666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer
Читать онлайн книгу.zu schauen, ob es eventuell Kommentare oder Posts zu dem gestrigen Auftritt bei Instagram, Facebook und Co. gab.
Bereits einer der ersten Beiträge in ihrer Timeline erweckte Sarikas Aufmerksamkeit. Fabrice, ihr Ex-Frontmann, hatte ein Video auf der Fanpage der Band hochgeladen und geteilt. Sie klickte darauf und schaltete den Ton ein. Der würde doch jetzt hoffentlich nicht öffentlich über seinen Abgang aus der Band lamentieren. So ein Mist. Sie hätte ihm gestern Abend noch die Adminrechte auf die Witchwar-Page aberkennen sollen.
Das Filmchen war von schlechter Qualität. Alles viel zu dunkel. Das Einzige, was man erkennen konnte, war Fabrices Gesicht. Sein Auge war zugeschwollen und blutunterlaufen. Hatte sie tatsächlich so hart zugeschlagen? Vielleicht wegen des Schlüsselbundes? Auf seiner Stirn war, vermutlich mit Blut, die Zahl 666 geschmiert oder sogar eingeritzt worden. Das Licht flackerte auf seinem ansonsten blassen Antlitz. Sarika kniff die Augen zusammen und sah genau hin. Ja, das schienen eindeutig Kerzen zu sein, die sich in seinen glasigen Pupillen spiegelten. Fabrice weinte. Wobei das nichts heißen musste, da er dies, wie Sarika glaubte, auf Kommando konnte. Der Typ war ein Waschweib sondergleichen.
„Mein Name ist Fabrice Gladenberg. Ich bekenne mich schuldig der Hexerei. Ich habe dem Zauberlaster gefrönt und mehrfach bösen Zauber getan. Ich habe mit dem Teufel gebuhlt und bin von Gott abgefallen“, wimmerte Fabrice. Sarika starrte mit aufgerissenem Mund gebannt auf den kleinen Bildschirm. So eine Wahnsinnsshow und ein schauspielerisches Talent hätte sie dem Depp gar nicht zugetraut. Die Frage war nur, was er damit bezweckte. Sie merkte, wie Klaus sich erhob und sich zu ihr auf die Eckbank schob, und hielt das Gerät nun so, dass er mitschauen konnte.
„Auf den Tanzplätzen habe ich mit den anderen Hexen und Hexern unzüchtig getanzt, getrunken und gebuhlt. Gesehen habe ich dort Lena Binenbacher, Selina Marksdorf, Fabienne Luca und Sarika Zielner“, stammelte er nun auch noch die Namen der kompletten Bandmitglieder herunter. Dann war das Video zu Ende.
Sarika zitterte vor Wut. Was zum Kuckuck sollte dieser Mist?
„Spiel das bitte noch mal ab“, bat Klaus sie. Sarika wollte schon den Play-Button betätigen, als das Telefon in ihren Händen zu vibrieren begann. Der Anruf kam von Selina. Sarika konnte sich denken, was die Bassistin wollte. Vermutlich hatte sie das Video ebenfalls gerade gesehen.
Kapitel 2
Sonntag, 8. August 2021, 9:13 Uhr
Friesenhagen/Rote Kapelle
Nina nutzte die Zeit bis zum Eintreffen der Kollegen von der KTU, um sich die Umgebung anzusehen. Thomas war zum Auto gegangen, um seine Kamera zu holen. So etwas brauchte Nina nicht. Teure Kameras wurden ihrer Meinung nach heutzutage, wo es Mobiltelefone mit einer solchen Funktion gab, vollkommen überbewertet. Sie war selbst immer wieder erstaunt, wie toll zum Beispiel die letzten Urlaubsfotos geworden waren. Super Farben und alles gestochen scharf. Wenn sie da an solche Bilder aus ihrer Jugend dachte, die mit einem für damalige Verhältnisse super Fotoapparat gemacht worden waren, dann war das kein Vergleich mehr.
Sie zückte also ihr Handy und begann zu fotografieren. Die beiden Bäume vor der Kapelle, die Kapelle selbst, die Hinweistafel aus Holz, auf der auf die Hexenprozesse vor beinahe vierhundert Jahren eingegangen wurde.
Bilder vom Tatort und der Umgebung konnte man nie genug haben. Außerdem kosteten Handyfotos ja nichts, da man anders als früher keinen Film entwickeln musste.
Sie ging zur Kapelle, betrachtete die Tür und stutzte, als sie die Blutstropfen auf der steinernen Stufe und dem Basaltpflaster davor entdeckte. Nina beugte sich vor und sah durch die kleine Scheibe. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass die Kapelle so hübsch eingerichtet war. Alles sah aus, wie man es auch in einer richtigen Kirche erwarten würde. Der Boden war aus Steinplatten, auf denen zwei Teppichläufer lagen. Der eine von der Türe zum Altar. Der andere quer vor selbigem. Rechts und links an der Wand standen Klappstühle aus Holz mit roten Sitzkissen. Im gleichen Rot wie das Tuch auf dem Altar. In der Nische, hinter dem mit frischen Blumen und Kerzen geschmückten Altar, thronte lebensgroß die Gottesmutter. Wobei …nein. Eine Marienstatue konnte das eigentlich nicht sein, da diese ja das Jesuskind im Arm gehalten hätte. Stattdessen hielt diese Frau ein offenes Buch in den Händen. Zu ihren Füßen kniete ein Kind. Vermutlich irgendeine Heilige und für den Fall nicht weiter wichtig.
Aus einer Eingebung heraus drückte Nina die Klinke der Tür herunter und war nicht wirklich erstaunt, dass das kleine Gotteshaus nicht verschlossen war. Sie zerrte das Paar Einweghandschuhe, das sie sich aus Küblers Wagen mitgenommen hatte, aus der rechten vorderen Tasche ihrer Jeans und streifte sie über. Erst dann betrat sie die Kapelle.
„Och, Mensch, Nina, muss das sein?“, hörte sie hinter sich die Stimme von Torsten Liebig sagen. Sie drehte sich um und sah ihn an. Er steckte wie immer, wenn er einen Tatort betrat, in einem der Einwegpapieranzüge.
„Wieso, was meinst du?“, erkundigte sie sich, obwohl sie genau wusste, was er meinte. Wenn es in der Kapelle etwas zu finden gab, wenn hier ein Tatort war, dann war sie gerade dabei, ihn mit ihren Spuren zu kontaminieren. Dass hier etwas geschehen war, schien ihr beinahe außer Frage.
„Das weißt du ganz genau“, beschied der Kollege sie derweil.
Nina ließ sich nicht beirren und blickte sich um. Mitten in dem Raum stand außer einem der Klappstühle ein Gestell für Opferkerzen. Rechts neben dem Altar lagen auf einen Haufen geworfen Kleidungsstücke und ein abgegriffener Rucksack. Überall auf dem steinernen Fußboden rechts und links des Teppichs befanden sich kleinere Blutspritzer. Zumindest ging sie nicht davon aus, dass hier jemand Farbe verspritzt hatte.
„Nina, jetzt komm da raus“, quengelte Torsten.
„Jaja … schon gut. Aber ich möchte als Erstes gerne wissen, was da in dem Rucksack ist“, antwortete sie, deutete auf das Objekt der Begierde und bewegte sich dabei langsam rückwärts in Richtung Ausgang.
„Nina, kommst du mal?“, hörte sie Thomas rufen, der zusammen mit Kriminaloberkommissarin Heike Friedrich-Liebig, der Frau von Torsten, an der Motorhaube eines Streifenwagens lehnte und auf ein Computertablet starrte.
Nina ging zu ihnen hin und begrüßte erst einmal Heike mit einer freundschaftlich angedeuteten Umarmung. Die Beziehung zu der Kollegin war noch nie so gut gewesen wie in den letzten Monaten. Anfangs, damals bei ihrer ersten Begegnung, hatte Nina die blonde Frau mit der Wuschelmähne überhaupt nicht leiden können. Doch mittlerweile war da eine richtige Freundschaft gewachsen.
„Moin, Heike, was gibt’s denn?“, wollte Nina wissen, da Heike irgendwie besorgt dreinschaute. Die Kollegin deutete auf das iPad in Küblers Händen. „Vorhin hat eine ziemlich aufgelöste Mutter auf der Dienststelle angerufen. Ihr Sohn ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen. Auf der Facebookseite seiner Band hat er ein ziemlich verstörendes Video hochgeladen. Die Frau hat Angst, er könne sich etwas antun … Aber schau es dir mal besser selbst an“, erklärte Heike, während Thomas den Film startete.
Nina erkannte den Jungen sofort. Es war Fabrice, der Sänger von Sarikas Band. Er sah übel aus. Ein Auge war blutunterlaufen, daneben eine Platzwunde. Die langen Haare klebten auf seiner verschwitzten Stirn, auf der Zahlen zu erkennen waren. Was er zu sagen hatte, klang wirr, aber in Anbetracht dessen, was sie heute Morgen hier an diesem Ort schon gesehen hatte, irgendwie logisch. Nachdem das Video geendet hatte, ruhte Ninas Blick noch eine gefühlte Ewigkeit auf dem Scheiterhaufen mit den verkohlten menschlichen Überresten. Mit einem Mal war ihr auch klar, woher sie den Rucksack kannte, der neben dem Altar in der Kapelle lag.
„Wann hat er das Video hochgeladen?“, erkundigte sie sich bei Kübler, der ebenfalls sehr still und nachdenklich war.
„Ähm …“, er tippte auf dem Display des iPads herum, bis er fand, was er suchte.
„Laut dem, was hier steht, vor einer Dreiviertelstunde. Genauer gesagt, vor siebenundvierzig Minuten“, las er ab.
Nina schüttelte unmerklich den Kopf. Das konnte nicht sein. Vor einer Dreiviertelstunde war der Mann auf dem Scheiterhaufen schon tot gewesen. Der Brand war bereits vor fast zwei Stunden gemeldet worden. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass der verbrannte Körper der von Fabrice