Der 15. Schläger. Bob Rotella
Читать онлайн книгу.verdient. Und falls er schon eine Zeit lang Profi ist und er eigentlich genügend Geld hätte, um damit auszukommen, beginnt er sich zu fragen, ob er überhaupt noch spielen will.
Für den Amateur ist die finanzielle Seite nicht wichtig. Aber da ist der Ehepartner oder die Familie, und er fragt sich, ob sein Freizeitvergnügen wirklich die Zeit wert ist, die er investiert.
In dieser Phase greifen die Spieler dann oft zum Telefon und melden sich bei mir.
Ich erhalte Anrufe von Spielern, die regelmäßig an großen Turnieren teilnehmen und in internationalen Teams spielen. Viele Golfprofis und Amateure beneiden sie um ihren Schwung. Aber wenn sie bei mir anrufen, höre ich oft folgende Sätze: „Es ist schrecklich. Ich habe eine Heidenangst. Ich glaube nicht, dass ich diese Woche gut spielen kann.“
Ich habe Klienten, die große Turniere gewonnen haben und mir am Telefon erzählen, dass sie besser abschlagen, als alle Konkurrenten – aber auf dem Grün immer versagen. Die Putts funktionieren im Training sehr gut, und der Trainer bescheinigt ihnen einen sauberen Puttstil. Doch im Turnier haben sie ständig Angst, dass sie den Ball nicht einlochen können. Sie ändern dann die Putt-Technik mitten auf der Runde und probieren auf den letzten Löchern immer etwas Neues aus.
Meine Reaktion auf solche Anrufe gleicht dann meistens der Arbeit eines Arztes auf dem Schlachtfeld. Meine erste Aufgabe ist es, die Blutung zu stoppen. Ich erinnere den Spieler daran, wie gut er ist, egal, was ihm seine Psyche in dem Moment sagt. Ich erinnere ihn daran, wie viele Spieler nur zu gerne seinen Schwung und den Puttstil hätten, der ihm gerade Magengeschwüre verursacht.
Ich erinnere ihn auch daran, dass er noch immer die Fähigkeiten besitzt, die er zum Siegen braucht. Er muss nur die negativen Gedanken stoppen, die ihn davon abhalten.
„Du hast schon als Kind gelernt, wie man hervorragend spielt und gehörst seit vielen Jahren zu den Besten der Welt“, sage ich dann. „Also lass uns nicht so tun, als wüsstest du nicht, wie es geht. Du hast alle Fähigkeiten. Du musst dich vielleicht nur auf ein paar wenige Schläge besser konzentrieren. Vielleicht musst du nur den Fokus ein wenig verändern, dann kommst du auch zum Ziel. Aber die Fähigkeiten hast du allemal.“
Vielleicht spreche ich auch darüber, welche Einstellung er hatte, als er besonders erfolgreich war. Spieler wie er wissen, was es bedeutet, positiv zu denken. In ihrem Streben nach Perfektion haben sie einfach aufgehört, das in die Praxis umzusetzen.
Vielleicht erinnere ich den Spieler auch daran, dass ihm auf dem Höhepunkt seines Erfolgs nur eines wichtig war: sein Ziel. Er konzentrierte sich nur auf den nächsten Schlag und dachte nie an den vorherigen oder den übernächsten. Er dachte einzig und allein daran, wohin er den Ball spielen wollte. Er dachte nie an den „nächsten Putt“ in dem Sinne, dass er sich fragte: „Wo soll der Ball bei diesem Putt liegen bleiben, damit der nächste Putt leichter wird?“ Heute beurteilt er ständig den letzten Schlag und kritisiert seine Technik. Er denkt vor dem nächsten Eisenschlag daran, was er beim nächsten Abschlag alles umstellen und beim nächsten Putt besser machen wird. Oder er denkt nur an ein winziges, technisches Detail, das er beim nächsten Schlag unbedingt in seinen Schwung integrieren will.
Wenn Sie so denken, werden Sie automatisch verkrampfen. Sie verlieren das Ziel aus den Augen, Sie verlieren den Schlag aus den Augen und nichts läuft mehr natürlich ab. Sie wollen den Schwung erzwingen.
Wenn Sie mein Klient wären, würde ich sagen, dass wir beide wissen, dass Sie gewinnen können, wenn nur Ihre Einstellung stimmt. Wir haben bisher noch keinen Beweis dafür, dass Sie besser spielen, wenn Sie versuchen, Ihren Körper in bestimmte Positionen zu zwingen.
„Ich will, dass du nur an das Ziel denkst, an nichts anderes“, würde ich sagen. „Ich will, dass es dir egal ist, ob der Ball auch tatsächlich dorthin geht. Wenn du das kannst, kannst du auch loslassen. Du kannst jeden Schlag ganz entspannt angehen, weil du weißt, dass du letztendlich gut spielen wirst, wenn du nur an das Ziel denkst. Du wirst auf der Runde wieder deinen Seelenfrieden haben.“
Dieser Lösungsansatz wirkt natürlich nur kurzfristig. Oft hilft er aber, besonders wenn es darum geht, einen Spieler dazu zu bringen, wieder zu der mentalen Einstellung zurückzukehren, die er sich schon erarbeitet hatte und an die er auch glaubt. Ich kenne Spieler, die auf der ersten Turnierrunde eine 76 spielten, nach einem langen Gespräch am Donnerstag Abend ihre Einstellung änderten und am Freitag die Runde mit einer 66 beendeten.
Aber so leicht ist es nicht immer. Schlechte mentale Angewohnheiten sind so schwer abzulegen, wie schlechte physische Angewohnheiten. Die Psyche hat keinen Schalter. Man kann positive Gedanken nicht so einfach einschalten wie einen MP3-Player.
Ich fände es viel besser, wenn Golfer gar nicht erst in eine solche Situation kämen – seien es Profis oder Amateure. Aber die meisten tun es doch. Das liegt in der Natur des Golfspiels und in der Natur der guten Spieler. Sie wollen etwas erreichen. Sie sind es gewohnt, hart zu arbeiten und wissen, dass sich das lohnt. Sie vergessen, dass beim Golf harte Arbeit nicht alles ist. Man muss auch smart arbeiten. Man darf nie vergessen, dass das mentale Spiel genauso viel Aufmerksamkeit braucht, wie die Schwungtechnik – und je weiter man in der Rangliste aufsteigt, desto wichtiger wird es, weil dort jeder Spieler eine hervorragende Schwungtechnik hat. Wenn Sie versuchen besser zu werden, dann dürfen Sie nicht vergessen, dass sich smartes Golf ganz mühelos anfühlt.
Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, smartes Golf zu spielen. Wenn Sie versuchen besser zu werden, und davon gehe ich aus, müssen Sie den technischen und den mentalen Teil Ihres Spiels gleichermaßen verbessern. Ansonsten wird Golf Sie fertigmachen. Sie werden sich mental genauso engagieren müssen, wie Sie es körperlich tun.
4.
So sieht Sie Ihr Unterbewusstsein
Um das Selbstbewusstsein entwickeln zu können, das Ihnen in schwierigen Situationen weiterhilft, müssen Sie ein paar wichtige Annahmen über die menschliche Psyche kennen. Ich sage bewusst „Annahmen“ und nicht „Fakten“, weil wir die Abläufe der menschlichen Psyche nicht so genau kennen, wie z.B. die Abläufe in einem Verbrennungsmotor. Wir können die Psyche nicht zerlegen, ihre Einzelteile auf einen Tisch legen und sie dann wieder zusammenbauen. Als ich an der University of Virginia Psychologie lehrte, begannen meine Kurse immer damit, dass die Studenten ein Buch eines sehr skeptischen Wissenschaftlers lesen mussten, der alle akademischen Disziplinen untersuchte und ihre Grundsätze infrage stellte. Sein Fazit zum Thema Psychologie war, dass wir nicht besonders viel über den menschlichen Geist wissen, zumindest nicht in dem Sinne, wie wir etwas über Geologie wissen.
Wenn ich also über Begriffe wie das Bewusstsein, das Unterbewusste und unser Selbstbild spreche, sollten Sie daran denken, dass es sich nicht um konkrete Dinge wie Kolben, Zündkerzen und Vergaser handelt. Ich weiß, dass der menschliche Geist verschiedene Bereiche umfasst, aber letztendlich weiß ich das nur, weil ich daran glaube, so wie ich weiß, dass es Gott gibt, weil ich an ihn glaube. Ich sehe den Beweis für seine Existenz in der ganzen Welt. Ich sehe den Beweis für die Existenz des Bewusstseins, des Unterbewussten und des Selbstbild eines Menschen daran, dass sie die Einstellung meiner Klienten beeinflussen können.
Einfach ausgedrückt ist das Bewusstsein der Teil Ihrer Gedanken, den Sie bewusst wahrnehmen. Wenn Sie dieses Buch lesen, arbeitet Ihr Bewusstsein. Auch wenn Sie einen Moment lang darüber nachdenken, was in diesem Buch steht und wie dieser Inhalt Sie selbst und Ihr Golfspiel betrifft, arbeitet Ihr Bewusstsein. Wenn Sie bemerken, dass Sie Durst haben und das Buch weglegen, um sich etwas zu trinken zu holen, arbeitet Ihr Bewusstsein. Wenn Sie zum Kühlschrank gehen, ein Bier in die Hand nehmen, es aber wieder zurückstellen und sich stattdessen ein Glas Wasser einschenken, weil Sie ja auf Ihr Gewicht achten wollen, auch dann arbeitet Ihr Bewusstsein. Das Bewusstsein ist der Teil Ihrer Gedanken, der den freien Willen beinhaltet. Er lässt Sie Entscheidungen darüber treffen, was Sie für sich selbst möchten und ermöglicht es Ihnen, den Weg zu diesen Zielen zu planen. Durch Ihren freien Willen können Sie Verantwortung für sich selbst übernehmen.
Ihr Golfspiel wird aber von Ihrem Unterbewusstsein beherrscht. Golf ist nämlich eine der Tätigkeiten, wie etwa auch das Autofahren, die das Bewusstsein erlernt, aber das Unterbewusstsein steuert.