666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer
Читать онлайн книгу.die beiden sprachen, war ihr ziemlich klar. Dass Sarika und der vermeintlich verstorbene Junge sich kannten, war mehr als offensichtlich.
Die Wand gegenüber dem Fenster war komplett schwarz angemalt worden. Darauf in Weiß das Logo einer Heavy-Metal-Band namens Witchwar, was ja so viel bedeutet wie Hexenkrieg. Ein, wie Heike fand, selten dummer Name. Um das Logo herum verteilt waren Dutzende von Fotos. Einige zeigten auch Sarika Zielner, Ninas Stieftochter. Wobei Nina ihr aber auch schon auf der Fahrt hierher erzählt hatte, woher sie den verschwundenen Jungen kannte. Dass Nina das Mädchen gerade alleine befragte, war aus Ermittlersicht nicht gut. Andererseits konnte Heike es durchaus verstehen. Sie war selbst Mutter. Würde ihre Tochter Florentina da unten in dem Wagen sitzen, hätte Heike auch zuerst alleine mit ihr sprechen wollen und war sich sicher, dass Nina dies ebenfalls respektieren würde. Heike wandte sich ab und ging zu dem Schreibtisch rechts neben dem großen Bett, auf dem ein Laptop stand. Sie klappte das Gerät zu und zog die Stecker für das Netzteil und die Maus heraus. Auf dem Regal über dem Schreibtisch lag eine externe Festplatte. Die würden sie genau wie auch das Notebook mitnehmen.
„Meinen Sie, das ist nötig? Fabrice wird das, wenn er nach Hause kommt, bestimmt nicht gutheißen, dass Sie seinen Computer mitgenommen haben“, sagte Frau Gladenberg, die mit besorgtem Blick in der Türe stand und Heike beobachtete.
„Das muss leider sein, Frau Gladenberg. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass die Kollegen von der Technik sorgsam mit dem Gerät umgehen und Sie es wohlbehalten wiederbekommen“, erwiderte Heike. Dass Fabrice den Computer vermutlich nicht mehr brauchen würde, verschwieg sie weiterhin. Offiziell waren sie hier, weil die Mutter den Jungen als vermisst gemeldet hatte. So lange nicht feststand, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um Fabrice handelte, würden sie dies auch so belassen. Ein Umstand, der Heike schwerfiel. Doch was war besser? Sollten sie mutmaßen, dass der Sohn tot war, und der stand gleich dann doch plötzlich quicklebendig auf der Matte … oder sollten sie erst einmal die Klappe halten und abwarten, bis sie mehr wussten? Für sie nicht wirklich eine Frage.
„Was ist eigentlich mit dem Vater von Fabrice?“, lenkte sie das Gespräch nun erst einmal in eine andere Richtung.
„Wir leben getrennt. Schon lange“, antwortete die Frau mit den graublonden Haaren, die vermutlich nur ein paar Jährchen älter war als Heike selbst. Sie war eine, wenn man sich die Sorgen aus ihrem Gesicht einmal wegdachte, sehr hübsche Frau.
„Das heißt, Sie und Fabrice leben alleine in diesem Haus?“, fragte Heike weiter.
„Ja … nein. Meine Tochter Anne hat noch ein Zimmer hier im Haus. Sie studiert seit letztem Jahr in München und besucht uns nur noch selten. Nur für das Wochenende lohnt sich die weite Fahrt ja nicht“, antwortete Frau Gladenberg.
„Hat Fabrice Kontakt zu seinem Vater? Könnte er bei ihm oder bei Anne sein?“, erkundigte Heike sich der Form halber und betrachtete weiter die Fotos, die mit Reißzwecken rund um das Bandlogo von Witchwar auf die schwarze Wand gepinnt worden waren. Auf den Bildern waren auffallend viele Mädchen zu sehen. Heike stutzte. Wenn man es genau nahm. waren da überhaupt keine Jungs drauf.
„Wie ist es mit Freunden, Kumpels oder Klassenkameraden? Gibt es da jemanden, der wissen könnte, wo sich Ihr Sohn befindet?“, forschte Heike weiter.
Frau Gladenberg überlegte einen Moment. „Eigentlich kämen da nur die Mädchen aus der Band infrage. Einen Freund, also so einen richtigen besten Kumpel, den gibt es soweit ich weiß nicht. Wie es sich mit seinen Klassenkameraden verhält, kann ich nicht sagen. Hier bei uns ist noch nie jemand von denen gewesen. Ich denke, mit denen hat er nicht so viel am Hut“, antwortete sie.
„Wie kommt das? Ich meine, wenn ich die Fotos betrachte, sehe ich hier nur Mädchen“, interessierte es Heike nun doch brennend. Jungs hingen doch normal mit anderen Jungs ab, oder nicht? Zumindest kannte sie es nur so.
„Fabrice hatte schon immer einen besseren Draht zu Mädchen. Das war schon im Kindergarten so … und, nein, er ist nicht schwul … falls Sie das jetzt denken.“
Zugegeben, der Gedanke war Heike schon kurz gekommen. Überhaupt machte Fabrice auf sie einen eher femininen Eindruck. Sie nahm ein Foto von der Wand, auf dem er mit den vier Mädchen seiner Band abgelichtet war. Fabrice war darauf, genau wie seine Bandkolleginnen, eindeutig und ziemlich stark geschminkt. Er erinnerte sie ein wenig an den Sänger von Tokio Hotel. Wie hatte der noch gleich geheißen? Egal. Alles in allem schien Fabrice Gladenberg keine graue Maus gewesen zu sein. Die Bezeichnung „Paradiesvogel“ würde ihn wohl am besten umschreiben. Heike ließ ihren Blick weiter über die Wände schweifen. Über dem Bett hing ein Kreuz mit dem angeschlagenen Heiland daran. Das Besondere an dem Kreuz war der Umstand, dass der Gekreuzigte samt dem Kreuz verkehrt herum aufgehängt worden war. Was es bedeutete, war ihr schon klar. Neben dem Bett ein Regal mit Schallplatten und CDs. So etwas sah man heutzutage nur noch selten. Selbst zu ihrer Jugendzeit hatte es nur noch wenige Platten aus Vinyl gegeben. Sie wusste aber, dass es für diese Art Tonträger auch heute noch viele Sammler gab. Fabrice besaß, grob geschätzt, einige Hundert davon. Draußen vor dem Haus wurde ein Wagen gestartet. Heike blickte kurz aus dem Fenster und sah Nina, die zurück zum Haus ging. Eigentlich hatte Heike gehofft, dass sie sich gleich noch einmal gemeinsam mit Sarika unterhalten könnten. Aber gut, das Mädchen lief ihnen nicht weg. Eines nach dem anderen. Jetzt waren sie erst einmal hier, um sich umzuschauen. Heike trat vor, zog eine Plattenhülle aus dem Regal heraus, las den Namen der Band und betrachtete das Bild. Es zeigte einen Dämon vor einem rot glühenden Himmel, der eine Kette schwang, an deren Ende sich ein ertrinkender Priester befand.
„Fabrice lebt für seine Musik“, hörte Heike die Mutter sagen und blickte zur Tür, in der nun auch Nina erschien.
„Ohh, Dio, Holy Diver“, sagte diese direkt und lächelte wissend.
„Du kennst die Platte?“, wunderte Heike sich, da sie selbst noch nie davon gehört hatte und auch mit dieser Art von Musik überhaupt nichts anfangen konnte. Zu ihrer Teenagerzeit war es in gewesen, Take That oder Backstreet Boys zu hören.
„Ja, hatte ich mal auf CD“, antwortete Nina, trat zu Heike an das Plattenregal und zog eine weitere Hülle heraus. Das Cover war ähnlich abscheulich. Allerdings hatte selbst Heike von der Band Iron Maiden schon einmal etwas gehört.
„The Number oft the Beast“, las Nina laut vor und nickte zustimmend.
„Lass mich raten … Die hattest du auch mal als CD?“, schlussfolgerte Heike.
„Nein, aber mein Göttergatte besitzt die Scheibe ebenfalls“, bestätigte Nina nur indirekt, was Heike befürchtet hatte.
„Sag mal, hat Klaus nicht auch Theologie studiert?“, fiel Heike ein.
„Ja, auf Lehramt. Warum?“, wunderte Nina sich erst, bevor sich ihr Blick aufhellte.
„Ach so, du meinst, wegen der Schallplatten …“, Nina winkte ab. „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“
„Meinen Sie nicht, dass Sie lieber nach meinem Sohn suchen sollten, als hier über Musik zu diskutieren?“
Die Stimme von Frau Gladenberg klang schneidend und vorwurfsvoll.
Nina wirbelte herum, zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und hielt es der Frau hin. Heike befürchtete schon, dass Nina Frau Gladenberg das Foto des verkohlten Leichnams zeigen könnte. Doch nichts dergleichen. Das Ganze war mehr eine Geste.
„Frau Gladenberg, Sie haben das Video, das Ihr Sohn heute Morgen hochgeladen hat, selbst gesehen und befürchten, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Glauben Sie da nicht, dass es für die Polizei besser ist, zu verstehen, wie Ihr Junge tickt, bevor wir die Stecknadel im Heuhaufen suchen? Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um Ihren Sohn zu finden. Gerade sind über einhundert Beamte der Bereitschaftspolizei sowie die Feuerwehr dabei, nach ihm zu suchen. Dieses Video … das hat doch offensichtlich etwas mit der Band zu tun, oder?“, fragte Nina, schien aber darauf gar keine Antwort zu erwarten, da sie nun damit begann, mit ihrem Telefon die Fotos an den Wänden abzufotografieren.
Frau Gladenberg schluckte, nickte kurz und wandte sich dann ab, um zu gehen.
„Ach,