Das Komplott der Senatoren. Hansjörg Anderegg
Читать онлайн книгу.bereits eingehend informiert hatte. Marias Wortschwall bestätigte die traurige Geschichte: sie wäre fast selbst gestorben, als sie den Senator gestern Morgen tot in der Bibliothek gefunden hatte. Der Arzt stellte akutes Herzversagen fest. Ein Herz-Kreislauf-Kollaps, nichts Ungewöhnliches bei Menschen seines Alters. Der Sarg mit den sterblichen Überresten des großen Politikers wartete nun im Bestattungsinstitut auf die Überführung in seine alte Heimat, nach Phoenix. »Wenigstens hat er nicht lange leiden müssen«, sagte er, ohne zu erröten.
»Oh ja, Mr. Lee, das ist ein großer Trost für uns alle«, stimmte sie zu und begann hemmungslos zu weinen. Er wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Sie hatte ihn wirklich geliebt, den alten Sack, der ihm auch tot kein bisschen sympathischer wurde. Lee kannte ihn seit er denken konnte als selbstgerechten Egomanen, der es geradezu darauf anlegte, seine politischen Gegner platt zu walzen. Gegner gab es genug, denn er politisierte am äußersten rechten Rand, die freie Marktwirtschaft möglichst ohne staatlichen Einfluss war sein Evangelium. Er war ein exzellenter Networker, seine Fäden reichten in die Verwaltungsräte und Chefetagen der wichtigsten Unternehmen. Er unterstützte die großen Energiekonzerne in ihrer rückwärts gerichteten Energiepolitik aus dem letzten Jahrtausend und wurde nicht müde, jeden unkonventionellen, zukunftsgerichteten Ansatz ins Lächerliche zu ziehen. Auch die Arbeit seines eigenen Sohnes. Dass Lees junge Firma ›Disruptive Technologies‹ mit neuartigen Technologien energiesparender Wasseraufbereitung schon schöne Erfolge erzielte, interessierte den alten Knacker nicht die Bohne. Auch nicht, dass Lee seinerzeit als einer der besten Physiker seines Jahrgangs an der U of C, der University of Chicago, abgeschlossen hatte. Seinen Master ›summa cum laude‹ nahm er nicht einmal zur Kenntnis. Ein ewiger Träumer wäre er, der sich mit lächerlichen Hobbies beschäftige, statt richtige Arbeit zu verrichten. Zu liberal, zu links war er seinem Vater selbstverständlich auch, wie fast jedermann. Senator O’Sullivan war ein stockkonservativer, irischer Dickkopf gewesen, der sich für allmächtig und nichts Grosses neben sich geduldet hatte, noch nicht einmal Gott. Von Haus aus Katholik, hatte er seit Jahrzehnten keine Kirche mehr von innen gesehen. Er hatte es nicht an die große Glocke gehängt und sich auch nie geoutet, war aber ein funktionaler Atheist gewesen, und das war auch das Einzige, was Lee an seinem Vater gemocht hattee. Ein Weiberheld war er überdies gewesen, der die Frauen schamlos ausgenutzt hatte. Gut, dass er nicht in den Armen einer Nutte gestorben war. Nein, Lee konnte beim besten Willen keine Träne vergießen um seinen toten Vater, noch nicht.
»Ich möchte sehen, wo es passiert ist«, sagte er zu Maria.
»Selbstverständlich«, antwortete sie schluchzend und ging voran die Treppe hinauf. Es war dunkel in der Bibliothek, die Luft roch abgestanden. Sie zog die schweren Vorhänge auf, öffnete die Terrassentür und zeigte auf den Sessel, in dem der Senator gestorben war.
»Hat man nichts verändert?« Er stellte die Frage nur, um sie abzulenken. Ihr Schmerz und ihre echte Trauer waren unerträglich.
»Nein, Mr. Lee, ich habe das Zimmer seither nicht mehr betreten. Ich konnte nicht.«
»Das verstehe ich.« Er sah, dass sie gegen die Tränen kämpfte, aber er war beim besten Willen nicht die geeignete Person, bei der die junge Frau sich ausweinen konnte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich eine Weile allein zu lassen? Ich – möchte Abschied nehmen.« Laut jammernd eilte sie hinaus. Er schaute sich nachdenklich im Zimmer um, in dem sich sein Vater oft aufgehalten, vertrauliche Gespräche mit Kollegen vom Hill geführt und Lobbyisten empfangen hatte. Sein privates Arbeitszimmer, das nun zum Sterbezimmer geworden war. Als einziger Sohn musste er sich um den Nachlass kümmern, und das schlug ihm schwer auf den Magen, ganz abgesehen davon, dass er keine Zeit dazu hatte. Wenn das Projekt in Indien jetzt nicht vorangetrieben wurde, konnte er es vergessen.
Lustlos betrachtete er die riesige Bücherwand: jede Menge juristischer Kram. Die Mitte des Gestells zierte eine, wie es aussah, unangetastete Sammlung klassischer irischer Literatur. Joyce natürlich, Shaw, Beckett, Swift. Swift? Er hätte gewettet, dass sein Vater noch nie von Gullivers Reisen gehört hatte. Was ihn ernsthaft verunsicherte waren die drei Bücher auf dem Schreibtisch. Hatte der Alte doch hin und wieder ein Buch in die Hand genommen? Der Titel des dicken Wälzers zuoberst auf dem Stapel überraschte ihn: Wasserkrieg, Studien zum globalen Klimawandel. Neugierig schlug er das Buch auf. Innen am Deckel klebte ein Zettel: ausgeliehen von der Library of Congress. Das handschriftliche Ausleihdatum war schwer zu entziffern, aber die Jahrzahl genügte. Das Buch hatte die Library vor fünf Jahren verlassen, das heißt, die Rückgabe dürfte auch etwa fünf Jahre überfällig sein. Auch die beiden anderen Wälzer stammten von der Library of Congress. Irgendwie beruhigte ihn diese Tatsache. Der Senator hatte einfach wieder einmal aufgeräumt.
Während er überlegte, wie er vorgehen sollte, stöberte er halbherzig in den Schubladen. Eines der Schubfächer war leer bis auf ein schwarzes Adressbüchlein, und plötzlich wusste er, was zu tun war. Er suchte die Telefonnummer von Garrah, McKenzie und Partners, der Anwaltsfirma in Washington, die den Senator seit Jahren betreute. Sein Anruf wurde sofort durchgestellt.
»Dr. O’Sullivan, ich möchte Ihnen, auch im Namen der Firma, unser tief empfundenes Beileid aussprechen«, begrüßte ihn eine samtweiche Frauenstimme. »Mein Name ist Marion Legrand, ich bearbeite das Dossier des Senators.«
»Gut, danke.« Ohne Lust auf Smalltalk mit den Winkeladvokaten kam er gleich zur Sache. »Hören Sie, ich habe eine Bitte. Der Haushalt des Senators hier in Potomac muss aufgelöst werden. Ich möchte, dass Sie das übernehmen, auch den Verkauf des Hauses und die Verwaltung des Nachlasses.«
»Selbstverständlich werden wir uns um alles kümmern. Wie kann ich Sie erreichen?« Um alles kümmern hieß eher: kräftig abkassieren, aber allein der Verkauf des Hauses würde die horrenden Spesen locker decken. Er gab ihr seine Handynummer und fügte hinzu: »Ich bin in nächster Zeit sehr viel unterwegs, darum möchte ich, dass Sie die Sache möglichst selbständig erledigen. Kann ich mich darauf verlassen?«
»Keine Sorge, wir werden Sie nur in dringenden Fällen kontaktieren. Sie können beruhigt sein, wir betreuen das Dossier seit vielen Jahren.« Hatte er einen spöttischen Unterton in ihrer Stimme gehört? Wie auch immer, als das Gespräch beendet war, fühlte er sich ausgesprochen erleichtert. Zentnerschwer hatte die plötzliche Verantwortung auf ihm gelastet. Jetzt hatte er eine große Sorge weniger, aber es blieb noch genug zu tun. Das Begräbnis, der Staatsakt in Phoenix, ihm graute vor den nächsten zwei Wochen.
Bevor er das Haus verließ, informierte er Maria. Ihr Schicksal berührte ihn, ob er wollte oder nicht. Er würde sie bald nicht mehr weiter beschäftigen können, aber er nahm sich vor, im Büro des Senators ein gutes Wort für sie einzulegen. Sie würde nicht lange arbeitslos bleiben. Als er ihr das sagte, fiel sie ihm um den Hals, und er drückte die Geliebte seines Vaters doch noch an sein Herz. Schon auf dem Kiesweg vor dem Portal, drehte er sich nochmals um.
»Ach, beinahe hätte ich es vergessen. Auf dem Schreibtisch liegen drei Bücher, die Sie an die Library of Congress zurücksenden sollten.«
Phoenix
Die offizielle Trauerfeier auf dem National Memorial Cemetery im Norden von Phoenix zog sich wie erwartet in die Länge. Lee drückte die Hand seiner Verlobten, als ihr Vater vor die Trauergemeinde trat, um letzte Worte an seinen guten Freund und treuen Weggefährten Finn O’Sullivan zu richten. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Neill Douglas, der Senator aus Chicago, seine helle Freude daran, als bekannt wurde, dass sich seine Tochter Anna Hals über Kopf ausgerechnet in den blitzgescheiten Lee O’Sullivan verliebt hatte. Seit rund einem Jahr lebten sie ihre Liebe als Verlobte sozusagen öffentlich, doch mit heiraten schien weder sie noch er es sonderlich eilig zu haben, zu beschäftigt waren beide. Seit Anna bei der Tribune angeheuert hatte, war wenigstens nicht immer er derjenige, der Rendezvous absagen musste. In dieser Hinsicht musste keiner dem anderen etwas vorwerfen.
»Droben in Washington«, fuhr Neill fort, als gehörte er auch zu denen unten im Süden, »gibt es viele Leute, die behaupteten, Finn wäre ein sturer Bock.« Beifälliges Raunen ging durch die Reihen. »Und lassen Sie es mich mal so ausdrücken: genau solche Böcke braucht es auf dem Capitol Hill.« Solche Sprüche gefielen den Gästen, die mehrheitlich aus dem Süden stammten