Das letzte Steak. Hansjörg Anderegg
Читать онлайн книгу.eilten herbei. Endlich begriff der Idiot, dass es vorbei war. Er ließ sich mit hängenden Schultern abführen.
»Sind Sie seine Begleitung?«, fragte ein Polizist in vorwurfsvollem Ton.
»Sehe ich so aus?«
Sein Blick auf ihren leuchtend blonden Zopf und in den tiefen Ausschnitt bestätigte genau das. Wütend hielt sie ihm die Dienstmarke unter die Nase und sagte zur Sicherheit:
»Kriminaloberkommissarin Christiane Hegel, BKA Wiesbaden. Und Sie sind?«
»Entschuldigung«, murmelte er verdutzt.
»Ich kam aus dem Konzert und sah, wie der Verrückte auf die Leute zuraste. Ich musste ihn aufhalten.«
»Sie könnten tot sein.«
»Berufsrisiko.«
Ihr Rücken schmerzte. Sie versuchte, sich die Stelle zu massieren. Dabei drohten ihre Brüste, unterstützt vom Push-up, dem Kollegen von der Streife ins Gesicht zu springen. Der junge Mann wusste nicht wohin mit den Augen, bis sein älterer Partner neugierig auf sie zutrat.
»Kommissarin Hegel vom BKA hat ihn gestoppt«, erklärte der Junge hastig.
»Oberkommissarin«, verbesserte sie.
Sie fand die feine Abstufung in der Funktionsbezeichnung lächerlich, aber es tat gut, den Jungen zu quälen.
»Oberkommissarin, Entschuldigung«, murmelte er verlegen.
»Sind Sie verletzt?«, fragte der Ältere.
Sie schüttelte den Kopf. »Danke, ich bin in Ordnung.«
»Sind Sie sicher? Sie haben ein ganz schönes Früchtchen aus dem Verkehr gezogen. Der Mann hat eine Person angefahren und Fahrerflucht begangen, deshalb waren wir hinter ihm her. Er wird wohl für eine Weile von der Straße verschwinden.«
»Hoffentlich ist er schon strafmündig«, lächelte sie.
Dadurch fasste der Junge neuen Mut. »Er ist immerhin schon achtundzwanzig«, grinste er.
Sie nickte ihm verständnisvoll zu. »Manche Leute entwickeln sich eben sehr langsam.«
Das betroffene Gesicht des Polizisten erinnerte sie entfernt an die erste Begegnung mit ihrem Jamie. Milder gestimmt, wehrte sie sich nicht dagegen, den Beamten fürs Protokoll aufs Revier zu folgen. Sie hielt den konfiszierten Zündschlüssel hoch und sagte zum Jüngling:
»Sie könnten mich ja fahren. Mein Fahrrad findet sicher Platz im Streifenwagen Ihres Partners.«
Der Junge blühte auf während der kurzen Fahrt, was nicht nur am schnittigen Sportwagen lag. Sie hatte beschlossen, in den nächsten zehn Minuten richtig nett zu ihm zu sein.
Am nächsten Morgen in der Zentrale des Bundeskriminalamts empfing sie ihr Partner mit besorgter Miene. Sven blickte sonst nicht von der Arbeit auf, wenn sie das Büro betrat, doch nun sprang er gar auf und betrachtete sie eingehend von allen Seiten.
»Bist du auch wirklich O. K.?«, fragte er leise, um sie nicht zu erschrecken.
»Dasselbe wollte ich dich fragen.«
Hatte sie etwas übersehen? Im Spiegel war ihr nur ein blauer Fleck aufgefallen, am Rücken unter dem rechten Schulterblatt. Den konnte er unmöglich sehen.
»Richter hat ganz aufgeregt nach dir gefragt. Es gab einen Verkehrsunfall?«
»So kann man es auch sehen«, lachte sie. »Wollte der Staatsanwalt etwas von mir?«
»Du möchtest dich bitte bei ihm melden, sobald es die Umstände zulassen. Seine Worte.«
»Du meine Güte! Das sind ja ganz neue Töne.«
Oberstaatsanwalt Richter gab sich im Normalfall keine Mühe, besonders höflich zu sein. Woher wusste er überhaupt Bescheid über den nächtlichen Zwischenfall? Andererseits – er war einer der Mächtigen beim BKA, und das besaß große Ohren. Sein Büro stand offen. Er kam ihr freudestrahlend entgegen, sobald er sie entdeckte.
»Dr. Hegel, Gott sei Dank. Wie fühlen Sie sich?«
Nicht besonders wohl in meiner Haut, dachte sie beunruhigt. Sie kannte nur zwei Gründe, die ihn bewogen, sie mit dem akademischen Titel anzureden: Entweder drohte eine Standpauke, oder er wollte etwas Unangenehmes von ihr.
»Es geht mir gut«, log sie. »Warum fragen Sie?«
»Na hören Sie mal. Ich fürchtete schon, sie würden zur Verkehrspolizei abwandern.«
»Die Leute dort sind wirklich nett. Ich werd’s mir überlegen.«
Er schüttelte schmunzelnd den Kopf und bedeutete ihr, Platz zu nehmen.
»Sie sind also wieder voll einsatzfähig? Keine Nachwirkungen? Mein Gott, Sie könnten tot sein!«
Dreimal ja. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis sein Mitgefühl erlosch:
»Gut, gut, dann wollen wir – in medias res, sozusagen.«
Er nahm ein Blatt aus der Aktenmappe, die vor ihm lag, und überreichte es ihr.
»Interpol braucht unsere Unterstützung«, bemerkte er dazu.
Sie las die in umständlichem Amtsenglisch verfasste Anfrage. Irritiert legte sie den Zettel schließlich auf den Tisch.
»Ein Dolchstoß ins Herz in einem Kaff in Suffolk – was hat das mit uns zu tun?«
»Drehen Sie das Blatt um.«
»Ach so, Entschuldigung.«
Widerwillig las sie weiter. Offenbar bestand der Verdacht, es könnte sich um einen deutschen Täter handeln. Ziemlich an den Haaren herbeigezogen, fand sie. Vor allem verstand sie immer noch nicht, warum Richter ausgerechnet ihr diese Anfrage zeigte. Es arbeitete in ihrem Gesicht, was ihn zu belustigen schien.
»Sie fragen sich, warum ich die Sache nicht an die Zentralen Dienste leite. Das hatte ich vor, doch dann erinnerte ich mich an diese Meldung aus dem LKA Stuttgart.«
Er schob ihr ein zweites Blatt hin. Es war die Nachricht vom Mord an einem Schwarzen in Tübingen, die sie im Radio gehört hatte. Tod durch einen einzigen Dolchstoß ins Herz, genau wie im Fall aus England.
»Das könnte ein Zufall sein«, sagte sie.
Er nickte. »Genau, darum möchte ich, dass Sie das schnell bestätigen, damit wir die Sache vom Tisch haben.«
Das Damoklesschwert sauste mit voller Wucht auf sie herunter. Das war also der Grund für die akademische Anrede. Noch ein lästiger Auftrag. Sie, ihr Partner und ein paar andere Leute konnten sich ja nicht gerade über Arbeitslosigkeit beklagen, was Richter bestens bekannt war. Sie suchte hastig nach der besten Ausrede, als ihr Blick auf die Information über die zuständige englische Dienststelle fiel. Sie entspannte sich augenblicklich, nahm die Akte an sich und verabschiedete sich vom verdatterten Staatsanwalt mit einem Lächeln.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Kapitel 2
Tübingen
Der weiße Porsche Boxster Spyder bog beim Wurstpalast am Holzmarkt rechts ab und hielt nach wenigen Metern in der schmalen Straße an. Sven stieg aus, ohne sich um den Stinkefinger des Fahrers zu scheren, der seinen Kombi millimetergenau an den geparkten Autos vorbei navigieren musste. Er fand die ganze Aktion in Tübingen, zu der Chris ihn verknurrt hatte, schlicht zum Kotzen. Daher versuchte er gar nicht erst, seinen Widerwillen zu unterdrücken, als er sich preußisch kurz bei der Polizei Innenstadt anmeldete:
»Kriminalkommissar Sven Hoffmann, BKA Wiesbaden, Herr Schröder erwartet mich.«
Die Miene des Polizeihauptmeisters ließ darauf schließen, dass auch er alles andere als begeistert war vom Eindringen des Bundeskriminalamts in seine heile Welt. Immerhin stellte er ihm einen Becher Kaffee und ein Kännchen mit Rahm