Alles ist Zufall. Theodor Fontane

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Alles ist Zufall - Theodor Fontane


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ihm nicht leicht machten, eine Balance zu finden, weil sie sich nur schwerlich zum Ausgleich bringen ließen: eine tiefe Bindung an die Heimat und eine Sehnsucht nach der Fremde, eine nach Sicherheit und Geborgenheit strebende Bürgerlichkeit und eine das Risiko nicht scheuende Abenteuerlust. Ein Jugendfreund schilderte ihn als scharfsinnigen, mit glühender Phantasie ausgestatteten, gutmütigen aber auch in sich widersprüchlichen Menschen, dessen Hauptschwäche die Eitelkeit sei.

      Nun erfährt der heranwachsende Mensch seine Prägungen nicht nur von der Umgebung, in der er lebt. Zuallererst sind hier wohl die Eltern zu nennen. Sie übermitteln eine Mitgift, die dem Menschen in die Wiege gelegt ist. Sie trägt mit den Jahren zu seiner Charakterbildung wesentlich bei. Seine Eltern unterschieden sich in vielerlei Hinsicht. Doch in einem stimmten sie völlig überein. Sie fühlten sich als etwas Besonderes, weil sie französische Namen trugen, ihre Vorfahren nach Preußen emigriert waren und sie sich als vom Calvinismus geprägte Hugenotten zu jener Schicht rechnen durften, die es in Preußen geschützt durch das Edikt von Potsdam (1685) zu etwas gebracht hatten. Aber dieser Kolonisten-Stolz genügte ihnen nicht. Sie bemühten sich, unter ihrem Namen, Persönlichkeiten zu finden, die eine herausragende Stellung in Staat und Gesellschaft innehatten, um sie als Vorfahren anzuführen. In diesen mehr der Phantasie als der Wirklichkeit geschuldeten denkbaren Verwandtschaften versuchten sie einander zu übertrumpfen, und daraus für sich jeweils besondere Vorrechte für die Kindererziehung abzuleiten. Fontane schilderte dies in seinem Buch Meine Kindheitserinnerungen mit eben so viel Ironie wie Zustimmung. Er machte aber auch deutlich, dass dieser Wettstreit um die Vorfahren ihn nicht unbeeindruckt ließ. Kolonisten-Stolz hin oder her, seine Eltern standen unter Wahrung ihrer kulturellen Identität loyal zum preußischen Staat und seinen Herrschern. So verwunderte es nicht, dass Fontane mit Stolz auf seine Vorfahren und das Land blickte, in dem er heranwuchs. Doch in dieser Übereinstimmung seiner Eltern zu Stellung, Herkunft und Familie erschöpfte sich das sie einigende Band; ihre Charaktere hätten kaum unterschiedlicher sein können. In der detaillierten Darstellung ihrer Wesensunterschiede hält er sich mit der Milde des Rückblicks im Alter selbst den Spiegel vor.

      Seinen Vater, den er in seiner Kindheit besonders verehrte, schilderte er als einen gebildeten Mann, der weit über seine Tätigkeit als Apotheker hinauszublicken vermochte. Er bezeichnete ihn als einen »humoristischen Visionär«, einen Phantasten und Plauderer, der guten Sinnes zu sein und gut zu leben zu den wesentlichen Merkmalen seiner Existenz zählte. Allzu oft entfloh er der Apotheke und ging seiner Spielleidenschaft nach, die das Zusammenleben der Familie erschwerte und sie in den Abgrund schauen ließ. Um seine Spielschulden zu begleichen, musste er mehrfach seine Apotheke verkaufen. Seine Lebensweise nahm auf seine Frau und Kinder wenig Rücksicht. Dennoch liebte der junge Fontane seinen Vater, dessen Großzügigkeit ihm ein Leben eröffnete, das seine Phantasie beflügelte und ihm Freiräume schuf, die seiner Mutter ein Dorn im Auge waren.

      Fontane verhehlte nicht, dass er ihr als Kind nicht gerecht geworden sei. Ihre Strenge, ihr Fleiß, ihr Anstand und ihr sittsames Leben, aber auch ihre südfranzösische Heftigkeit, ihre Unduldsamkeit und manchmal auch Härte in Fragen der Erziehung sind Dinge, denen er am Ende viel verdankte, auch wenn er in seiner Jugend wenig Gefallen daran fand. Erst im Alter lernte er schätzen, was sie ihm mit auf den Weg gegeben hatte. »Sie war dem ganzen Rest der Familie, der damaligen wie der jetzigen, weit überlegen«, schrieb er, »nicht an sogenannten Gaben, aber an Charakter, auf den doch immer alles ankommt.«

      Die Gegenwelten der Eltern und der Umgebung, in die er hineinwuchs, prägten seine Entwicklung. Sie traten immer dann besonders hervor, wenn er sich an Weggabelungen befand, er entscheiden musste, welchen Lebenspfad er zukünftig beschreiten wollte. Für seine Schulzeit galt dies nur mit Einschränkungen, da er hier dem Willen der Eltern ausgesetzt war, die sich aber über seine schulische Ausbildung nur schwerlich verständigen konnten. So kurz entschlossen wie seine Mutter das Bummelleben mit Privatunterricht in Swinemünde beendete und ihn auf dem Gymnasium in Neuruppin anmeldete, meldete ihn sein Vater nach gut einem Jahr in der Quinta ebendort wieder ab, um ihn in Berlin auf die Friedrichswerdersche Gewerbeschule zu entsenden. In Neuruppin und Berlin lebte er fortan entfernt von seinen Eltern. Das Gymnasium verließ er 1836 als Sechzehnjähriger mit dem »Einjährigen«, damals ein durchaus ansehnlicher Abschluss. Die dreijährige Ausbildung knüpfte an sein Leben in Swinemünde an, da er die schulischen Verpflichtungen nicht sonderlich ernst nahm und lieber durch die Stadt schweifte und sich in Berliner Cafés mit der neuesten Literatur beschäftigte. So war er in der Lyrik seiner Zeit beschlagener als in den meisten Schulfächern. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass seine Neigung zur Literatur in diesen Jahren entfacht wurde. Sein Vater hatte ihn jedoch nicht ohne Hintergedanken an der Gewerbeschule angemeldet, denn er wollte, dass sein Theodor ebenso wie er selbst Apotheker würde. Und so kam es denn auch. Seine Lehrzeit begann er in der Apotheke Zum weißen Schwan in der Spandauer Straße bei Herrn Rose. Pflichtbewusstsein und Leidenschaft traten in diesen Jahren bereits als Wettbewerber auf. Fontane versuchte die Anforderungen der Ausbildung mit seiner Leidenschaft zur Literatur in Einklang zu bringen. Die Apotheke erwies sich dafür als ein gar nicht so ungeeigneter Raum, weil Herr Rose einem Lesezirkel angehörte und die wichtigsten literarischen Neuerscheinungen regelmäßig in die Apotheke flatterten. Schon bald schrieb der Lehrling seine ersten Gedichte, die neben einer Versnovelle am Ende seiner Ausbildungszeit im Berliner Figaro zum Jahreswechsel 1839/40 erschienen.

      Der zukünftige Apotheker und der Schriftsteller Theodor Fontane lebten so nebeneinander bis er nach dem Militärdienst, seiner Approbation und der Revolution von 1848 sein Apotheker-Dasein an den Nagel hängte und das Wagnis einging, als freier Schriftsteller zu reüssieren. In den Beruf des Apothekers kehrte er danach nie wieder zurück. In der auf die Revolution folgenden Zeit der Reaktion unter König Friedrich Wilhelm IV. und Ministerpräsident Freiherr von Manteuffel bedeutete diese Entscheidung den Verzicht auf ein bürgerliches Leben in Sicherheit und Wohlstand. Dieses Risiko ging er trotz der überaus widrigen Umstände ein. Er spielte Vabanque, wie es sein Vater auch getan hatte und vertröstete seine Verlobte Emilie Rouanet-Kummer auf bessere Tage. Es waren seine Freunde, die er vor allem durch seine Aufnahme in den Tunnel über der Spree, einem literarischen Club, gefunden hatte, die ihm über diese schwierige Anfangszeit hinweg halfen und ihm schließlich eine Anstellung als Lektor im Literarischen Kabinett bei Innenminister Manteuffel verschafften, der im Dezember 1850 zum Staatsminister aufstieg. Dies war nun deshalb besonders prekär, weil er zuvor auf der Seite der Revolution gestanden hatte. Wider Willen nahm er seine Arbeit in der preußischen Regierung auf. Es fiel ihm schwer als inzwischen durchaus anerkannter Dichter, im »Tunnel« hatte er seine ersten Gedichte mit Erfolg vorgestellt und die Balladen Männer und Helden sowie den Romanzenzyklus Von der schönen Rosamunde veröffentlicht, sich in subordinierter Stellung abzurackern für eine Politik, die er entschieden ablehnte. Doch als seine Dienststelle zum Ende des Jahres vorübergehend aus politisch-organisatorischen Gründen aufgelöst wurde, erfuhr er, dass er als freier Schriftsteller nur in bitterer Armut leben konnte. Da er im Glauben ein hinreichendes Einkommen zu haben, im Oktober 1850 geheiratet hatte und sich alsbald die Geburt seines Sohnes Georg ankündigte, kehrte er ohne Zögern in die Dienste des preußischen Staates zurück, als sich die Chance dazu bot. Ihm diente er in verschiedenen Verwendungen, u. a. verbrachte er mehr als fünf Jahre in London, bis zum Jahresende 1860. In dieser für sein Leben prägenden Zeit war er auf vielfältige Weise schriftstellerisch tätig. Zu seinen herausragenden Arbeiten zählten Ein Sommer in London 1954, die Ballade Archibald Douglas und seine Reise durch Schottland, die 1860 als Vorläufer der Wanderungen unter dem Titel Jenseit des Tweet erschien.

      Zum Entsetzen seiner Familie und Freunde verließ er die gut dotierte Stelle in London, heute würden wir sagen als Kulturattaché der preußischen Botschaft, um wieder als Schriftsteller tätig zu werden. Abermals entschied er sich gegen eine bürgerliche Existenz, um als freier Schriftsteller zu arbeiten; abermals musste er erfahren, dass sein ungeheurer Fleiß, seine Arbeitsdisziplin und sein Talent nicht ausreichten, um seine Familie zu ernähren.


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