington und der Marinenachrichtendienst in Pearl Harbour – neunzig Prozent aller wichtigen Funksprüche mitlesen. Bisher hatte Daniel fünf Flugzeugträger, elf Schlachtschiffe, sechzehn Kreuzer und neunundvierzig Zerstörer ausgemacht. Die Amerikaner hatten drei Flugzeugträger, null Schlachtschiffe, acht Kreuzer und vierzehn Zerstörer. Auf der großen Karte markierten bunte Stecknadeln die neuesten bekannten Positionen der zusammenströmenden japanischen Streitmacht. Der Marinenachrichtendienst erfand eine Kriegslist, die bewies, dass die Japaner im Begriff standen, Midway anzugreifen.

      Nach und nach wurden die Codes durchlässig, und nach und nach erschloss sich Daniel der Sinn seiner Arbeit. Einsatzbefehle wurden über Funk durchgegeben. Konnten die Amerikaner erst einmal die japanischen Funksprüche mitlesen, dann wussten sie zur gleichen Zeit wie die japanischen Offiziere, was die Japaner vorhatten. Endlich zahlte sich der ungeheure Berg an Arbeit rund um die Uhr in dieser missgelaunten Hektik aus, denn die meisten der seltsamen Klumpen aus fünf Buchstaben bedeuteten nun etwas Konkretes.

      Am dritten Juni begann die Schlacht, wie Sektion 20-G und der Marinenachrichtendienst es Nimitz vorausgesagt hatten, und Daniel wartete mit den anderen in dem grauen, mit IBM-Ausdrucken überhäuften Raum. Sie hatten so viele der Gefechtcodes, die in der Schlacht im Korallenmeer benutzt worden waren, entschlüsselt, dass sie die Kampfhandlungen anhand der japanischen Funksprüche verfolgen konnten. Nach stundenlangen, enttäuschenden Entschlüsselungen wäre Daniel lieber gewesen, sie hätten es nicht gekonnt. Nichts als Berichte von wirkungslosen Angriffen, die ohne weiteres abgewehrt wurden. Ein Angriff nach dem anderen, aber keine einzige Verlustmeldung, überhaupt keine Verluste abgesehen von japanischen Berichten über abgeschossene amerikanische Flugzeuge. B-17-Bomber griffen von der Insel Midway aus die japanischen Schiffe an, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Amerikanische Jagdflugzeuge, die versuchten, die japanischen Bomber zu vertreiben, wurden von den überlegenen Zeros dezimiert. B-26-Bomber stiegen donnernd von Midway auf und verfehlten ihre Angriffsziele. Avengers und Devastators von den beiden amerikanischen Flugzeugträgern erreichten die japanischen Schiffe, warfen ihre Bomben, verfehlten und wurden abgeschossen. Eine Kampfformation von Vindicators aus Midway ereilte das gleiche Schicksal. Daniel nahm das Hühnchensandwich, das ihm ein Maat mitgebracht hatte, legte es unangebissen hin und dachte, wir werden diesen Krieg verlieren. Ich werde nie nach Asien zurückgehen. Asien wird uns eine Generation lang verschlossen bleiben. Wir verlieren. Wir haben zu spät mit zu wenig angefangen.

      Daniel konnte die japanischen Funksprüche mitlesen und den Amerikanern sagen, was Yamamoto plante, aber Sektion 20-G konnte keine versagenden amerikanischen Torpedos zur Explosion bringen; konnte keine Flugzeuge besser machen, als sie waren; konnte keine Kriegsschiffe hervorzaubern oder Piloten, die so erfahren waren wie die japanischen. Und nach der totalen Vernichtung der ersten Torpedostaffeln sah es auch nicht so aus, als würden amerikanische Piloten mit ihren wirkungslos verpuffenden Torpedos und ihren weniger wendigen Flugzeugen, den schwerfälligen Devastators, lange genug überleben, um so viel Erfahrung zu sammeln.

      Dann kam eine Nachricht vom Kapitän der Akagi, einem der japanischen Flugzeugträger: Sein Schiff war schwer getroffen und stand in Flammen. »Wir haben eins«, schrie Daniel, und alle jubelten, als übertrüge das Radio ein Baseballspiel und die Senators schlügen endlich einmal die Yankees. Die Dauntless-Sturzbomber von den amerikanischen Flugzeugträgern waren eingetroffen.

      Sie sprachen immer noch über den Treffer, als ihm ein Maat eine weitere Meldung aushändigte. Er überflog sie rasch. »Die habe ich schon gesehen, Maat.«

      »Sir … das ist nicht dieselbe.« Der Maat schluckte.

      Daniel schaute noch einmal. Eine Gruppe war anders. Diesmal war die Kaga getroffen. Etwas Erstaunliches geschah auf der anderen Seite der Welt, etwas, was sie mit ihren Listen von Vier- und Fünfbuchstabengruppen und mit ihrem ständigen Wühlen in japanischen Lexika und Spezialwörterbüchern für japanische Marineausdrücke wundersamerweise vorbereitet hatten. Die Amerikaner hatten die Überraschung auf ihrer Seite und schienen ausnahmsweise einmal zu gewinnen. Daniel merkte an seinem benommenen Schock, dass er ein gutes Ende nicht mehr erwartet hatte; vielleicht hatten sie sich alle schon zu sehr an Niederlagen gewöhnt. Sie sahen einander offener und freier an als bisher, bevor sie sich wieder in ihr übliches hektisches Treiben stürzten.

      Ann, seit Monaten hinter Büchern verschanzt, entfernte einen Teil der Barrikade. Als er ihr zulächelte, zwinkerte sie rasch und schenkte ihm das winzige Aufblitzen eines Lächelns, bevor sie den Blick senkte. Wie zart sie war, wie erlesen und zerbrechlich. Inmitten des Schlachtgetümmels hielt Daniel inne und überlegte, wie er diesen Schutzwall durchbrechen konnte. Sie erschien ihm wie eine edle Prinzessin aus der Geschichte vom Prinzen Genji.

      Die Atmosphäre mühsam unterdrückten Schuldbewusstseins, die über dem Büro gehangen hatte, löste sich auf, und die feuchtwarme Juniluft Washingtons ließ sich leichter atmen. Alle redeten einander plötzlich mit Namen an und blickten einander in die Augen. Sonia bot ihm die Hälfte von ihrem Roastbeefsandwich an, Rodney griente ihm zu. Irgendwann in der halben Stunde zwischen der Nachricht, dass die Soryu getroffen war, und der Nachricht, dass sie sinkend aufgegeben werden musste, begannen die Menschen in dem langen Raum, sich weniger wie verdammte Seelen in der Hölle zu fühlen, dachte Daniel, und mehr wie eine Gemeinschaft. Sie begannen, auf ihre Arbeit und aufeinander stolz zu sein. Diese Schlacht war auch ihr Sieg.

      Jeff 2

      Das Kriechtier aus dem Sumpf von Alabama

      Jeff hatte mit vierzehn schießen gelernt. Der Professor hatte es ihm nicht beigebracht; sein Vater billigte so etwas nicht. Jeff war einsam, hatte aber keine Lust, sich immer mit den anderen Lehrerskindern herumzudrücken. Nach dem Tod seiner Mutter fing er an, die Umgebung zu durchstreifen, manchmal auf seinem Fahrrad, manchmal als Mitfahrer auf dem Trittbrett eines klapprigen Ford T über Schotterstraßen, manchmal auf der Ladefläche eines bäuerlichen Kastenwagens. Er suchte das Entrinnen, und die Herumtreiberei mit den Kindern auf den Farmen in den Bergen verschaffte ihm einen Fahrschein aus seinem Jammer. Dort war er nicht mehr schüchtern, weil sie ihn nicht als schüchternen Bücherwurm kannten. Dort war er frei, sich als Abenteurer auszugeben. Er war etwas Besonderes, der mit den vielen Einfällen, ein Anführer, der sich in einer den anderen Jungen nur allzu vertrauten Umgebung neue Abenteuer ausdachte.

      Er lernte jedes Seitensträßchen und jeden Fußpfad in den Bergen kennen, die alle Entrinnen, Abenteuer,


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