Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
Читать онлайн книгу.Biolamm, Bioschwein“, sagte Ludwig.
Ludwig schenkte Rotwein in die großen runden Gläser. Biowein. Was sonst.
Langsam kam das Gespräch in Gang. Was machst du, woher kommt ihr, ach so, ach ja, wie schön.
Sibylle wirkte sehr aufgeregt; ihre Wangen glühten. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid mit rosafarbenen Zacken am Ausschnitt und hatte die Haare anders frisiert. Sie leuchtet, dachte Eva, sie sieht weicher aus als sonst. Ob sie schwanger ist? Na, wer weiß. Ludwig hatte ein rotes Hemd angezogen, das locker über die Jeans hing; in seinem äußersten Zugeständnis an modischen Schick hatte er sich stets etwas von der Auflehnung gegen die Recklinghauser Eltern bewahrt, die er spießig nannte. Zusammen mit dem Bunsenlicht unter dem Fonduetopf und den Schraubgläsern verbreitete er eine Atmosphäre, die Eva an Campingplätze denken ließ. Sie war müde, die Dämpfe verursachten ihr nach dem sauerstoffarmen Tag Kopfschmerzen. Sie war froh, dass die anderen sprachen, über Abrechnungsmodalitäten, Punkte, Computersysteme, Stress mit Kollegen in den Krankenhäusern und die ständigen Reformen der Gesundheitsreform. Das Ganze wirkte wie ein Schlagabtausch, um ihre Positionen, ihre Bedeutung in der ärztlichen Hierarchie und ihre Haltungen in medizinischen Grundfragen zu klären. Martina und Hartmut waren im Osten aufgewachsen und hatten dort auch ihre Ausbildungen absolviert; er war Anästhesist. Eva schätzte ihn auf Ende fünfzig. Martina war Anfang vierzig. Sie hatte eine gynäkologische Praxis in Neukölln, Sibylle überwies ihr hin und wieder Patientinnen.
Stefan, der wie zu einer Orchesterprobe einen schwarzen Rollkragenpullover angezogen hatte, hatte die Ärmel hochgeschoben und fuhr sich mit der Hand immer wieder in den Kragen; sein sonst so blasses Gesicht war von der Wärme und vom Essen von einer leichten Röte überzogen. Er wanderte nach innen, das sah Eva. Wenn ihn etwas nicht interessierte, bewegte er sich mit seiner Konzentration einfach in eine ihr unbekannte Richtung. Tatsächlich dachte er auch jetzt an nichts: Er dachte an die Fleischstückchen, die er auswählte, er schmeckte sie auf seiner Zunge, er überlegte, in welche Soße er sie tunken sollte, er hörte zu.
Ob auch er sich ein wenig über ihren Freund wunderte, den sie sonst nur privat erlebten, fragte sich seine ruhelose Eva weiter. Natürlich merkte man Ludwig den Bestimmer an, in seiner Art, immer ein wenig zu dozieren, wenn er etwas reparierte oder erklärte, wie er die preiswertesten Angebote im Internet auf ihre Tauglichkeit einzuschätzen wusste. Manchmal wurde Stefan etwas spitz, wenn sie allzu viel auf Ludwigs praktisches Wissen gab und ihm verzückt lauschte. Im Grunde aber sahen beide in Ludwigs Einmischungen seine Freundschaft, seine liebenswürdige Bitte, ihm mit einer Aufgabe einen Platz zu geben. Als ob er nur da sein dürfte, dachte Eva, wenn er etwas Nützliches leistet. Hier, mit diesem anderen Arzt, sahen sie ihn zum ersten Mal in einem Umfeld, in dem er offenbar unter starkem Konkurrenzdruck stand.
Plötzlich sah Hartmut, ein hagerer Mann mit starken Augenrändern, Eva belustigt an. „Und du arbeitest also in einem Auktionshaus?“
Sie hatten sich zu Anfang darauf geeinigt, sich zu duzen, und doch berührte es Eva seltsam, von ihm so angesprochen zu werden. Sie fand Hartmuts Falten traurig, aber schön, sie erzählten von schlaflosen Nächten und wirren Erinnerungen, die unerwartet in den grün gestrichenen, diffus ausgeleuchteten Krankenhausgängen Gestalt annahmen, auf ihn zu traten und ihn ansprachen und fortgeschickt werden mussten; Geschwister, die jung gestorben, eine fliehende Mutter mit Kindern an der Hand, Volkspolizisten, die ihn streng ansahen, ungeheilte Patienten, die ihm auflauerten. Eva sah Feuer und Keller und stille Dörfer mit kopfsteingepflasterten Straßen, auf denen Kinder spielten, bis die Sonne unterging, und sie spürte einen unangenehmen Druck auf der Brust und trank etwas. Vielleicht kamen die Schatten von den vielen Zigaretten, die er rauchte; er hatte es erwähnt, dass er gleich nach dem Essen mal auf den Balkon raus müsse, weil Sibylle und Ludwig es wegen der Kinder in der Wohnung nicht duldeten.
Eva kaute das Fleisch herunter und tänzelte innerlich. Sie hatte, bevor Hartmut sie ansprach, gerade an Karl gedacht und sich gefragt, weshalb sie in letzter Zeit oft traurig wurde, wenn sie mit ihm zusammen gewesen war. Es war doch eigentlich immer schön, auch heute. Plötzlich hatte Eva Sehnsucht nach ihrer Schwester, die sich in Bolivien herumtrieb und das Leben in Müllstädten erforschte.
„Eva, träumst du?“ Sibylles Stimme. Eva kehrte mühsam in den Raum zurück. Hartmut sah sie erwartungsvoll an.
„Entschuldigt bitte“, sagte Eva.
Die meisten Leute hatten eine merkwürdige Scheu vor Auktionshäusern. Sie hielten sie für elitär, etwas für Frauen, die täglich ihre Brillanten wechselten und deren Häuser in Hochglanzzeitschriften abgelichtet waren. Oder sie dachten an staubige Räume, in denen aus der Mode gekommene Möbel vor sich hin dämmerten. Sie hatten auch eine Scheu vor Eva, wenn sie hörten, dass sie in einem Auktionshaus arbeitete.
„Heute gingen die Teppiche schlechter als sonst“, sagte sie etwas mürrisch, „und Frau Schattenfroh hat kein Wort mit Spoerli junior gewechselt. Spoerli senior hat Witze über ihre Teilnahme bei der Olympiade 1936 gerissen, und bei den japanischen Drucken gab es einen regelrechten Wettkampf.“
„Spoerli senior ist die Chefin“, sagte Stefan. Hartmut sah Eva spöttisch an.
„So eine Frau wie du“, sagte er, „zwischen dem alten Plunder, das zieht bestimmt Kundschaft, was?“
Ludwig sah so finster drein, als wollte er mit dem Motorrad über den Tisch rasen wie ein Halbstarker über den Campingplatz. Eva zog die Augenbrauen hoch.
„Du kannst mich ja mal da besuchen. Dann hast du Ludwig etwas voraus.“
Hartmut wich überrascht zurück, Ludwig wollte schon aufbrausen, doch Eva zwinkerte ihm zu. Ludwig lachte: „Jaja, unbedingt!“
Sibylle stand abrupt auf und begann laut, die Teller zusammenzustellen. Martina, die bis dahin zurückhaltend gewesen war, begann mit großem Elan von einem Kollegen zu erzählen.
„Er hat seine gesamte Praxiseinrichtung in Auktionshäusern ersteigert, stellt euch vor, Tische, Stühle, Teppiche, alles. Am Anfang hatte er kein Geld und fand es da günstiger; und später hat es ihm Spaß gemacht.“
„Ich kenn den Typ genau“, sagte Eva, „den gibt’s öfter, solche Typen gehören zu den Stammkunden. Die können nicht mehr aufhören, die sind wie Spieler.“
Martina war offensichtlich erfreut, dass sich die Situation wieder entspannte. „Genau“, sagte sie, „jetzt kann er nicht mehr aufhören damit und weiß nicht mehr, wohin mit dem Kram. Ich glaube sogar, dass er manchmal Stühle an Patienten verkauft. Seine Praxis sieht aus wie ein vollgestopftes Wohnzimmer, aber für die Patientinnen scheint das gerade einen Reiz zu haben. Ein interessanter Mann übrigens, er ist auf Fertilisation spezialisiert.“
„Fertilisation?“
„Alles, womit du keine Probleme hast“, sagte Ludwig eine Spur zu ironisch zu Eva, der nichts dazu einfiel und die sich plötzlich wünschte, ins Kino gegangen zu sein oder mit Stefan allein in einer Pizzeria zu sitzen. Es nervte sie, dass die Männer ihre Gockelei auf sie ausdehnten; sie fühlte sich wie eine Dame in einem Schachspiel, zum Einsatz gebracht und herumgeschoben. Außerdem rumorte der Herr Karl noch seltsam in ihr.
„Alles, was mit Fruchtbarkeit zu tun hat“, ergänzte Sibylle, die mit einem Tablett aus der Küche zurückkam und den Tisch weiter abräumte. Eva stand auf, um ihr zu helfen, doch sie winkte ab.
„Unerfüllter Kinderwunsch, Samenspender, Hormonbehandlung, in-vitro–“
„Er hat also mit Unfruchtbarkeit zu tun“, sagte Stefan.
„Wie du es nimmst.“
Unvermittelt stand Ludwig auf, kam auf Evas Seite des Tisches und küsste sie. „Tut mir leid, Eva, ich wollte heute nicht streiten, ich weiß auch nicht, was wieder in mich gefahren ist.“
Eva nahm seine Hand. „Es war doch gar nichts“, murmelte sie verwirrt, „es war doch nur so wie immer.“
Und ihr Herz, das schon ein böses spitzes Maul gemacht hatte, öffnete sich voll Wärme. Sie sah Ludwig an, seine blauen Augen und den nicht