Die Kunst des Krieges - Psychologie der Massen - Wege zu sich selbst - Der Fürst. Sunzi

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Die Kunst des Krieges - Psychologie der Massen - Wege zu sich selbst - Der Fürst - Sunzi


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die Masse in das, was sie für Wahrheit oder Irrtum hält, keinen Zweifel setzt, andererseits ein klares Bewusstsein ihrer Kraft besitzt, so ist sie ebenso eigenmächtig wie unduldsam. Der Einzelne kann Widerspruch und Auseinandersetzung anerkennen, die Masse duldet sie niemals. In den öffentlichen Versammlungen wird der leiseste Widerspruch eines Redners sofort mit Wutgeschrei und groben Schmähungen beantwortet, und wenn der Redner beharrlich ist, folgen leicht Tätlichkeiten, und der Redner wird hinausgeworfen. Ohne die einschüchternde Anwesenheit der Sicherheitsbehörde würde man oft den Gegner lynchen.

      Herrschsucht und Unduldsamkeit finden sich bei allen Arten der Massen, aber in ganz verschiedenen Graden, und hier kommt wieder der Grundbegriff der Rasse zur Geltung, die alles Fühlen und Denken der Menschen beherrscht. Herrschsucht und Unduldsamkeit sind besonders bei den lateinischen Massen ausgebildet, und zwar in solchem Maße, dass es ihnen fast gelungen ist, das Gefühl der persönlichen Unabhängigkeit, das bei den Angelsachsen so mächtig ist, bei ihnen völlig zu vernichten. Die lateinischen Massen haben nur Gefühl für die Gesamt-Unabhängigkeit ihrer Sekte, und bezeichnend für diese Unabhängigkeit ist das Bedürfnis, alle Andersgläubigen sofort und gewaltsam für ihren eigenen Glauben zu gewinnen. Von der Inquisition angefangen, konnten sich bei den lateinischen Völkern die Jakobiner aller Zeiten niemals zu einem anderen Freiheitsbegriff aufschwingen.

      Herrschsucht und Unduldsamkeit sind für die Massen sehr klare Gefühle, die sie ebenso leicht ertragen, wie sie sie in die Tat umsetzen. Die Massen erkennen die Macht an und werden durch Güte, die sie leicht für eine Art Schwäche halten, nur mäßig beeinflusst. Niemals galten ihre Sympathien den gütigen Herren, sondern den Tyrannen, von denen sie kraftvoll beherrscht wurden. Ihnen haben sie stets die größten Denkmäler errichtet. Wenn sie den gestürzten Despoten gern mit Füßen treten, so geschieht das, weil er seine Macht eingebüßt hat und in die Reihe der Schwachen eingereiht wird, die man verachtet und nicht fürchtet. Das Urbild des Massenhelden wird stets Cäsarencharakter zeigen. Sein Helmbusch verführt sie, seine Macht flößt ihnen Achtung ein, und sein Schwert fürchten sie.

      Stets bereit zur Auflehnung gegen die schwache Obrigkeit, beugt sich die Masse knechtisch vor einer starken Herrschaft. Ist die Haltung der Obrigkeit schwankend, so wendet sich die Masse, die stets ihren äußersten Gefühlen folgt, abwechselnd von der Anarchie zur Sklaverei, von der Sklaverei zur Anarchie.

      Übrigens würde man die Psychologie der Massen ganz missverstehen, wenn man an die Vorherrschaft ihrer revolutionären Triebe glaubte. Nur ihre Gewalttaten täuschen uns über diesen Punkt. Die Ausbrüche der Empörung und Zerstörung sind immer nur von kurzer Dauer. Die Massen werden zu sehr vom Unbewussten geleitet und sind also dem Einfluss uralter Vererbung zu sehr unterworfen, als dass sie nicht äußerst beharrend sein müssten. Wenn sie sich selbst überlassen werden, erlebt man bald, dass sie, ihrer Zügellosigkeit überdrüssig, instinktiv die Knechtschaft zusteuern. Die kühnsten und schroffsten Jakobiner stimmten Bonaparte entschieden zu, als er alle Freiheiten aufhob und seine eiserne Hand schwer fühlen ließ.

      Die Geschichte der Völkerrevolutionen ist fast unverständlich, wenn man die von Grund aus beharrenden Triebkräfte der Massen verkennt. Sie wünschen zwar die Namen ihrer Einrichtungen zu wechseln, und um diesenWechsel zu vollziehen, machen sie zuweilen sogar große Revolutionen durch, aber der Kern dieser Einrichtungen ist zu sehr Ausdruck der erblichen Bedürfnisse der Rasse, als dass sie nicht immer wiederkehren müssten. Die unaufhörliche Veränderlichkeit der Massen erstreckt sich nur auf ganz äußerliche Dinge. In Wahrheit haben sie nicht weiter erklärbare Beharrungsinstinkte, und wie alle Primitiven eine fetischistische Ehrfurcht vor den Überlieferungen, einen unbewussten Abscheu vor allen Neuerungen, die ihre realen Lebensbedingungen ändern könnten. Hätte die Demokratie in der Zeit der Erfindung der mechanischen Webstühle, der Dampfmaschine, der Eisenbahnen, die Macht besessen, über die sie heute verfügt, so wäre die Verwirklichung dieser Erfindungen unmöglich gewesen. Es ist ein Glück für den Fortschritt der Kultur, dass die Übermacht der Massen erst dann geboren wurde, als die großen Entdeckungen der Wissenschaft und der Industrie vollendet waren.

       V. Sittlichkeit der Massen

      Wenn wir mit dem Begriff Sittlichkeit den Sinn für die Achtung vor gewissen sozialen Gebräuchen und die beständige Unterdrückung eigennütziger Antriebe verbinden, dann liegt es auf der Hand, dass die Massen zu triebhaft und veränderlich sind, um für Sittlichkeit empfänglich zu sein. Wenn wir aber unter dem Begriff der Sittlichkeit das augenblickliche Auftreten gewisser Eigenschaften, wie Entsagung, Ergebenheit, Uneigennützigkeit, Selbstaufopferung, Rechtsgefühl verstehen, so können wir sagen: Die Massen sind oft eines sehr hohen Maßes von Sittlichkeit fähig.

      Die wenigen Psychologen, die sich mit dem Studium der Massen befasst haben, taten es nur in Bezug auf ihre verbrecherischen Handlungen. Und in Anbetracht der Häufigkeit solcher Taten haben sie die Massen als sittlich sehr tiefstehend beurteilt.

      Gewiss erbringen sie oft den Beweis dafür: Aber wie kommt das? Nur weil die Triebe zerstörerischer Wildheit Überreste aus der Urzeit sind, die in jedem von uns schlummern. Für den Einzelnen wäre es zu gefährlich, diese Triebe zu befriedigen, während ihm sein Untertauchen in einer unverantwortlichen Masse, durch die ihm Straflosigkeit gesichert ist, völlige Freiheit der Triebbefriedigung gewährt. Da wir diese Zerstörungstriebe gewöhnlich nicht an unseren Mitmenschen ausüben können, so beschränken wir uns darauf, sie an Tieren auszulassen. Derselben Quelle entspringen die Jagdleidenschaft und die Grausamkeit der Massen. Die Masse, die ein wehrloses Opfer langsam zu Tode quält, gibt den Beweis feiger Grausamkeit; für den Philosophen aber ist sie in hohem Maße mit der Grausamkeit der Jäger verwandt, die dutzendweise zusammenkommen, um mit Vergnügen zu sehen, dass ihre Hunde einem unglücklichen Hirsch den Bauch aufreißen.

      Wenn nun die Masse imstande ist, Mordtaten, Brandstiftungen und Verbrechen aller Art zu begehen, so ist sie ebenso zu Taten der Hingabe, Aufopferung und Uneigennützigkeit fähig, sogar in höherem Maße als der Einzelne. Besonders wirkt man auf den Einzelnen in der Masse, wenn man sich auf die Gefühle für Ruhm und Ehre, Religion und Vaterland beruft. Die Geschichte ist voller Beispiele dieser Art, wie sie die Kreuzzüge bieten und die Freiwilligen von 1793. Nur die Gesamtheiten sind großer Uneigennützigkeit und Aufopferung fähig. Wie viele Massen haben sich für Überzeugungen und Ideen, die sie kaum verstanden, heldenhaft hinschlachten lassen! Massen, die in Streik treten, streiken oft wohl mehr, um einem Kampfruf zu folgen, als um einen Lohnzuschlag zu erlangen. Das persönliche Interesse ist bei den Massen selten eine mächtige Triebkraft, während es bei dem Einzelnen fast den ausschließlichen Antrieb bildet. Es ist wahrlich nicht der Eigennutz, der die Massen in so viele Kriege führte, die für ihren Verstand unbegreiflich waren, und in denen sie sich so leicht niedermetzeln ließen, wie die Lerchen, die durch den Spiegel des Jägers hypnotisiert werden.

      Selbst die ausgemachtesten Schufte nehmen oft allein durch die Tatsache der Vereinigung in einer Masse sehr strenge moralische Grundsätze an. Taine zeigt, dass die Menschenschlächter der Septembertage (1792) die bei ihren Opfern vorgefundenen Brieftaschen und Schmuckstücke, die sie leicht an sich nehmen konnten, auf den Tisch der Ausschüsse niederlegten. Die heulende, wimmelnde, elende Volksmasse, die in der Revolution vom Jahre 1848 in die Tuilerien eindrang, nahm nichts von den Gegenständen, die sie blendeten und von denen ein jeder Brot für viele Tage bedeutet hätte.

      Diese Versittlichung des Einzelnen durch die Masse ist gewiss keine feste Regel, aber sie ist häufig zu beobachten, und selbst unter viel weniger ernsten Umständen als den von mir angeführten. Wie ich bereits sagte, verlangt die Masse im Theater von dem Helden des Dramas übertrieben hohe Tugenden, und selbst eine Zuhörerschaft, die aus niedrigen Elementen zusammengesetzt ist, erweist sich oftmals als sehr prüde. Der berufsmäßige Lebemann, der Zuhälter, der Bummler und Sportvogel murrt oft bei einer etwas gewagten Szene oder einer schlüpfrigen Rede, die doch im Vergleich zu ihren übrigen Unterhaltungen recht harmlos ist.

      Frönen die Massen also oft niedrigen Instinkten, so bieten sie manchmal auch wieder Beispiele hochsittlicher Handlungsweise. Wenn Uneigennützigkeit, Entsagung, bedingungslose Hingabe an ein eingebildetes oder wirkliches Ideal sittliche Tugenden sind, dann kann man sagen, dass die Massen diese Tugenden oft in einem so hohen Grade besitzen, wie ihn die weisesten Philosophen selten erreicht haben. Gewiss üben sie diese Tugenden


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