1975. Wolfram Hanel

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1975 - Wolfram  Hanel


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waren indische Kühe gemalt, die zufrieden und glotzäugig am Ufer des Ganges lagerten. Ein Typ mit Vollbart und Nickelbrille stieg aus und kam zu ihnen herübergelatscht. Ob sie Interesse an zwei Reifen hätten, mit Felge, fragte er und zeigte mit dem Kopf auf ihren Bus, einen Dachgepäckträger habe er übrigens auch noch.

      Er langte in seine Tasche und holte einen Lederbeutel hervor. Drehte erst mal eine gewaltige Tüte und ließ das Ding dann im Kreis rumgehen. Lepcke wollte nicht, aber die anderen ließen sich nicht zweimal bitten. Wobei der Dicke immer mit einem Auge zu seiner Oma hoch schielte und den Joint beim Ziehen in der hohlen Hand versteckte.

      Sie nuckelten eine Weile vor sich hin. Doch, klar, zwei zusätzliche Reifen waren vielleicht gar nicht schlecht. Was er dafür haben wolle?

      »Vierzig Mark?«

      »Nichts da«, sagte Kerschkamp und schüttelte den Kopf.

      »Vierzig Mark mit dem Dachgepäckträger«, schlug Appaz vor.

      Appaz fuhr also mit dem Typen los, um die Reifen und den Gepäckträger zu holen. Der Typ erzählte, dass er Medizinstudent sei und gerade irgendeine Prüfung bestanden habe. Und jetzt erst mal nur noch weg wolle. Nach Indien. Mit seiner Freundin, für mindestens ein Jahr! Und wenn Appaz und die anderen unterwegs wären, sollten sie sich bloß nicht anschnallen.

      »Im Bulli hast du keine Chance, wenn du angeschnallt bist«, sagte er, »wenn du irgendwo gegenschrubbst, bist du platt.«

      Er war nämlich Krankenwagen gefahren, und da hatte er VW-Busse gesehen, bei denen war das Führerhaus vielleicht gerade noch zwanzig oder dreißig Zentimeter lang. Und bei dem einen Typen, den sie rausgezogen hatten, hatte sich das Lenkrad durch den Brustkorb gebohrt.

      »Keine Chance«, sagte er. »Aber wenn du nicht angeschnallt bist, fliegst du vielleicht gerade noch rechtzeitig raus.«

      Appaz nickte und sagte, dass das ja eigentlich sowieso klar sei. Wüsste ja jeder, der VW-Bus fährt.

      Der Medizinstudent grinste Appaz an und lenkte ein Stück mit den Knien, während er einen neuen Joint rollte.

      Er wohnte irgendwo am Kanal, und seine Freundin schien nicht gerade begeistert zu sein, dass er Besuch mitbrachte. Weshalb Appaz lieber gleich sagte, dass er keine Zeit habe und nur schnell wegen der Reifen und dem Gepäckträger mitgekommen sei. Woraufhin sie allerdings auch nicht freundlicher wurde. Aber als Appaz die vierzig Mark aus der Tasche holte, griff sie zu, bevor der Typ überhaupt nur den Arm hochkriegte.

      Der Dachgepäckträger war riesig, und sie mussten ihn auf dem Samba montieren, um ihn überhaupt transportieren zu können.

      »Wäre vielleicht schlauer gewesen, wenn ich gleich mit unserem Bus hergekommen wäre …«, sagte Appaz.

      Aber anstelle irgendeiner Antwort kriegte er nur ein Kichern zu hören und den nächsten Joint hingehalten.

      Als sie wieder beim Dicken waren, war Lepcke inzwischen nach Hause gegangen, um seine Klamotten zu packen. Sie wuchteten den Gepäckträger auf ihren eigenen Bus und der Dicke holte ein Seil, um die Reifen festzubinden.

      »Sieht stark aus«, sagte Kerschkamp.

      »Denk dran«, erinnerte der Medizinstudent Appaz, »nicht anschnallen. Ihr müsst rausfliegen können, sonst habt ihr keine Chance.«

      »Komischer Typ«, stellte Kerschkamp fest, nachdem der Samba in einer blauen Qualmwolke die Straße runtergeknattert war.

      »Du hättest erst mal seine Freundin sehen sollen«, sagte Appaz.

      Kerschkamp grinste.

      Appaz grinste zurück.

      In nicht mal zwölf Stunden waren sie unterwegs! Sie erklärten dem Dicken nochmal, wann sie wahrscheinlich in Lacanau sein würden. Falls er doch noch Lust kriegte, nachzukommen.

      »Aber Buchmann kannst du ruhig vorher irgendwo absetzen«, sagte Kerschkamp und grinste schon wieder.

      »Viel Spaß mit dem Ami«, meinte der Dicke.

      Sie winkten seiner Oma zu und fuhren los. Auf dem Weg zu Kerschkamp hatte Appaz eine Idee. Sie zählten ihr Geld. Kerschkamp nickte. Sie hielten am Geha-Platz und stiefelten in den Optikladen, wo Appaz seine erste Brille bekommen hatte. Kurz vor der Fahrprüfung, als er den Sehtest nicht bestanden hatte, und der Fahrlehrer sich fast nicht mehr einkriegte, dass Appaz die ganze Zeit blind wie ein Maulwurf gewesen war.

      Appaz kaufte sich Sonnenbrillengläser, die man auf die normale Brille aufstecken konnte. Kerschkamp suchte sich die dunkelste Sonnenbrille aus, die sie hatten. Sie guckten sich im Spiegel an. Sie sahen ein bisschen aus wie zwei Typen, die aus Versehen von »Easy Rider« übrig geblieben waren.

      »Scharf«, sagt Kerschkamp.

      Sie verabredeten sich für fünf Uhr am nächsten Morgen. Kerschkamp würde die anderen nochmal anrufen. Vor allem den Ami.

      »Hau rein, Alter«, sagte Kerschkamp und hielt die Faust hoch.

      Appaz’ Mutter hatte ihm zum Abschied Hackbraten gemacht. Mit Schwarzwurzeln. Und als er sein Zeug zusammenpackte, drückte ihm sein Vater noch eine Dose Scho-Ka-Kola in die Hand. Autofahrerschokolade. Und hundert Mark für Sprit.

      »Fahr vorsichtig, Junge«, sagte er.

      Über das versiebte Abitur redeten sie kein Wort mehr. Aber Appaz hatte das Gefühl, dass sie ohnehin dachten, es sei zwecklos, überhaupt noch was zu sagen. Er versprach ihnen aber, dass er sich von unterwegs mal melden würde.

      Dann fuhr er nochmal los, um sich von Anette zu verabschieden. Eigentlich hatte er auf eine kleine Abschiedsnummer gehofft, aber als sie an den Kiesteich kamen, waren Hansi und Biggi schon wieder im Geräteschuppen zugange. Und Anette wollte nicht mehr, sondern sagte nur, dass Hansis Gestöhne sie total abturnen würde. Und dass sie froh wäre, für die nächsten sechs Wochen keinen steifen Schwanz mehr sehen zu müssen. Dann fing sie plötzlich an zu heulen. Appaz holte die Tüte mit dem Gras aus Hansis Rucksack, den dieser freundlicherweise auf dem Steg liegen gelassen hatte.

      Sie rauchten. Anette erzählte, dass sie Schiss habe vor der Guardia Civil. Sie wollte nur mit ihrer Cousine in die Pyrenäen, auf die spanische Seite. In irgendein Bergdorf, wo sie Spangenburger besuchen wollten, den Appaz auch kannte, weil er früher mal auf seiner Schule gewesen war. Dann war er aber wegen irgendwas geflogen und hütete jetzt als Hippie in den Pyrenäen Schafe. Oder Ziegen. Und Spangenburger hatte schlimme Sachen von der Guardia Civil erzählt, insbesondere was sie so mit Mädchen machen würden. In dem gleichen Brief, in dem er Anette und ihre Cousine zu sich eingeladen hatte.

      »Wenn es dir zu doof wird, kommst du nach Lacanau«, flüsterte Appaz dicht an Anettes Ohr, »oder wir holen dich …«

      Er versuchte, seine Hand unter ihren Wickelrock zu schieben. Aber Anette wollte immer noch nicht.

      2

      Als Appaz zu Kerschkamp kam, lag noch dicker Nebel über den Feldern. Kerschkamp hatte trotzdem schon die Sonnenbrille auf.

      Hinten im Bus hatten sie eine Holzplatte eingebaut, bis zur Lehne der mittleren Sitzbank. Wenn man sich diagonal legte, reichte es gerade so als Schlafplatz. Kerschkamp klopfte sein Kopfkissen zurecht und haute sich hin. Strampelte mit den Beinen und schrie: »Yippiiieh!«

      Lepcke stand schon mit seinem ganzen Zeug an der Straße und wartete. Er hatte die Kiste mit dem Campinggeschirr dabei und einen Karton voll Tütensuppen. Das Zelt war immer noch nass. Sie hängten es, so gut es ging, über die Lehne der Rückbank. Lepcke kletterte auf den Beifahrersitz.

      Der Ami erzählte ihnen zur Begrüßung, dass er die ganze Nacht geträumt habe, er würde rote Würmer auskotzen.

      Ratte pennte noch. Seine Mutter schickte sie hoch in sein Zimmer. Die Rollläden waren heruntergelassen. Es stank, wie es nur bei Ratte stinken konnte. Ratte hatte mal gesagt, das würde an seinem Bruder liegen, der die ganze Nacht über furzte. Was von


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