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nicht beerben, hast du verstanden, es wird mich nicht beerben; niemals wird es oder seinesgleichen meine Bäume beschneiden, meinen Torf verbrennen, meine Äpfel pflücken, meine Kühe melken, meine Steine brechen und niemals meine Äcker pflügen – niemals!«

      »Himmel! Du bist ja wie ein kropfkranker Papagei! … Du meine Güte! Ihr habt uns bestohlen, und du weißt sehr wohl, dass ihr uns bestohlen habt.«

      Später am Abend kam die Mutter zu ihr ins Bett gekrochen. Sie hörten, wie Billy auf dem Klavier unten irgendwelche Melodien klimperte. Zu betrunken, um Akkorde zu greifen, versuchte er, die Melodien mit einem Finger zu spielen; danach klang es so, als schlüge er schreiend mit beiden Fäusten auf das Klavier ein. Sie hörten ihn auf der Treppe und wie er im Schlafzimmer auf der anderen Seite des Flurs rumorte. Dann Schweigen. Beth merkte, dass ihre Mutter zitterte.

      »Warum schreit Papa immer was von ›Bauch‹ und so?«

      »Er ist betrunken.«

      »Hat er dich geschlagen?«

      »Ich wünschte, er hätte es getan.«

      »Wir sollten fortgehen, Mama.«

      »Das können wir nicht.«

      »Warum nicht?«

      »Weil wir es nicht können.«

      »Er ist ein brutaler Kerl… Als er dich das letzte Mal geschlagen hat, hast du gesagt, du würdest ihn umbringen.«

      »Das war unrecht von mir.«

      »Ich jedenfalls hasse ihn.«

      »Das tust du nicht, Liebling.«

      »Doch.«

      »So darfst du nicht reden, das ist schlimmes Gerede, und meistens liebe ich ihn ja doch.«

      »Du liebst ihn nicht, Mama: du kannst ihn nicht lieben!«

      »Ich kann es, und ich tu’s… Schlaf jetzt.«

      Und noch Jahre später hatte das Wort »beerben« in ihrem Kopf nachgeklungen – »mich nicht beerben, mich nicht beerben, mich nicht beerben«. Zuerst hatte sie geglaubt, es bedeute »beerdigen«: dass sie ihn nicht beerdigen würde, wie andere Kinder es tun. Als sie herausfand, was es bedeutete, kam es ihr noch schlimmer vor: »verstoßen, vertrieben, verjagt, verworfen, verleugnet, vom Vater verstoßen werden; alles verlieren.« Am Grab ihrer Mutter hatte sie alles verloren. Regen, gelber Lehm und der Sarg, der in das ansteigende Wasser gesenkt wurde. Billys enterbender Arm um ihre Schulter und Geschluchze, das Ende von allem. Wochen der Trauer und der Gebete, dass der Tod allem ein Ende bereiten möge. Dann ab in eine Klosterschule in Monaghan. Weihnachten und Ostern mit Billy in Clonoula, wo er eine Menge getrunken und geredet haben musste, wo er gesungen, auf ihrer Bettkante gesessen und geweint hatte; und sie mit ihm. Als er einmal versucht hatte zu beschreiben, wie ihre Mutter ums Leben gekommen war, konnte er nicht weiterreden. Jahre später erfuhr sie von Winnie Ruttledge in der Küche des Pförtnerhaus Einzelheiten: die Ankunft des Bullenkalbs aus Tirkennedy als Teil der Mitgift ihrer Mutter – und wie stolz sie darauf war und jedem erzählte, es heiße Cooley, und wie jeder es zu einem Wunderkalb erklärte, seinen ungewöhnlichen Körperbau pries, seine Knochen und Muskeln, die Kraft seines Nackens und seiner Schultern, und seine Augen, denen kein Bauer je den Rücken zukehren würde.

      Im Lauf der Jahre wurde Cooley eigensinnig, riss sich den Kupferring aus der Nase, durchbrach Tore und drängte sich durch Lücken zu den Nachbargehöften, durchschwamm den See, um zu den Kühen und Färsen zu gelangen, die den Sommer über auf den größeren Inseln weideten. Sie mussten das Tier in das Steinhaus hinter dem Pferch im oberen Hof sperren. Eines Tages wurde Cooley wütend und ging auf Jim Ruttledge los.

      »Wär Mickey Dolphin nicht in der Nähe gewesen, wär ich jetzt Witwe, und als der Boss davon erfuhr, beschloss er, ihn loszuwerden. Als sie ihn am nächsten Tag auf einen Anhänger luden, öffnete der Himmel seine Schleusen. In dem Augenblick kam deine Mutter auf ihrem Einspänner in den Hof gefahren. Durch den dichten Regen konnte sie nichts sehen. Die beiden Männer hatten gerade die Laderampe hochgeklappt, als der Bulle sich im Anhänger umdrehte, mit dem Kopf gegen die Rampe schlug und die beiden Jungs über den Hof wirbelte wie zwei Äste. Dann kam er brüllend herausgestürmt, spießte das Pferd auf, stürzte den Wagen um, schleuderte deine Mutter in die Luft und zerfetzte sie kläglich, bevor Mickey ihn mit einem Peitschenhieb im Auge erwischte und mein Mann ihm mit der Axt den Schädel spaltete. Und ich schwöre zu Gott, sein Gebrüll und Geschmetter hab ich noch hier unten gehört, eine halbe Meile entfernt, bis sie ihm endlich die Kehle durchschnitten. Allmächtiger Gott, was für ein Bild der Verwüstung, die ganze Straße voll Wasser und Blut und alle Welt hysterisch; aber sie war tot, deine Mutter, der Boss hielt ihren Kopf: tot tot tot, und bis zu ihrem schönen weißen Gesicht mit einer Pferdedecke bedeckt. Und als ich den Mut fand, die Decke zu lüften, sah ich … gnädiger Gott … ein winziges blindes Blag in ihrem zerfetzten Schoß, nicht größer als ein Ferkel.«

      Bruder? Schwester? Sie legte die Hände auf ihren Bauch. Da war nichts zu spüren. Das »Blag«, das sie von Liam Ward empfangen hatte, würde kleiner sein als ein Kätzchen. Sie würde ihm nichts davon erzählen, bis ihr Plan ausgeführt wäre, bis sie Clonoula, Fermanagh, Irland weit hinter sich gelassen hätten. An Bord eines Schiffes, den Blick zurückgewandt, würde sie ihm erzählen, dass sie nicht nur ein neues Leben, sondern auch eine neue Familie begonnen hätten.

      »Miss Lisbeth, Beth, Miss Beth!«

      Dicht vor ihr stand Mercy Boyles Gesicht. Draußen vor dem Fenster das hellste weiße Maienlicht auf den blassesten grünen Buchenblättern. Und weit darüber ein hoher, klarer Himmel.

      »Petey Reilly ist an der Hintertür, Miss.«

      »Wer?«

      »Der Mann vom Kanonikus … er ist hier mit ’ner Nachricht für den Boss. Haben Sie die ganze Nacht in Ihren Kleidern geschlafen?«

      »Nein, nein, ich erklär’s dir, wenn ich runterkomme, sag du dem Boss Bescheid, Mercy.«

      »Mach ich… Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Miss.«

      Mercy legte ein kleines Päckchen auf die Tagesdecke, verließ das Zimmer und schloss leise die Tür. Beth löste das grüne Band und faltete das Seidenpapier auseinander. Darin fand sich ein reich verziertes Messingmedaillon. Als sie es aufschnappen ließ, sah sie die gemeißelten Gesichtszüge und hypnotischen Augen Charles Stewart Parnells.

      2

      Bin ich wach, oder schlafe ich, oder wache ich gerade auf? Wahrscheinlich wache ich gerade auf, ja; Licht. Beths Geburtstag. War sie eben erst hier im Raum, oder ist es schon länger her? Mädchenduft, Klematis. Frauenduft, fünfundzwanzig. Geburtstage; Todestage. Wann ist meiner? Wo? Bett? Auf einem Schiff? Stuhl? Stall? Feld? Kirche? Steinbruch? Unwichtig … aber wie? Langsam? Todesqualen, eine plötzliche Darmentleerung und Schrecken, o Jesu Gnade, vergib, vergib, vergib einem elenden Sünder, immerwährender Jesus! Plötzlich auf einer Landstraße oder einem Feldweg, auf einem Pferdemarkt oder meinem Hof, William Hudson Winters, mein Name in einer Spalte, Sterberegister, verschieden. Wie ein Schuss; bumm! schwarzes Ende, futsch, vorbei. Ewigkeit…

      Alle toten Winters liegen hier in der kalten nördlichen Erde der Provinz Ulster begraben.

      Alle Frauen der toten Winters liegen hier in der kalten nördlichen Erde der Provinz Ulster begraben.

      Alle Säuglinge und Kinder aller toten Winters liegen hier in der kalten nördlichen Erde der Provinz Ulster begraben. Er wartet.

      Die arme Mama mit ihrem albernen Liedchen.

       »I’ll tell you a story

       bout Billy MacClory.

       Will I begin it?

       That’s all that’s in it!«

      Das ist alles? Punktum?

      Oder fahren wir auf zum Hause Gottes, Morgenstern, Haus aus Gold… Das meines Großvaters. Ist es sicher in dem alten Safe? Wirklich?


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