Die heimliche Geliebte. Ilka Sokolowski

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Die heimliche Geliebte - Ilka Sokolowski


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war bescheiden.

      »Kannten Sie meinen Onkel gut?«

      Ostermann nickte. »Ich konnte ihm einige Male bei seinen Forschungsarbeiten weiterhelfen. Ich arbeite im Archiv der Landesbibliothek – die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek am Waterlooplatz, Ihr Onkel hat sie vielleicht mal erwähnt … Nein? Wie auch immer, wenn Professor Heller besondere Fachliteratur benötigte, wandte er sich an mich. Ich habe die Fernbestellungen für ihn ausgeführt und Bücher und Dissertationen aus aller Welt besorgt. Es war immer sehr interessant. Und außerdem waren wir ja Nachbarn.«

      »Ich wusste nicht, dass mein Onkel in letzter Zeit noch so viel gearbeitet hat«, sagte Leo überrascht.

      »Doch, doch. Professor Heller war kein Mann, der untätig herumsitzen konnte. Zuletzt …« Ostermann stockte, bevor er weitersprach.

      »Noch kurz vor seinem Tod erarbeitete er die neue Ausstellung, die im Wilhelm-Busch-Museum zu sehen ist. – Hätten Sie Lust, morgen mit mir dorthin zu gehen?« fragte er unvermittelt. »Ich würde Ihnen gerne alles zeigen.«

      Leo fühlte sich überrumpelt. »Nein«, sagte sie forscher als nötig. |50|»Sie gehen morgen höchstens zum Arzt. Und ich bin sowieso den ganzen Tag unterwegs.«

      Ostermann zog ein gebügeltes Taschentuch hervor und putzte sich umständlich die Nase, als wollte er seine Verlegenheit über die Abfuhr verbergen.

      »Vielleicht ein anderes Mal«, fügte Leo etwas freundlicher hinzu. Selbstverständlich wollte sie Onkel Ludwigs letzte Arbeit sehen. Aber nicht morgen. Sie musste doch nach Wiedensahl. Ihr kam ein Gedanke.

      »Wo ist das überhaupt, dieses Wilhelm-Busch-Museum?«

      »Sie kennen es nicht? Dann müssen Sie mir aber wirklich versprechen, mit mir dorthin zu gehen! Es ist hier in der Stadt, im alten Wallmodenschlösschen mitten im Georgengarten, einem wunderbaren Landschaftspark aus dem 18. Jahrhundert.«

      Schade. Es hätte so gut gepasst. Kommen Sie um fünfzehn Uhr ins Wilhelm-Busch-Museum in Wiedensahl, in die Cafeteria namens Backstube. Oder so ähnlich.

      »Das Museum ist eines der bekanntesten für Karikatur in Europa und das einzige, in dem sich eine solche Zahl an Lebenszeugnissen und Originalwerken von Busch befindet«, erklärte Ostermann, dessen Stimme immer rauer wurde.

      Leo war an etwas anderem interessiert. »Wenn Sie sich so gut auskennen – wissen Sie, ob noch ein zweites Busch-Museum existiert? Irgendwo in der Nähe vielleicht?«

      Ostermann schüttelte den Kopf. »Es gibt kleine Gedenkstätten und Heimatmuseen in den Orten, in denen Busch gelebt hat. In seinem Geburtsort Wiedensahl zum Beispiel oder in Ebergötzen, wo er seine Jugend verbracht hat. Aber ein größeres Museum? Ich glaube nicht. Weshalb fragen Sie?«

      »Ach, nur so«, wich Leo aus. »Bei Gelegenheit werde ich mir ansehen, womit mein Onkel sich so befasst hat.«

      Hoffentlich gab Ostermann sich damit zufrieden. Vorläufig war es besser, nichts über das Geheimprojekt Backstube zu erzählen.

      |51|Bedächtig stellte Ostermann seinen Teebecher ab und heftete seinen Blick auf Leo.

      »Ich war es, der Ihren Onkel gefunden hat. Hat man Ihnen das gesagt?«

      Leo schüttelte erstaunt den Kopf. Sie hatte allerdings auch nicht danach gefragt.

      Er verbarg für einen Moment das Gesicht in den Händen. Als er wieder aufsah, glänzten seine Augen verdächtig, was offensichtlich nicht nur am Fieber lag.

      »Wussten Sie, dass Ihr Onkel eine zahme Krähe hatte?«

      Leo nickte. »Einen Raben. Hans. Ich habe davon gehört.« Bei einem ihrer seltenen Telefonate hatte Ludwig seinen gefiederten Hausgenossen erwähnt.

      »Hans Huckebein, genau wie bei Wilhelm Busch«, sagte Ostermann. »Ihr Onkel hat ihn gefunden. Kennen Sie die Geschichte? – Nein? – Eines Tages lag Hans mit gebrochenem Flügel auf dem Hof. Er war noch sehr jung, hatte noch nicht mal fliegen gelernt. Der Professor hat den Flügel geschient und den Vogel wieder aufgepäppelt. Als er ihn wieder in die Freiheit entlassen wollte, weigerte Hans sich. Er ließ sich einfach nicht vertreiben; am Ende durfte er bleiben. Wenn der Professor auf Reisen war, kümmerte ich mich um den Vogel. Ihr Onkel hatte extra einen großen Käfig für diese Gelegenheiten gekauft. Hier in der Wohnung durfte Hans frei herumhüpfen, aber bei mir musste er zur Sicherheit in den Käfig.«

      Er warf ihr einen verlegenen Blick zu. »Wegen Rufus.«

      Leo spähte zur Dachterrasse. Der Käfig befand sich immer noch dort draußen. Von dem riesigen Gitterwerk, das gut einen Meter in der Breite und noch etwas mehr in der Höhe maß, waren in der Dunkelheit nur schwarze Umrisse zu erkennen.

      Ostermann hustete. Seine Stimme war noch rauer und tiefer geworden.

      »Vor drei Wochen hatte ich Hans das letzte Mal in Pflege. Gleich an dem Abend, als der Professor zurückkam, brachte ich ihn |52|hinauf. Ihr Onkel …« Wieder ein rascher Blick zu Leo. »Tut mir leid, wenn ich das so direkt sage, aber er war ziemlich betrunken. So kannte ich ihn gar nicht. Er ließ den Vogel gleich aus dem Käfig. Keiner von uns beiden achtete auf die Terrassentür, die nur angelehnt war. Und da ist es passiert. Während wir uns unterhielten, entwischte Hans nach draußen. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir das bemerkten. Hans hockte auf dem Sims über dem Badezimmerfenster und beobachtete die ganze Aufregung ungerührt.«

      Ostermann schüttelte den Kopf. »Der Professor lockte und rief ihn, aber Hans blieb stur auf dem Sims. Ihr Onkel versuchte ihn zu fangen und kletterte auf die Brüstung, bevor ich ihn davon abhalten konnte. Es war nass draußen, es hatte geregnet. Die Steine auf der Terrasse und der Mauer waren glatt. Er muss einfach ausgerutscht sein.«

      Ostermann sah zu Boden und versank in Schweigen.

      »Und dann?«

      »Bin ich nach unten gerannt, aber Wang Li war schon bei ihm. Der Notarzt kam …«

      »So schnell?«

      »Einer von Wang Lis Leuten muss sofort angerufen haben. Aber es war trotzdem zu spät. Der Professor kam nicht mehr zu Bewusstsein.

      »Und der Vogel?«

      Ostermann sah verwirrt auf.

      »Haben Sie ihn gefangen?«, fragte Leo.

      Er schüttelte den Kopf. »Hans ist verschwunden.«

      Eine Weile hingen beide ihren Gedanken nach.

      »Meine Schuld«, flüsterte Ostermann heiser.

      »Reden Sie keinen Unsinn!«, sagte Leo gereizt. »Sie waren nicht Onkel Ludwigs Aufpasser. Steigern Sie sich da nicht in etwas hinein. Sie haben Fieber und gehören ins Bett.«

      Das Lampenlicht spiegelte sich in Ostermanns Brillengläsern und Leo konnte nicht sehen, wie er auf den Anraunzer reagierte. Er stand auf.

      |53|»Wahrscheinlich haben Sie recht. Es tut mir leid, wenn ich …«

      »Und hören Sie um Himmels willen auf, sich ständig zu entschuldigen.« Mit jedem Wort, das er sagte, stieg ihre Gereiztheit und proportional dazu auch ihr schlechtes Gewissen.

      »Nehmen Sie zwei Aspirin und ziehen Sie sich die Decke über die Ohren.«

      »Mach ich.« Er rang sich ein Lächeln ab. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Danke für den Tee. Und wenn ich was für Sie tun kann – sagen Sie es mir bitte. Jederzeit!«

      »Danke, Herr Ostermann.«

      »Paul.«

      »Also dann, gute Besserung, Paul.« Leo gab ihm die Hand und registrierte seinen kräftigen Händedruck.

      Leo wartete, bis Ostermanns Schritte auf der Treppe verklangen und ein Stockwerk tiefer die Wohnungstür geschlossen wurde. Dann schaltete sie das Licht aus und ging durch die dunkle Wohnung zur Terrasse. Der schwache Lichtschein aus der Küche reichte gerade, um die Hindernisse


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