Das Komplott der Senatoren. Hansjörg Anderegg

Читать онлайн книгу.

Das Komplott der Senatoren - Hansjörg Anderegg


Скачать книгу
Power. Der könnte kostensparende, neue Technologie gebrauchen. Ihr könntet etwas für die Umwelt tun und erst noch unanständig reich werden dabei.« Es war nicht das erste Mal, dass er solche Vorschläge hörte. Auch sein Vater hatte nicht mit ähnlichen Kommentaren gespart, aber auf diesem Ohr war er taub. Die Kohlekraftwerke hatten keinen Platz in seiner Welt. Diese Dreckschleudern musste man ohne wenn und aber einfach schließen. Mit oder ohne Hightech: es existierte keine saubere Kohle. Er hatte keine Lust, die Diskussion zu vertiefen, gab Anna einen Wink, und sie zogen sich auf die Terrasse zurück, um sich eine Weile ungestört zu unterhalten.

      »Auch wenn du es nicht glauben wirst, Lee, aber du bist genau der gleiche Dickschädel wie dein Vater«, sagte Anna halb lachend, halb tadelnd.

      »Also habe ich doch noch eine positive Eigenschaft geerbt.«

      Sie schaute ihn eine Weile nachdenklich an, dann murmelte sie: »Es ist schon traurig, weißt du.«

      »Was meinst du?«

      »Es braucht einen tragischen Todesfall, damit wir uns wieder einmal länger als zwei Stunden sehen.« Er nickte schweigend. Sie sprach nur aus, was ihn schon den ganzen Tag beschäftigte. »Und bald wirst du längere Zeit ganz weg sein.«

      »Einen Monat«, sagte er leise, wie zu sich selbst. Er hoffte, sie würde die gefürchtete Frage nicht stellen, vergeblich.

      »Wie soll es nur mit uns weitergehen?« Er nahm sie in die Arme und küsste sie zärtlich auf die Stirn. Antwort wusste er keine.

      Library of Congress, Washington DC

      »A faier sol im trefn!«, schimpfte Jerry außer sich und knallte das Buch auf den Tisch. Jeremy Glickman musste sich schon sehr echauffieren, bis er das einem Buch antat, aber erstens war dieser hanebüchene Bericht über den Selbsterfahrungstrip des Hinterbänklers Lindsay in den Appalachen kein richtiges Buch und zweitens war das neue Katalogsystem soeben zum dritten Mal ausgestiegen an diesem Freitag.

      »Immer mit der Ruhe, Jerry, die Ferien stehen vor der Tür«, rief ein junger Kollege, der schnelle Paul, hinter seinem Pendenzenberg.

      »Eben, das ist es ja. Heute muss unbedingt zeitig Feierabend sein, ich kann Sarah nicht enttäuschen. Mit dem neuen System kommt man nicht vom Fleck. A schand ist das. Rückgaben dauern viermal so lange wie früher. Habe ich recht oder habe ich recht?« Bald würde er ein trauriges Jubiläum feiern können: das zehnte neue Katalogsystem. Diese Katastrophe war schon das neunte in seiner langen Karriere an der ehrwürdigen Library of Congress. Wie zu jedem Ferienbeginn hatte er seine Tochter zu einem festlichen Schmaus in seine Dachwohnung eingeladen. Wie jedes Mal würde Sarah ihre kleine Buchhandlung in Adams-Morgan ausgerechnet am Freitagabend, wenn die meisten Kunden kamen, frühzeitig schließen, um ihrem alten Vater Gesellschaft zu leisten. Nein, heute durfte er sich unmöglich verspäten, schon gar nicht wegen eines mangelhaften Computerprogramms.

      »Kaffee?«, fragte Paul, der schon an der Tür wartete.

      »A Schnaps könnte ich jetzt vertragen.« Mit einem bekümmerten Blick auf den Stapel Bücher, der noch bearbeitet werden musste, erhob er sich und schlurfte hinter Paul her zu den Aufzügen. Wenigstens war er bisher von den meisten Reorganisationen verschont geblieben, hatte nicht andauernd umziehen müssen, sondern thronte nun schon fünfzehn Jahre in seinem Penthouse-Büro im fünften Stock des John Adams Building.

      Schweigend fuhren sie zur Cafeteria hinunter. Nicht weniger als ein halbes Dutzend weitere Angestellte der Bibliothek machten mehr oder weniger gelangweilt Zwangspause an den Tischen. Jerry sah auf die Uhr und brummte:

      »Um fünf bin ich draußen, das schwöre ich.«

      »Guter Vorsatz«, lachte Paul. »Die Bücher warten schon, bis du wieder zurück bist. Zwei Wochen, mein lieber Schwan, was machst du nur so lange ohne uns?« Ein fast schon verklärtes Lächeln umspielte seinen Mund, als er an die bevorstehende Reise dachte.

      »Ich werde mich bestimmt nicht langweilen«, antwortete er.

      »Wohin geht’s denn?«

      »In den Süden, Santa Fe und Kalifornien.«

      »Route 66?« Paul war ehrlich überrascht.

      »Nicht so, wie du denkst. Mit dem Zug.«

      »Gute Nacht!«

      »Ganz recht, mein Junge. Nach St. Louis und dann im feudalen Schlafwagen des Southwest Chief nach Westen. In Lamy unterbreche ich die Fahrt und sehe mir die Kunst in Santa Fe an.«

      »Cool. Ein Glück, dass das Klima wieder besser geworden ist da unten.«

      »Klima? Was meinst du damit?«

      »Liest du keine Zeitungen?«, wunderte sich Paul, dann schlug er sich an die Stirn. »Ach so, dumm von mir, ich vergesse es immer wieder. Ihr Humanisten lest ja nur das Feuilleton.«

      »Was ist mit dem Klima?«, fragte Jerry ungerührt, während er wieder auf die Uhr schaute.

      »Die Durchschnittstemperatur ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Sogar in Arizona gibt es neuerdings längere Perioden unter hundert im Sommer.«

      »Hört sich gut an«, sagte er abwesend und stand auf. Er musste zurück an die Arbeit. Wenn die Techniker nicht geschlafen hatten, sollte das System inzwischen wieder hochgefahren sein.

      Ohne aufzublicken widmete er sich den letzten Büchern des Stapels, freute sich über jede Eingabe bei der keine Fehlermeldung auf dem Bildschirm erschien. Noch zehn Minuten und noch ein Buch. Das war zu schaffen. Er klappte den Deckel des Wälzers auf und stutzte. Die Abhandlung über den Klimawandel war fünf Jahre überfällig. Ein Spezialfall, auch das noch. »A schand ist es, a schand«, grantelte er verärgert, doch als er die Adresse des Kunden sah, hellte sich seine Miene auf. Ein Senator, der durfte sich so etwas natürlich ohne Konsequenzen erlauben. Rasch tippte er die notwendigen Angaben in die Tastatur und meldete sich beim widerspenstigen System ab. Zum letzten Mal für zwei Wochen. Er atmete auf. Bevor er das Buch zur Ablage weitergab, hob er es auf und ließ die Seiten mit geübtem Griff über seinen Daumen gleiten, um sicher zu gehen, dass nichts im Buch steckte, was nicht hinein gehörte. Laien machten sich keine Vorstellung davon, was die Leute alles zwischen Buchseiten steckten. Fotos, Geld, Briefe, er hatte schon einen Präservativ gefunden, original verpackt, glücklicherweise. Eine Minute vor fünf, und prompt fiel ein dünnes Bündel zusammengefaltete Papiere auf seinen Schreibtisch. Der liebe Gott wollte ihn ärgern, den ganzen Tag schon. Vielleicht wusste Rabbi Katzenstein, was den Allmächtigen an solchen Tagen umtrieb, aber er musste jetzt zu dieser Tür hinaus, vergessene Briefe hin oder her. Kurz entschlossen stopfte er die Papiere in einen Umschlag, beschriftete ihn mit der Adresse des Senators und steckte ihn ein. Er konnte die paar Seiten ebenso gut von zu Hause aus an den vergesslichen Kunden zurücksenden.

      Bevor er zur Metrostation hinunterstieg, sog er seine Lungen einige Male voll mit der frischen Luft. Er liebte die Arbeit mit den Büchern, aber jetzt war er froh, für zwei Wochen alles vergessen zu können. Wer weiß, vielleicht erwartete ihn ohnehin ein neues Computersystem, wenn er um viele Erfahrungen reicher ins Penthouse zurückkehrte.

      Kochi, Indien

      Lee hätte sich am liebsten hingelegt, wo er gerade stand. Er wäre wohl auf der Stelle eingeschlafen. Die mühsame, zeitraubende Suche nach dem zuständigen Beamten des Regional Transport Office in Kochi, die Hitze, die unerträglich dicke Luft im Stau und zu viele Pappadoms mit scharfem Chutney zehrten arg an seinen Kräften. Aber noch lag ein halber Arbeitstag vor ihm, und das hieß in dieser Phase des Projekts: weitere acht Stunden.

      Er hatte die Mannschaft im Maschinenraum versammelt, um den Arbeitsfortschritt zu besprechen. Die Halle mit den mächtigen Tanks, Pumpen und dem Gewirr silbern schimmernder Röhren, die nur darauf warteten, Salzwasser aus dem Meer zu saugen und sauberes Trinkwasser auszuspeien, bildete die richtige Ambiance für die täglichen Meetings. Trotz der auf den ersten Blick verwirrenden Vielzahl von Apparaturen staunte er jedes Mal, wenn er hier stand, wie einfach ihre Anlage doch im Grunde funktionierte. Konventionelle, ältere Entsalzungsanlagen arbeiteten nach dem Destillationsprinzip, indem man das Salzwasser erhitzte und den kondensierten


Скачать книгу