Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
Читать онлайн книгу.Elke (seiner Lebensgefährtin) zum Abendessen kommen; auch er wurde vertröstet.
„Dein Vater sagt dir einen schönen Gruß“, sagte Stefan, „früher hättest du immer gemeckert, dass er keine Zeit für die Familie hat, und jetzt, wo er sie anbietet, willst du gar nichts mehr davon wissen.“
„Alles zu seiner Zeit“, knurrte Eva. „Er denkt immer, jetzt ruf ich, dann hüpfen alle. Blöder Kerl.“ In Wirklichkeit bedauerte sie es; sie freute sich, wenn ihr Vater vorschlug, zu ihnen zu kommen.
„Das sagt man aber nicht“, sagte David.
Stefan blieb die Ruhe in Person; er stieg über Spielsachen, den schlafenden Kater und Wäschekörbe; er trug Eva den Kaffee hinterher und beruhigte David, den er auf dem Arm hielt. Der Kater, den alle Katerchen nannten, schlief am liebsten mitten im Weg, je lauter es war, um so tiefer schien er zu schlafen. Es beruhigte ihn, wenn alle da waren. Die Katze hingegen, Madame Butterfly, saß beleidigt auf dem Fensterbrett und sah hinaus.
„Ich habe Hunger“, sagte Lucie, die inzwischen mit noch immer nacktem Popo auf dem Stuhl saß, „ich will kalten Kakao.“
„Och, Lucie“, sagte Eva, „jetzt habe ich die Milch extra heiß gemacht.“
„Warme Milch riecht komisch.“
Lucie brummte. Stefan summte. Lucie summte mit. Lucie sang viel. Sie saß oft vor dem Radio und sang mit. Eva musste ihr zeigen, wie der Schallplattenspieler und der CD-Player funktionierten. Lucie legte sich Musik auf (am liebsten Mozart) und tanzte dazu. Sie konnte stundenlang zuhören und tanzen.
„Was habt ihr probiert?“, fragte Eva, während sie ihre Strumpfhose anzog.
„Wiederaufnahme ‚La Bohème‘.“
„Wie schön!“
‚La Bohème‘ war eine von Evas Lieblingsopern. Sie musste jedes Mal heulen. Sie fing damit an, wenn Mimi Marcel ansang „Wir sind uns fremd“ und hörte nicht mehr damit auf, bis Mimi starb und der Vorhang fiel. Es war so furchtbar. Jedes Mal.
„Es gibt so vieles, was ich dir möcht sagen“, sang Eva. Lucie klatschte.
„Wie war’s?“
Sie schnürte ihre Stiefeletten und küsste Lucie, die ihren warmen Kakao brav getrunken hatte und ihr jetzt helfen wollte. Sie hielt ihr das Brot hin, damit Eva abbeißen sollte.
„Gut. Herr Liang war bester Laune. Er hat sich mal wieder mit Rohrhammer angelegt. Diesis ist kaine Pohobbe fühü die Bühüne, diesis ist aine Pohobbe fühü das Oochesta“, machte Stefan Herrn Liangs Akzent nach. Er mochte die vielen Dialekte und Sprachen im Haus, und er mochte Herrn Liang. Rohrhammer war der langjährige Regieassistent des Hauses. Er stritt mit fast jedem Regisseur. Er drohte bei jedem Streit zu gehen, machte eine Kurve durch den Publikumsraum und kam zurück zur Bühne.
Eva kicherte, die Kinder freuten sich. In ihrer Vorstellung arbeitete Papa in einem großen Haus mit niedrigen Gängen und dicken Rohren, aus denen Musik quoll.
„Verdammt“, sagte Eva, „ich muss los!“
Sie küsste alle am Tisch, warf einen Blick auf das Durcheinander im Raum und ging. Sie wusste, es würde genauso aussehen, vielmehr schlimmer, wenn sie nach Hause käme; aber die Kinder würden mit Stefan einen wunderbaren Tag erleben. Sie seufzte tief, hörte Stefan und die Kinder ‚O Himmel‘ singen und verließ das Haus, mit dem Brot in der Hand. Draußen roch es nach Frühling, das Gelb der Forsythien leuchtete.
Eine Dreiviertelstunde später betrat Eva in der Stadt das Auktionshaus, als ginge sie nun ihrerseits zu einer Opernpremiere. So viele Auktionen sie schon erlebt hatte, so aufgeregt war sie jedes Mal aufs Neue. Sie trug ihr wirres Haar fest zusammengebunden und hochgesteckt, eine Minute der Konzentration im Rückspiegel ihres alten grauen Volvo („eine fahrende Müllhalde“, hatte Sibylle einmal zu Ludwig gesagt), zu einem grauen Kostüm, dessen Jacke kleine Schößchen bildete. Frau Spoerli senior kam frisch vom Friseur; ihr weißes Haar war hoch aufgetürmt; an ihrem faltigen Hals prangte eine Kette mit böhmischen Granaten. Nicht so kleine Steine waren dies wie an der Kette, die Eva von ihrer Großmutter hatte, sondern dicke Rosetten reihten sich aneinander. Sie war eine Respekt einflößende, elegante Erscheinung mit ihren preußisch geformten achtzig Jahren.
Das Auktionshaus füllte sich. Blondierte, zugeschminkte Damen klapperten bereits in ihren hohen Absätzen über das abgewetzte Parkett oder zeigten nackte Füße in flachen, sportlichen Pumps. Sie trugen Hosenanzüge oder hatten Pullover um die Schultern geschlungen wie auf dem Golfplatz, und ihr Haar war kurz oder mit goldenen Spangen im Nacken zusammengehalten. Es gab auch blondierte Männer, blond das Deckhaar, grau der herausgeschossene Haaransatz. Eva sah ihnen an, ob sie für sich kauften oder Händler waren, wie das zerknautschte Dackelgesicht in der ebenso zerknautschten karierten Jacke; er sah aus wie eine geschrumpfte Ausgabe von Peter Falk alias Colombo. Ständig kamen und gingen Leute, saturierte junge Männer mit hochgeschlagenen Kragen, gelangweilte Gattinnen mit Seidentüchern, dickliche Männer in Lederjacken mit aufgedunsenen Gesichtern und protzigen Uhren am Handgelenk, oder dieser alte Herr, der immer kam, ohne je etwas zu kaufen, der, das wusste Eva, sein Vermögen verspielt hatte und nun dastand, mit einem Koffer in der Hand, die Schnalle zugetuckert, der Griff zerborsten, das Schloss abgerissen, und Schweißperlen auf der Stirn. Einmal Zocker, immer Zocker, da lässt sich gar nichts machen. Eva bot ihm manchmal nach der Auktion einen heißen Kaffee und Kekse an.
Leise rauschte die Klimaanlage, immer wieder klingelte ein Handy. Ein alter Herr setzte sein rosafarbenes Hörgerät ein. Eva, Albrecht und Rehweiler flankierten Frau Spoerli senior, die auf einem Podest mit einem Stehpult stand, und bedienten die Telefone; Spoerli junior hatte wie immer am Computer Platz genommen; neben ihr Frau Schattenfroh, heute im papageiengelben Kaftan mit wattierten Schultern und Perlengehängen in den Ohren. Bald war die Auktion in vollem Gange. Die Schlepper schleppten Tische, Kommoden und Stühle herein; bei den Asiatica rannten die Leute nach vorn, nahmen die Gegenstände in die Hände, kommentierten. Zahlen wurden aufgerufen.
„Gehen wir weiter?“, fragte Frau Spoerli senior launig, „Ihr Zuschlag mit 200, ham wir“, „nee, unter 130 fangen wir gar nicht an, zurück damit.“
Der Hammer fiel, ein Mann rief „485“.
„Nee“, sagte Frau Spoerli senior, „wennse jetzt erst bieten, tut mir leid, das kam zu spät“.
„Ich habe den Zuschlag“, rief ein anderer.
„Jawoll“, antwortete die Chefin, spannte ihre Halsmuskeln an und reckte den Kopf vor, als wollte sie ihn kurz aus dem Rumpf herausschrauben, „300, Ihr Zuschlag, wir sind ganz korrekt, und tschüss“, nickte sie den Trägern zu, das nächste Möbel, das nächste Bild, „zum ersten, zweiten, dritten.“
So ging es munter fort. Albrecht machte ein wichtiges Gesicht, wenn er einem Kunden den Zettel mit dem Zuschlag brachte, vorbei an den dicht gedrängten Reihen mit den Plastikklappstühlen, die schmalen Lippen ernsthaft gewellt.
„Nehmen Sie weg“, tönte Frau Spoerli senior, „dekorieren Se se schon mal für die nächste Auktion“, und die Gemeinde kicherte, es war ein Hin und Her der Stimmen und des Gelächters, in einem eigentümlichen, von Frau Spoerli senior dirigierten Rhythmus. Eva liebte diese Musik, und Wieland bewegte sich zu ihr, mit zusammengekniffenem Hintern, wie ein Ballettänzer, durch den Gang zwischen den Stuhlreihen.
„Ach, was haben wir denn hier Schönes“, hörte Eva und lachte, „eine Olympiaplakette von 1936! Na so wat Schönes aber auch! Na kieken Se mal, wie jeschmackvoll die Prägung!“
Die Seniorchefin kicherte. Die beiden Schlepper hielten das Samtkissen mit der Medaille hoch und machten betont ernste Mienen.
„Na, da hab ick ja ooch mitjeturnt“ – der Saal lachte, besonders die Älteren –, „nee, im Ernst, damals in der Schule, da mussten wa alle antreten, ick war ne jute Läuferin“ – anerkennendes „so, so“ im Saal – „ich hab leider keine Medaille gekriegt, nur in der Masse mitjeturnt.“
Frau Spoerli blühte auf, wenn sie halb berlinerte und sich