Mörderisches aus Sachsen. Petra Steps
Читать онлайн книгу.unterwegs, sagte seine Mitarbeiterin. Mehr konnte ich nicht erfahren. Bis morgen, Schatz«, sprach Adina ins Handy.
Als der Handywecker Adina mit sanftem Israel-Jazz weckte, klingelte auch ihr Handy. »Guten Morgen, Schatz«, flötete ein gut gelaunter Oli durch die Leitung.
»Ich bin gerade am Aufwachen«, hauchte Adina zurück.
»Ist es warm im Bett, so ohne mich?«, fragte Oli.
»Es könnte wärmer sein. Ich hoffe, bei dir auch«, erwiderte Adina.
»Ich bin schon vor einer Weile aufgestanden, also ganz kalt. Ich muss gleich los und wollte dir nur einen guten Morgen wünschen«, verriet Oli.
»Ich bin schon fast aufgestanden und auf dem Weg nach Chemnitz. Heute treffe ich mich mit der Frau, die meine Urgroßmutter kannte. Und abends bin ich im Schalom«, sagte Adina.
»Ich will dich gar nicht aufhalten. Eine gute Fahrt wünsche ich dir. Vielleicht können wir heute Abend telefonieren.«
Adina nahm eine Dusche, putzte ihre Zähne und zog mehrere Lagen übereinander an, um sowohl für innen als auch außen gerüstet zu sein. Nach einem kleinen Kaffee startete sie. Der Verkehr war mäßig. Als sie Klaffenbach passierte, fiel ihr ein, dass sie lange nicht am Wasserschloss war. Sie dachte noch nach, wie sie einen Besuch in ihren Terminplan einbauen könnte, als der Blitzer in Harthau ping machte. Na prima, das geht gut los, sagte sie laut vor sich hin. Bis zum Ziel waren es noch etwa 15 Minuten auf der Bundesstraße und ein kurzes Stück Nebenstraße.
»Hübsch haben Sie es hier. Und so eine schöne Aussicht auf den Kaßberg. Wie muss das erst sein, wenn alles grünt und blüht oder der Herbst seine Farben ausschüttet«, sagte Adina nach der Begrüßung zu Frau Rosenkranz. Der Tisch war für vier Personen gedeckt. »Das ist meine Tochter Leah. Frau Kievernagel von der Jüdischen Gemeinde wird gleich kommen. Nehmen Sie doch inzwischen Platz. Kaffee oder Tee?«
Adina entschied sich für Tee. Einen Kaffee hatte sie schon in Annaberg getrunken, bevor sie losgefahren war. Die Tochter übernahm das Eingießen.
Frau Rosenkranz wärmte ihre Hände an der Tasse, obwohl der Raum gut geheizt war. Dann begann sie zu erzählen: »Ihre Urgroßmutter Adina war eine bemerkenswerte Frau. Was wissen Sie von ihr?«
»Nicht viel. Als sie starb, war ich erst vier. Meine Großmutter hat immer davon gesprochen, dass sie ihre Mutter Adina nach Berlin holen wollte. Aber es ist offenbar nicht so leicht, einen alten Baum zu verpflanzen. Sie war wohl zwei, drei Mal bei uns in Westberlin, aber sie mochte den Großstadttrubel nicht. Dabei ist Chemnitz nicht unbedingt ein Dorf. Und jetzt, wo es Kulturhauptstadt werden soll …«
»Das mit der Kulturhauptstadt ist eine feine Sache. Nur leider hat sie schon ein erstes Opfer gefordert. Haben Sie von dem Toten im Schlossteich-Auto gehört?«
»Ich habe es in der Freien Presse gelesen. Wissen Sie mehr darüber?« Adina nahm die Fährte auf, obwohl ihr Besuch ein ganz anderes Ziel verfolgte.
»Na ja, etwas Genaues weiß ich nicht. Nur dass der Mann etwas mit der Chemnitzer Bewerbung zu tun hatte. Und dass es da gewisse Neider gibt, zum Beispiel in Mittelfranken, kann man aus diversen Zeitungsbeiträgen herauslesen.«
Adina dachte nach. Ihr war bekannt, dass Ostdeutsche mehr zwischen den Zeilen lasen als in den Zeilen. Vor allem herauslasen. »Sie meinen, da wollte jemand die Entscheidung für Chemnitz verhindern und den Titel nach Nürnberg holen?«
»Ganz so vielleicht nicht. Dafür wurde er zu spät umgebracht. Aber irgendwer hat ihm den Erfolg nicht gegönnt und war vielleicht sauer, weil es in Nürnberg nicht geklappt hat.« Es klingelte. Die Tochter von Frau Rosenkranz stand auf und betätigte den Türöffner.
»Frau Kievernagel. Ich habe gehört, Sie kennen sich bereits«, sagte sie zu Adina. »Ja, wir hatten schon miteinander zu tun, nur hatte ich damals nicht viel Zeit für meine privaten Forschungen.«
»Bevor ich es vergesse: Unser Historiker erwartet Sie um 13 Uhr am Friedhof. Ich werde Sie begleiten. Widerspruch zwecklos«, sagte Frau Kievernagel im Anschluss an die Begrüßung.
Nachdem Frau Rosenkranz die letzte Tasse mit duftendem Tee grusinischer Art, wie sie betonte, gefüllt hatte, begann sie über Adinas Urgroßmutter zu sprechen.
»Adina Pfefferkorn hatte nach dem Ersten Weltkrieg ein Lehrerseminar besucht. Sie sprach fließend Englisch. Eine Karriere blieb ihr jedoch verwehrt, und genauso ihrem Mann, einem Arzt. Der war katholischer Christ, durfte aber trotzdem nicht mehr praktizieren. In seiner Akte stand, dass er eine Frau mosaischen Glaubens hatte. Es half nichts, dass sich die beiden pro forma scheiden ließen. Damals lebten sie in Niederschlesien, nicht weit entfernt von Waldenburg, das heute Walbrzych heißt.«
Adina versuchte, ihr Herzklopfen zu unterdrücken.
»Wie kam sie nach Chemnitz?«
»Sie hatte hier Freunde, die ihr halfen, nachdem sie mit den Kindern allein war und die Ostgebiete geräumt wurden. Sie wissen sicher, dass ihr Mann frühzeitig starb und sie allein durchkommen musste. Da sie fließend Englisch sprach, konnte sie als Übersetzerin arbeiten, allerdings wurde Englisch vorerst im Osten nicht so sehr gebraucht. Da war man mit Russisch besser dran. Im hohen Alter gab sie Kurse an der Volkshochschule und Privatunterricht für Studenten. Bestimmt begeisterte sie ihre Tochter für Sprachen, also Ihre Großmutter Flora. Die wurde Dolmetscherin.«
»An sie kann ich mich gut erinnern. Sie wohnte damals bei uns in der Nähe, in Westberlin. Mein Großvater war schon tot. Lebt eigentlich noch jemand von ihren Freunden hier?«
»Es wurde etwas von einem Gönner oder Liebhaber gemunkelt, aber keiner von uns hat je erfahren, wer er war. Wir wissen nicht, ob er hier lebte oder nur ab und an zu Besuch kam. Ich glaube, er ist kurz vor Adina gestorben. Sie hatte mit einem Mal keinen Lebensmut mehr. Die Tochter war in Berlin, der älteste Sohn ging gleich nach dem Krieg in einen Kibbuz in Palästina. Der jüngere war ständig für seine Firma im Ausland unterwegs. Die Enkel hat sie auch nicht so oft gehabt wie andere, deren Kinder zu DDR-Zeiten in Karl-Marx-Stadt zu Hause waren. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass sie einsam war.«
Adina überlegte kurz. Als Frau Rosenkranz weiter schwieg, sagte sie: »Vielleicht sind die unerfüllten Lieben die dauerhaftesten.« Dann blickte sie aus dem Fenster bis zur Kaßberg-Auffahrt ihren Gedanken hinterher.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas«, riss Frau Rosenkranz Adina aus ihren Gedanken. Sie stand auf und ging durch den Flur in ein leer wirkendes Zimmer. »Das Bild hat sie für mich gemalt. Wussten Sie, dass sie künstlerisch begabt war? Bild und Text stammen von ihr.«
Adina las ein Gedicht, in schnurgeraden Lettern auf den Zeichenkarton gemalt, inmitten sich kunstvoll rankender Verzierungen.
»Das klingt sehr nach unerfüllter Liebe«, stellte Adina fest, nachdem sie die drei Strophen halblaut rezitiert hatte.
»Ich möchte Ihnen das Bild schenken. Ich würde mich sehr freuen, wenn es einen guten Platz bei Ihnen findet.«
Adina schaute Frau Rosenkranz überrascht an. »Aber das kann ich doch nicht annehmen.«
»Natürlich können Sie das. Meine Tage hier sind gezählt. Ich ziehe in eine Seniorenresidenz und habe nicht mehr so viel Platz. Und was meinen Sie, was meine Kinder mit dem ganzen Zeug hier machen! Da ist es mir viel lieber, wenn wenigstens einige Stücke in gute Hände kommen.«
Adina umarmte die Frau, ohne nur einen Moment zu zögern. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Ein Tränchen kullerte über Adinas Gesicht.
Frau Kievernagel schaute auf die Uhr, dann zu Adina. »Bei dem Wetter …«, begann sie. »Ja, ich weiß, wir müssen. In der Kälte ist es noch unanständiger als sonst, jemanden warten zu lassen. Soll ich Sie in meinem Auto mitnehmen? Ich könnte Sie anschließend zurückbringen«, bot Adina an.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich wohne hier in der Nähe«, antwortete Frau Kievernagel.
Der Historiker stieg aus dem Auto, als Adina mit Frau Kievernagel am Friedhof parkte. Er hatte für Adina einen