Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs. Marcel Rothmund

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Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs - Marcel Rothmund


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langsam eine Form von Ekel an. »Weiß denn die arme Sofie, was sie da von dir bekommt und dass da eine Fledermaus drin verwurstet wird?«

      »Natürlich nicht«, entgegnete Elisabeth. »Und du darfst es ihr auf keinen Fall erzählen. Versprichst du mir das?«

      Elisabeth schaute ihrer Freundin tief in die Augen.

      »Ja, ich werde ihr selbstverständlich nichts davon erzählen«, beteuerte Hedwig. »Bei unserem allmächtigen Herrgott, du hast mein Wort. Auch wenn ich es sehr komisch finde, was du da so alles zusammenbraust. Mein lieber Himmel!«

      »Nun ja, solange es gegen das Kopfweh hilft, wird es der armen Sofie recht sein«, sagte Elisabeth. »Das arme Weib ist ja so schwer von den Schmerzen geplagt!«

      Hedwig nahm einen Schluck aus dem Glas und zuckte mit den Schultern, ihr Blick schweifte gleichgültig über den Teich. »Mir soll es recht sein«, meinte sie.

      Nach einem kurzen Moment der Stille sprach Elisabeth weiter. »Und danach schaue ich bei den Biehles auf dem Haldenhof vorbei. Mal schauen, wie es den Kindern geht.«

      »Zu den Biehles! Hat die Johanna das Kind etwa schon zur Welt gebracht?«

      »Nein, ich meine die Mädchen. Das wüsste ich, wenn das Kind da wäre. Es ist ja nicht Johannas erste Schwangerschaft, die ich begleite. Aber diesmal ist es bei Gott nicht einfach.«

      »Du meinst wegen Andreas«, wusste Hedwig. »Da hast du wohl recht. Der arme Kerl wartet seit Jahren auf einen Hoferben. Schlimm genug, dass sich die anderen Mannsbilder am Stammtisch über ihn lustig machen.«

      Elisabeth nickte. »Vor allem für die arme Johanna ist es sicher nicht einfach. Die Erwartung von Andreas schlägt ihr wohl öfters aufs Gemüt. Aber wenigstens ist es ihr diesmal nicht so übel wie bei den Mädchen. Das könnte vielleicht ein Zeichen dafür sein, dass sie einen Buben zur Welt bringen wird. Aber sicher weiß man das ja nie.«

      Hedwig begann zu scherzen. »Solange keine kleine Ludovica zur Welt kommt, die es der Johanna schon im Bauch schwer macht, hast du jedenfalls deinen Frieden.«

      Beide lachten genüsslich miteinander. Sie kannten die alte Ludovica Biehle nur zu gut. An Elisabeth und ihren Heilmethoden hatte sie nie ein gutes Haar gelassen.

      »Ich habe der Ludovica noch nie etwas getan«, bemerkte Hedwig. »Aber mir scheint es so, als sei die alte Bäuerin vom Haldenhof zu stolz, um mit der Frau vom Forsthaus zu sprechen.«

      »Vermutlich ist genau das Gegenteil der Fall«, meinte Elisabeth. »Ludovica ist sicher neidisch auf dich, denn sie selbst hätte gerne im Forsthaus gewohnt. Das hat mir die Johanna mal erzählt. Denn du bist in nächster Nachbarschaft zu den anderen Höfen und musst nur ein paar Schritte hinüberlaufen, um das neueste Geschwätz zu erfahren. Ludovica ist durch Heirat auf den Haldenhof gekommen. Gewiss ist es ein großer Hof, um den sie von anderen Bäuerinnen früher beneidet wurde, doch was nützt das der redseligen Schachtel. Vermutlich hat sie sich schon oft in ihrem Leben überlegt, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie anstatt dir den Theo geheiratet hätte.«

      Hedwig lächelte. »Tja, dann würde sie heute im Forsthaus wohnen. Aber ich glaube nicht, dass Theo seine Freude daran hätte.«

      »Ja, du sagst es«, stimmte Elisabeth zu. »Aber all der Neid bringt ihr auch nichts. Vielleicht hat sie sich inzwischen damit abgefunden.«

      »Das glaub ich nicht«, erwiderte Hedwig. »Jedes Mal, wenn sie mich sieht, zeigt sie mir die kalte Schulter.«

      »Na ja, wenigstens weißt du jetzt, dass sie es nicht böse mit dir meint, sondern mehr mit ihrem Schicksal hadert.« Elisabeth blickte sie ernst an. »Und sag bitte niemandem, was ich dir erzählt habe, schon allein der Johanna zuliebe.«

      Hedwig nickte.

      Noch eine ganze Weile saßen die beiden auf der Bank. Sie sprachen miteinander und lachten hin und wieder wie zwei junge Mädchen. Nach einer Zeit überfiel Elisabeth ein Gefühl der peinlichen Berührung. Es war, als ob ihr jemand in diesem Moment ziemlich nahe kam. Eine Nähe, die ihr äußerst unangenehm war. Sie erzählte Hedwig aber nichts von dem seltsamen Gefühl, das nach wenigen Minuten so rasch verflogen war, wie es sie überkommen hatte. Die Frage, was genau dieses Gefühl ausgelöst hatte, beschäftigte Elisabeth den Rest des Tages.

      Das geheime Zimmer

      Am frühen Nachmittag war Kilian aufgewacht. Die große Standuhr in der Stube schlug zwei Uhr. Er hatte nun genug geschlafen und versuchte, sich irgendwie die Zeit auf dem Krankenlager zu vertreiben. Minutenlang sah er an die Zimmerdecke der Stube und zählte die großen Astlöcher in den Holzdielen über sich. Als er über achtzig gezählt hatte, brummte sein Schädel. Schließlich hörte er damit auf und schloss seine Augen, um ihnen eine Weile Ruhe zu gönnen. Als er sie wieder öffnete, schweifte sein Blick durch die Stube. Allmählich stieg das lästige Gefühl von Langeweile in ihm hoch und so inspizierte er vom Sofa aus alle Dinge in der Stube. Zuerst betrachtete er den Tisch und die Stühle, dann den gusseisernen Kanonenofen in der Ecke und den massiven Eichenschrank. Letztendlich fiel sein Blick aber immer wieder auf den Vorhang vor dem Hinterzimmer. Der dunkelrote Stoff zog seine Augen magisch an. Es war nicht allein der Samtstoff, das war ihm klar. Es war vielmehr das, was hinter dem Vorhang versteckt war. Warum war dieser Vorhang ständig zugezogen?, fragte er sich. Er wollte es endlich wissen und fasste den Entschluss aufzustehen, da kam ihm wieder sein Albtraum ins Gedächtnis. Vor seinem inneren Auge sah Kilian das rot strahlende Licht, das den Raum hinter dem Vorhang auf gespenstische Weise erhellte. Eine unglaublich starke Intensität, wie er es nie zuvor gesehen hatte. Mit dem roten Licht war wiederum das grässliche Bild der alten Frau entstanden und das unheimliche Gefühl, als würde er von der Lichtquelle unaufhörlich angesogen. Erschrocken schloss Kilian die Augen und versuchte, die unheimlichen Gedanken zu verdrängen. Er dachte an seine hübsche Anna und daran, wie lieb er sie hatte. Endlich überwog die Sehnsucht nach seiner Geliebten und verdrängte das beklemmende Gefühl der Furcht aus seinem Kopf. Er öffnete erleichtert seine Augen und blickte zum Vorhang. Was auch immer dahinter versteckt sein mochte, er wollte es jetzt unbedingt wissen. Elisabeth war heute den ganzen Tag unterwegs, hatte sie ihm heute Morgen gesagt, und ihr Mann sei auch längere Zeit weg. Nun war die Gelegenheit, endlich in den Raum hinter dem Vorhang zu schauen. Entschlossen drehte er seinen Körper zur Seite und richtete sich langsam auf dem Sofa auf. Zum einen war es ihm immer noch wie im Albtraum zumute, zum anderen war ihm klar, dass jetzt alles sehr real war. Statt des Mondlichts strahlte nun die Sonne durch die Fenster in der Stube. Kilian stand auf, machte die ersten Schritte zum Vorhang und spürte, wie seine Beine weich wurden. Ihm fehlte das Gefühl des festen Standes, wie er es sonst jeden Tag gewohnt war. Fast wollte er sich wieder auf das Sofa zurücklegen, doch seine Neugier war stärker und so ging er um den Tisch herum und Schritt für Schritt langsam auf den Vorhang zu. Direkt davor hielt er an und spitzte seine Ohren wie ein Luchs auf der Pirsch. Er horchte nach irgendwelchen Geräuschen im Haus oder von draußen. Aber außer dem Summen einzelner Fliegen in der Stube und dem Gackern von Hühnern irgendwo im Hof war nichts zu hören. Er hob die Hand zum Vorhang und setzte an, ihn zur Seite zu ziehen, als ein seltsamer Gedanke durch seinen Kopf schoss. Was, wenn es doch einen zweiten Zugang zu diesem seltsamen Raum hinter dem Vorhang gab? Was, wenn Adam, Elisabeth oder sonst jemand in diesem Raum war und er bis dahin einfach nichts davon gehört hatte? Diese Fragen ließen ihn einen Moment an seinem Vorhaben zweifeln, doch schließlich verdrängte er sie, und das Gefühl der Neugier gewann endgültig. Er wollte wissen, was hinter diesem Vorhang war, und das würde er jetzt herausfinden. Mit einem tiefen Atemzug schob er den Samtstoff beiseite und schaute zögerlich in den Raum. Das Zimmer war in seinen Ausmaßen gleich groß wie die Stube. Die Fensterläden waren geschlossen, aber es war nicht ganz so düster wie in seinem Albtraum. Gedämpftes Tageslicht drang durch die Ritzen der Fensterläden. Außerdem fehlte die unheimliche rote Lichtquelle. Im ersten Moment fielen ihm die vielen Kräuterbüschel auf, die vertrockneten Fledermäusen gleich von der Zimmerdecke hingen. Links an der Wand war ein steinerner Kamin, gegenüber dem Vorhang war ein Fenster und an der rechten Wand ein weiteres. Es musste das Zimmer sein, das er an jenem Abend von außen gesehen hatte, als er um Hilfe geschrien hatte, da war er sich jetzt sicher. Staunend sah er sich weiter um. Ringsum im Zimmer waren an den Wänden Holzregale


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