Das Komplott der Senatoren. Hansjörg Anderegg

Читать онлайн книгу.

Das Komplott der Senatoren - Hansjörg Anderegg


Скачать книгу
alter Haudegen, wir vermissen dich.«

      Die endlose Reihe der Honorablen des Staates Arizona zog an Lee vorbei, um dem hinterbliebenen Sohn die Hand zu schütteln. Dann endlich war die Feier zu Ende und eine sorgfältig ausgewählte Gesellschaft aus nächsten Verwandten und Bekannten geleitete den Verstorbenen zu seiner letzten Ruhestätte.

      »Nun, Lee, wann werden Sie in die Fußstapfen Ihres Vaters treten?«, fragte ein untersetzter, braungebrannter Mann neben ihm. Eine massive Sonnenbrille verbarg seine Augen, und die schwarz glänzende Frisur aus dem Windkanal zeigte straff nach hinten. Diego Martinez, der Ehemann von Lucy Martinez, der Gouverneurin von Arizona, und noch so ein Winkeladvokat.

      »Diese Fußstapfen sind mir entschieden zu groß«, antwortete Lee trocken. »Wenn immer möglich meide ich ausgetretene Trampelpfade und versuche neue Wege zu beschreiten.« Darauf fiel dem Anwalt keine intelligente Antwort ein. Er schwieg, und Lee bemerkte, wie ein schadenfrohes Lächeln über die Lippen der Gouverneurin zu seiner Rechten huschte.

      »Erzählen Sie mir etwas von den neuen Wegen, die Sie beschreiten«, wollte sie wissen, als sie später beim Dinner im Ritz-Carlton neben ihm saß. Zögerlich begann er, von seiner Firma und den Projekten zu sprechen, doch als er bemerkte, dass sie sich ehrlich für seine Arbeit interessierte, holte er weiter aus, froh, endlich ein vernünftiges Thema gefunden zu haben.

      »Sie lassen sich auf ein gefährliches Spiel ein, Gouverneurin«, warnte Anna. »Wenn er über die Arbeit spricht, vergisst er die Zeit.«

      »Oh, kein Problem«, lachte Lucy. »Es ist sicher gut investierte Zeit. Von einem Spitzenwissenschaftler über die neusten Entwicklungen im Kampf gegen den Wassermangel aufgeklärt zu werden, erspart mir mühsames Literaturstudium.«

      »Nicht zu vergessen, dass gute Literatur zum Thema Mangelware ist«, warf Lee ein, und er verstand die Bemerkung keineswegs als Scherz. Es gab genug Scharlatane, die Bücher über die Folgen des Klimawandels publizierten, ohne sich im Geringsten um die physikalischen Zusammenhänge zu kümmern. Leute, die einfach mit einem populären Stichwort ihr Schäfchen ins Trockene bringen wollten, oder, schlimmer, von gewissenlosen Lobbyisten gesteuert wurden. »Im Grunde genommen kennt niemand die wahre Ursache der zunehmenden Trockenheit, die man in den letzten Jahren auch hier in den Staaten beobachtet. Jeder, der etwas anderes behauptet, weiß entweder nicht, wovon er spricht, oder er will die Leute gezielt manipulieren. Damit will ich nicht sagen, dass die Ursachenforschung versagt hat oder unnötig ist. Die Wissenschaft ist einfach noch nicht so weit. Die Klimamodelle sind immer noch viel zu grob. Wir kennen lange nicht alle Parameter und Zusammenhänge, um zu begreifen, was in den verschiedenen Schichten der Atmosphäre vor sich geht, ganz zu schweigen von den Vorgängen in den Weltmeeren und ihrem Einfluss auf das Klima. Tausende renommierter Wissenschaftler im Weltklimarat sammeln seit Jahrzehnten Erkenntnisse aus der Klimaforschung, und sie verstehen die Schwächen und Grenzen ihrer Modelle.« Mit einem Seitenblick auf den skeptisch grinsenden Anwalt gegenüber fügte er schnell hinzu: »Und durch die enormen Fortschritte der Computertechnik sind wir heute weit besser in der Lage als noch vor wenigen Jahren, die Ungenauigkeiten abzuschätzen. Man sollte daher nicht den Fehler gewisser Politiker und Lobbyisten begehen, die gesicherten Erkenntnisse einfach zu ignorieren oder zu leugnen, nur weil wir noch nicht alles begriffen haben. Wir wissen viel, aber immer noch viel zu wenig, leider.«

      »Die beste Motivation für euch Forscher, nicht wahr?«, lächelte Lucy.

      »So ist es. Wie fast immer in der Wissenschaft muss man sich in kleinen Schritten dem Ziel nähern, Voraussetzungen und Konsequenzen von Modellen und Beobachtungen ausloten und eben auch unkonventionelle Wege beschreiten.« Anna hatte sich inzwischen an einen anderen Tisch zurückgezogen und Lee bemerkte, dass er zu dozieren begann, wie sie angedeutet hatte. Leicht errötend entschuldigte er sich: »Tut mir leid, ich rede zuviel.«

      »Ganz und gar nicht.« Die Gouverneurin schien eine gute Zuhörerin zu sein. »Wenn ich Sie richtig verstehe, wird es noch lange Zeit dauern, bis konkrete Gegenmaßnahmen in Sicht sind?«

      »Gegen die zunehmende Trockenheit, meinen Sie?« Sie nickte. »Ja und nein«, fuhr er fort. »Wir sehen zwar noch nicht, wie die Ursachen zu bekämpfen sind, im Gegensatz zum Kampf gegen die Erwärmung, wo man das CO2 als wichtigen Bösewicht entlarvt hat. Wobei man, nebenbei bemerkt, andere Treibhausgase wie Methan üblicherweise vergisst. Nein, die Ursache der Trockenheit bleibt ein Rätsel, aber wir können und müssen natürlich die Folgen bekämpfen.«

      »Und da kommt Ihre Firma ins Spiel, wie ich vermute«, lächelte sie.

      »Ja, eines unserer aktuellen Projekte geht gerade jetzt in die entscheidende Phase. Wir haben ein völlig neuartiges Verfahren zur Entsalzung von Meerwasser entwickelt, das nur einen Bruchteil der Energie konventioneller Anlagen benötigt. Schade, dass Ihr Staat keine Küste hat, sonst könnten wir unsere Technologie hier einsetzen und müssten den Pilotversuch nicht in Indien durchführen.«

      »Indien?« Er nickte.

      »Mit einem großen Projekt im Bundesstaat Kerala wollen wir die Machbarkeit beweisen.«

      »Faszinierend. Ich kann mir vorstellen, welcher Segen eine solche Technologie für viele Küstenregionen wäre.« Die Frau war in Ordnung, aber warum hatte sie nur diesen windschlüpfrigen Advokaten geheiratet? Mehr von ihrer Sorte könnte seine Meinung über die Politiker in diesem Land durchaus positiv beeinflussen. Durch die angeregte Unterhaltung hatte er das Steak auf seinem Teller ganz vergessen. Als er zum Messer griff, entschuldigte sich Lucy unvermittelt: »Nun ist Ihr Steak kalt. Tut mir leid, dass ich Sie vom Essen abgehalten habe.« Mit einem Blick auf ihren Teller schmunzelte er:

      »Gleichfalls. Lassen Sie sich’s schmecken.« Er aß ein paar Bissen und legte dann Messer und Gabel weg. Am Essen war nichts auszusetzen, aber auf solchen Gesellschaften fühlte er sich nie richtig wohl, und das dämpfte seinen Appetit. Überdies hätte er sich gerne mit Anna unterhalten, aber sie war in den Schoss ihrer Familie geflüchtet. Sie saß am Tisch des Senators aus Illinois, zwischen Neill und ihrer Mutter Myra. Eine Bilderbuchfamilie, dachte er spöttisch und gleichzeitig ein wenig wehmütig. In seiner Familie hatte es eine solche Idylle nie gegeben. Irgendwie lebte jeder sein eigenes Leben in seiner eigenen Welt. Manchmal hatte er das Gefühl, die Eltern und er hätten sich nur zufällig getroffen und eine Weile im gleichen Haus gewohnt. Es war Zeit, sich zu seiner neuen Familie zu gesellen. Er entschuldigte sich bei der Gouverneurin und wollte sich erheben, als sie ihn zurückhielt. Sie zeigte auf einen kultivierten Herrn mit feinen Zügen und angegrauten Schläfen, der neben ihr stand und sagte:

      »Nur einen Augenblick noch, Mr. O’Sullivan. Ich möchte Sie kurz Mr. Leblanc hier vorstellen. Er ist CEO von Mamot SA.« Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Jedes Kind kannte den Nahrungsmittelkonzern Mamot, einen der größten der Welt. Das war er also, Maurice Leblanc, Franzose oder Schweizer, einer der mächtigsten Wirtschaftsbosse. Sein Konzern kontrollierte unter anderem fast jedes Wasserloch, füllte das kostbare Trinkwasser in Flaschen ab und vertrieb es rund um die Welt. Allein mit dem Wassergeschäft erzielte Mamot Milliardenumsätze. Lee kannte sich aus auf diesem Gebiet, denn in gewisser Weise war seine Firma mit den Entsalzungsanlagen eine, wenn auch unbedeutende, Konkurrentin. Ich werde dir das Wasser abgraben, dachte er böse, wechselte ein paar nette Worte mit Leblanc und schlenderte zum Tisch des Senators.

      »… disruptive, was soll das? Eine Abbruchfirma? DT, ich bitte dich! Klingt eher nach Insektenvertilger als nach Hightech«, hörte er Neill zu seiner Tochter lästern, als er sich näherte.

      »Abbruchfirma ist eine gute Bezeichnung, Neill«, lächelte er, zog einen verwaisten Stuhl heran und setzte sich neben Anna an den illustren Tisch. »Wir räumen nämlich auf mit veralteten Technologien und ersetzen sie durch Sinnvolleres.«

      »Er hat es nicht so gemeint, Lee«, versuchte seine zukünftige Schwiegermutter zu schlichten.

      »Schon O. K., Myra, ich bin es gewohnt, dass man meine Arbeit nicht versteht«, und zu Neill gewandt fuhr er fort: »vielleicht solltest du unser Projekt in Kerala besuchen, das wäre gutes Anschauungsmaterial.«

      Der Senator rümpfte die Nase. »Indien?«, sagte er schaudernd. »Ich glaube, ich verstehe ganz gut, was ihr treibt, aber das sind doch alles ganz kleine Fische.


Скачать книгу