Der Peloponnesische Krieg. Thukydides
Читать онлайн книгу.uns zu retten suchen. Zugleich müssen wir aber auch unsere eigenen Hülfsmittel hervorsuchen. Hören sie die Vorstellungen unserer Gesandten, so ist dieß das Beste: wo nicht, so können wir, wenn wir sodann besser gerüstet sind, nach zwei oder drei Jahren, wofern eo uns beliebt, sie angreifen. Und wenn sie dann unsere Zurüstung sehen, und unsere ihr entsprechenden Vorstellungen vernehmen, so werden sie vielleicht lieber nachgeben wollen, ehe noch ihr Land verheert wird, während sie noch über ihre Habe im ungeschmälerten Besitze derselben berathschlagen können. Denn ihr Gebiet müßt ihr, wenn ihr es besetzet, blos als Unterpfand ansehen, um so mehr, je besser es angebaut ist. Man muß dasselbe so viel wie möglich schonen, und nicht dadurch, daß man sie zur Verzweiflung bringt, ihre Besiegung sich erschweren. Denn wenn wir, durch die Beschwerden der Bundesgenossen zur Eile veranlaßt, jenes Gebiet ohne gehörige Rüstung verheeren, so sehet zu, daß wir nicht mit den Peloponnes größere Schmach und Noth zuziehen. Denn Beschwerden von Staaten und Einzelnen lassen sich erledigen; wenn wir aber besonderer Ursachen wegen insgesammt einen Krieg, dessen Ausgang ungewiß ist, unternehmen, so ist es nicht so leicht, denselben wieder ehrenvoll beizulegen."
83. "Niemand aber halte es für Feigheit, wenn wir mit unserer Ueberzahl jene einzelne Stadt nicht sogleich ans greifen. Denn auch sie haben keine geringere Zahl von Bundesgenossen, welche ihnen Geldbeiträge geben: und bei einem Kriege kommt es nicht sowohl auf Waffen, als auf die Gelds mittel an, wodurch die Waffen erst wirksam werden, zumal bei einer Landmacht gegen eine Seemacht. Wir wollen und also zuerst Geld verschaffen, und nicht zuvor durch die Reden der Bundesgenossen uns aufreizen lassen. Da man vornehmlich und den Erfolg, von welcher Art er auch sei, zuschreiben wird, so wollen wir ihn auch zuvor einigermaßen mit Ruhe überdenken."
84. "Auch habt ihr euch der Langsamkeit und des Zögerns, woraus man uns einen so großen Vorwurf macht, nicht zu schämen. Denn wenn ihr euch übereilet, so würdet ihr wegen des unvorbereiteten Unternehmens desto später an's Ziel kommen. Ferner haben wir uns im ungestörten Besitze einer freien und hochberühmten Vaterstadt erhalten. Auch mag wohl unsere Langsamkeit hauptsächlich in kluger Mäßigung bestehen. Denn eben darum sind wir allein im Glücke nicht übermüthig, und lassen uns durch das Mißgeschick weniger als Andere beugen. Will man uns durch Lobsprüche zu gefährlichen Unternehmungen reizen, so lassen wir uns nicht durch das Schmeichelhafte derselben hinreißen, gegen unsere Grundsätze zu handeln. Will man uns durch Vorwürfe erbittern, so lassen wir uns eben so wenig durch Unwillen umstimmen. Unser gesetztes Wesen macht uns eben sowohl kriegerisch als wohlbedachtsam: kriegerisch, weil Ehrgefühl mit vernünftiger Mäßigung, und Muth mit Ehrgefühl nahe verwandt ist: vorsichtig - klug, weil wir zu einfach erzogen sind, als daß wir die Gesetze verachten sollten, und zu strenge zur Bescheidenheit angehalten werden, als daß wir uns ihnen nicht fügen sollten. In unwesentlichen Dingen nicht sehr erfahren, bestreiten wir die Anstalten unserer Feinde nicht blos mit schönen Worten, ohne sie durch entsprechende That anzufechten. Wir glauben, daß die Plane Anderer eben so klug, wie die unsrigen sind, und daß Glücksfälle sich nicht durch Worte bestimmen lassen. Wir rüsten uns vielmehr stets thatkräftig gegen unsere Gegner, in der Voraussetzung, daß sie sich vorsichtig berathen haben. Denn wir dürfen unsere Hoffnungen nicht auf die künftigen Fehler der Feinde, sondern auf unsere eigenen zuverlässigen Vorsichtsmaßregeln gründen: auch wähne man nicht, daß ein Mensch von dem andern so sehr unterschieden sei: vielmehr halte man den für den Besten, der im Wesentlichsten ausgebildet ist.“
85. "So wollen wir denn diese Grundsätze des Handelns, die von unsern Vätern sich auf uns vererbt, und die wir stets zu unserem Vortheile behauptet haben, nicht aufs geben, und nicht in der kurzen Frist eines Tages uns über: eilen lassen, sondern ruhig einen Beschluß fassen: da es so viele Menschen, Schätze, Städte und unsere Ehre gilt. Wir können dieß mehr als Andere um unserer eigenen Stärke willen thun. Schicket nun an die Athener eine Botschaft wegen Potidäa, und wegen der Beeinträchtigungen, welche nach ihrer Behauptung die Bundesgenossen erlitten haben: zumal da sie selbst bereitwillig sind, die Sache auf dem Rechtswege zu verhandeln. Wer dieß thut, den darf mau gesetzlich nicht vorher als Rechtsverletzer angreifen. Zugleich wollen wir uns aber auch zum Kriege rüsten. So werdet ihr den besten Entschluß fassen, der zugleich den Gegnern am meisten furchtbar sein wird.“ Also redete Archidamus. Zuletzt aber trat Athenelaidas auf, der damals unter den Ephoren war, und sprach also zu den Lacedämoniern:
86. Das lange Gerede der Athener kann ich nicht begreifen. Sie haben sich selbst eine große Lobrede gehalten, ohne im geringsten die Behauptung zu widerlegen, daß sie gegen unsere Bundesgenossen und den Peloponnes Unrecht gethan haben. Haben sie sich ehmals gegen die Perser brav gehalten, und jetzt an uns schlecht gehandelt, so verdienen sie vielmehr doppelte Züchtigung, weil sich ihre Rechtschaffenheit in Schlechtigkeit verkehrt hat. Wir aber sind noch dieselben, wie damals ; und wenn wir vernünftig sind, werden wir nicht dulden, daß unsern Bundesgenossen Unrecht geschehe, sondern ihnen ungesäumt rächende Hülfe bringen. Säumt man ja doch auch nicht mit ihrer Bedrückung. Andere mögen viele Schätze, Schiffe und Rosse haben: wir haben brave Bundesgenossen: diese dürfen wir den Athenern nicht preisgeben, noch durch Rechtsverhandlung und Worte die Sache erledigen, da auch sie nicht durch Worte gekränkt sind. Hier bedarf's vielmehr schneller und nachdrücklicher Rache. Niemand wolle uns hier belehren, daß wir die Beleidigten und lange berathschlagen sollten. Nein! es ziemt sich vielmehr für die Beleidiger, sich lange zu bedenken. Stimmt also, ihr Lacedämonier, wie es Sparta’s würdig ist, für den Krieg, und duldet nicht, daß die Athener ihre Macht vergrößern. Auch unsere Bundesgenossen wollen wir nicht aufs opfern, sondern mit der Götter Hülfe ausziehen gegen die Unterdrücker.
87. Nachdem er dieß gesprochen, ließ er, da er selbst Ephore war, die Versammlung der Lacedämonier zur Abstimmung schreiten. Diese geben ihre Stimmen nicht durch Stimmzeichen, sondern durch Zuruf ab. Er sagte nun, er könne nicht unterscheiden, welche Meinung die meisten Stimmen für sich habe: und um durch offenkundige Stimmgebung sie noch mehr zum Kriege zu reizen, sprach er: Wer von euch, ihr Lacedämonier, dafür hält, daß der Vertrag gebrochen sei, und die Athener Unrecht haben, der trete auf jene Seite (dabei wies er ihnen einen Platz): und wer nicht dieser Meinung ist, gehe auf die andere Seite. Sie erhoben sich nun, und traten auf verschiedene Seiten: und die Zahl derer, die den Vertrag für gebrochen erklärten, war bei weitem die stärkere. Man rief nun die Bundesgenossen herbei, und erklärte ihnen, man sei der Meinung, daß die Athener Unrecht haben: man wolle aber sämmtliche Bundesgenossen einladen und abstimmen lassen, damit sie nach gemeinsamer Berathung, wenn die Sache genehmigt würde, den Krieg beginnen. Nachdem sie diese Verhandlung beendigt, gingen sie nach Hause: ebenso die Athenischen Gesandten, nach Ausrichtung des Geschäfts, wegen dessen sie hergekommen waren. Diese Entscheidung der Versammlung, daß der Friede gebrochen sei, erfolgte [432 vor Chr.) im vierzehnten Jahre nach dem Friedensschlusse, der nach dem Euböischen Kriege auf 30 Jahre zu Stande gekommen war.
88. Die Lacedämonier faßten aber den Beschluß, daß der Friede gebrochen, und Krieg anzufangen sei, nicht sowohl aus Nachgiebigkeit gegen die Vorstellungen der Bundesgenossen, als aus Furcht vor den Athenern, diese möchten ihre Macht zu sehr vergrößern, da sie sahen, daß bereits die meisten Gegenden von Hellas von denselben abhängig waren.
89. Die Athener waren nämlich auf folgende Weise in die Lage gekommen, ihre Macht zu vermehren. Nachdem die Perser, zur See und zu Lande von den Hellenen geschlagen, aus Europa sich zurückgezogen, und diejenigen, welche mit der Flotte nach Mykale geflohen, vernichtet waren (479 v. Chr.), so begab sich Leotychides, König der Lacedämonier, und Anführer der Hellenen bei Mykale, nebst den Verbündeten vom Peloponnes in die Heimath zurück. Die Athener aber, und die vom Perserkönig bereits abgefallenen Bundesgenossen aus Ionien und dem Hellesponte, blieben zurück, und belagerten Sestus, das die Perser inne hatten: überwinterten da, und eroberten den Platz, nachdem die Perser ihn verlassen hatten. Hierauf regelten sie vom Hellesponte weg, jeder in sein Vaterland. Die Staatsbehörde der Athener aber ließ, nachdem die Barbaren aus ihrem Lande abgezogen waren, sogleich die Kinder und Weiber und was von der beweglichen Habe noch vorhanden war, aus den Orten, wohin man jene in Sicherheit gebracht, herüberholen, und traf Anstalten, die Stadt und die Mauern wieder aufbauen zu lassen. Denn von der Ringmauer war nur ein kleiner Theil stehen geblieben, und die meisten Häuser waren eingestürzt, und nur wenige noch übrig, in welchen die angesehensten der Perser selbst sich aufgehalten hatten.
90. Als die Lacedämonier nun von diesem Vorhaben