Menschen im Krieg – Gone to Soldiers. Marge Piercy
Читать онлайн книгу.sagte Eveline und schüttelte ihre Locken. »Der Strand ist übersät mit Wrackteilen und ölverschmierten Leichen.«
»Ich habe gehört, Blumenthal hat dir ab Herbst eine Assistentenstelle angeboten, und du hast sie abgelehnt, Abra.« Djika maß sie mit strengem Blick. »Was ist denn mit dir los? Wenn wir nicht Krieg hätten, müsstest du vierzig Jahre auf solch eine Chance warten.«
»Ich habe eine Ganztagsstellung bei einem Informationsdienst der Regierung.«
»Was machst du da?«
»Ach, Nachforschungen anstellen und Broschüren schreiben.«
»Was für Broschüren?«, fragte Djika.
Abra holte aus ihrer Schultertasche eine Broschüre mit dem Titel Kartoffeln fürs Vaterland. Sie reichte sie Djika und wusste nur zu gut, was ihre Freundin lesen würde:
Durch den Verzehr von Kartoffeln anstelle von Weizen können die Bürger der Vereinigten Staaten den Krieg gewinnen helfen. Wir haben nicht genug Weizen für unsere Verbündeten und uns selbst. Kartoffeln dagegen haben wir in Hülle und Fülle. Weizenmehl ist ein konzentriertes Nahrungsmittel und daher zur Verschiffung geeignet; Kartoffeln sind sperrig und demgemäß ungeeignet für die begrenzten Frachtkapazitäten …
Der Einleitung folgten seitenweise einfache Rezepte. Nach gekochten, gedämpften, geschnetzelten, gestampften, gebackenen, gefüllten Kartoffeln, Kartoffeln in Puffern oder Knödeln oder Aufläufen oder Salaten oder Kabeljauklößchen kamen die verzweifelteren Angebote: Kartoffelbrot mit gemahlenen Erdnüssen und eingeweckten Tomaten. Quetschkartoffeln als Ersatz für aufgeweichte Semmeln in falschem Hasen aus Kochfisch oder Hackfleisch. Fischkartoffelbraten. Fischhaschee mit kaltem Kartoffelpüree. Kartoffelnudeln. Kartoffeln im Schlafrock. Kartoffelwecken. Kartoffelplätzchen. Kartoffelkrapfen. Und dann das Finale: Kartoffeltorte.
Abras Erfahrung war, dass keine Neugier auf ihre neue Stellung überlebte, wenn sie der Kartoffelbroschüre ausgesetzt wurde. Schmunzelnd hatte Oscar einen Vermerk über ihre Pfiffigkeit weitergeleitet. Alle Frauen prüften nacheinander die Broschüre und sahen sie dann mit einer Mischung aus Mitleid und Bestürzung an. Das Thema wurde augenblicklich gewechselt.
Abgesehen von Djika, die immer noch in zerfleischter Treue im Schatten von Stanley Beauperes offenbar solide gebauter Ehe verweilte, entbehrten sie alle die Gesellschaft von Männern. Ihre männlichen Kollegen verschwanden nach und nach vom Campus. An der Columbia verwandelte sich das Gelände zwischen den Gebäuden und unter den Bäumen, das immer gesellschaftlicher Treffpunkt gewesen war, in Exerzierplätze für Marinekadetten, die unter militärischer Disziplin standen und viel zu jung für sie waren. Das normale Muster ihres gesellschaftlichen Lebens sah jetzt so aus, dass sie die meisten Abende, die nicht von Arbeit oder freiwilligen Diensten in Anspruch genommen waren, mit ihren Freundinnen verbrachten. Wenn dann ein früherer Freund oder Bekannter Urlaub bekam, ließen die Frauen alles fallen, blieben bis zum Morgengrauen aus und holten sich ihren Schlaf nach dem hektischen Wochenende.
»Abra, komm mal ein Minütchen her«, bat Karen Sue. »Ich habe etwas, da möchte ich mal sehen, ob es dir passt, Kind.«
Was Karen Sue ihr anpassen wollte, war das Versprechen, Ready nichts davon zu sagen, dass sie schon einmal verheiratet war. »Schließlich war es gar keine richtige Ehe. Ich meine, es ist fast nichts passiert, und eine annullierte Ehe ist eine, die eigentlich gar nicht stattgefunden hat.«
Abra stöhnte. »Aber, Karen Sue, Ready denkt doch nicht, dass du Jungfrau warst, oder?«
»Was er in der Hinsicht denkt, braucht uns im Moment nicht zu beschäftigen, Abra, und so wahr du meine Freundin bist, möchte ich nicht, dass du über Dinge aus meinem vergangenen Leben sprichst, über die du sowieso nicht die ganze Wahrheit weißt, und deswegen schafft solches Gerede nur Verdruss. Ein loser Mund setzt Schiffe auf Grund.«
Abra ging grantig nach Hause. Sie wurde nicht gern vor die Wahl gestellt, Ready eine Wahrheit zu verschweigen, die ihn interessieren mochte oder auch nicht, oder aber Karen Sue zu verärgern, die sie wirklich mochte. Verflixte Karen Sue, hatte sie vielleicht die Absicht, Abras Schwägerin zu werden? Sie konnte sich das Bild nicht recht vorstellen, aber vielleicht konnte es Karen Sue, in einem goldenen Rahmen.
Wenn sie ihren Freundinnen genau erzählt hätte, was sie tat, hätte ihnen das ebenso sehr Rätsel aufgegeben, wie die Kartoffelbroschüre sie langweilte. Im Moment schienen Oscar und sie im Altkleiderhandel tätig zu sein. Nach wie vor sammelten sie mündliche Geschichten von neu angekommenen Emigranten, insbesondere von solchen, deren vormalige Adressen oder Geburtsorte von militärischer oder industrieller Bedeutung waren. Außerdem sammelten sie Armbanduhren, Füllfederhalter, Rasierapparate, Brieftaschen, Koffer, Unterwäsche, Mäntel, Hemden. Sie bezahlten für alles und hatten eine entfernt plausible Erklärung: Sie ermittelten den Zustand der deutschen Wirtschaft, und die Verarbeitung und die Metalle einer Uhr oder die Stoffqualität eines Anzugs konnten nützliche Informationen liefern. Alles wurde in ein Lagerhaus in Washington verfrachtet, wo dieses zusammengeraffte Material Agenten ausstattete, die hinter den feindlichen Linien abgesetzt werden sollten.
Die Informationen, die sie sammelten, die Erinnerungen, gingen ebenfalls nach Washington. Der Agent, der vor ihnen diese Sammlung von Informationen und Flohmarktfutter durchgeführt hatte, war nach London versetzt worden, wo er wahrscheinlich an etwas arbeitete, das mehr nach Oscars Geschmack war. So nahm nun Oscar jede Woche den Zug nach Washington, nicht nur, um die verknautschten Beutestücke der Woche auszuliefern, sondern auch, um sich in die eigentliche Recherche- und Analyse-Arbeit hineinzutricksen und hineinzuintrigieren. Die R & A-Abteilung von OSS in Washington, knurrte Oscar, wimmele von brillanten Köpfen. Sie mussten es schaffen, nach Washington abkommandiert zu werden.
Oscar verzehrte sich vor unterdrücktem Groll. Sie arbeiteten bis spät in die Nacht, versuchten, ihr Bestes zu geben, an sechs, oft sieben Tagen in der Woche, doch Oscar trat auf der Stelle. Er hatte die Columbia nicht verlassen, um alte Kleider zu sammeln, und er gab akademischen Rivalitäten die Schuld an dem, was er als sinnlose Vergeudung seiner Talente sah. Mit wachsender Frustration geschah es, dass er sie bat, ihn Oscar zu nennen, und in der Tat begann er, sich vertraulich bei ihr zu beklagen wie bei einer Ehefrau oder Geliebten. Abra, die die Berichte der Flüchtlinge immer noch faszinierend fand, litt weniger an Ungeduld. New York war ihr Zuhause, genau wie Oscars. Obwohl sie sich mit einem möglichen Umzug nach Washington abgefunden hatte, brannte sie nicht darauf, dorthin zu kommen.
Sie beobachtete amüsiert, wie sich unter dem Druck, den er erzeugte, die Förmlichkeit zwischen ihnen nach und nach abschliff. Sie war Abra, er war Oscar. Mittags aßen sie zusammen im Deli unten auf der Madison Avenue, oder sie ging ein paar Sandwiches holen. An dem Tag, an dem Oscar einen Kommunisten befragte, der bei der Handelsmarine gewesen war und daher voller Einzelheiten über den deutschen Schiffsbestand steckte, so dass ein ganzes Dossier über ihn zu OSS nach Washington gehen konnte, an dem Tag führte er sie in ein spanisches Restaurant in der Vierzehnten Straße zum Essen aus. Dort schien der Kellner ihn zu kennen, und der Geschäftsführer kam und brachte eine Platte mit kleinen Leckereien als Geschenk des Hauses, die sie zu ihrem Amontillado knabberten.
Von dem Essen und dem Wein blühte Oscar auf. Nicht, dass er auch nur im Leisesten beschwipst wurde, er entspannte sich einfach, und Entspannen hieß bei ihm, sie mit Beschlag zu belegen, zu bezaubern, sich für Privates zu öffnen, wie er es in den neun Monaten ihrer Arbeitsbeziehung bisher vermieden hatte.
»Wir waren vier«, sagte er. »Ich bin der Älteste. Als Nächster kam mein Bruder Ben, er ist immer noch in Pittsburgh und hat eine chemische Reinigung. Dann die beiden Mädchen, Bessie, die mit einem Zahnarzt verheiratet ist und so dick wie wir beide zusammen, eine wundervolle, warmherzige Mutter von fünf Kindern. Dann meine jüngste Schwester Gloria.« Er schaute finster auf seinen Teller mit Meeresfrüchten.
»Was macht sie?«
»Wenn ich das wüsste. Sie ist in Paris.«
»Immer noch? Warum ist sie nicht weggegangen, bevor der Krieg ausbrach?«
»Der Krieg hat dort zwei Jahre früher als hier angefangen, müssen Sie bedenken. Sie hat einen Franzosen aus dem niederen Adel geheiratet, und sie ist Modejournalistin. Ihr Metier,