TodesGrant. Wilfried Oschischnig

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TodesGrant - Wilfried Oschischnig


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später kamen tatsächlich ein Notarzt und drei Sanitäter der Wiener Rettung. Genau genommen waren es vier Minuten, sie hatten sich mit dem Aufzug um ein Stockwerk verfahren. Das machte der Notarzt mit einer raschen Diagnose wieder wett: Gradoneg würde unter seinen Schürfwunden weiterleben, am Kopf wäre höchstens eine Beule zu erwarten, nicht viel größer als ein belangloses Wimmerl. Also, rein äußerlich war Gradoneg pumperlgsund. Ein Hysteriker und Simulant vielleicht, aber kein Fall für eine Unfallklinik. Wenn die Cobra-Leute schon mit ihm in ein Krankenhaus wollten, dann würde der Notarzt einen Abstecher ins AKH empfehlen – nur wegen des neuen Küchenchefs in der Kantine. Dort würde es fast so gut wie in einem guten Wirtshaus schmecken. Ja, vom Essen her wäre das AKH sinnvoll. Ansonsten gäbe es für die paar harmlosen Kratzer bestimmt auf jeder Polizeistation genug Pflaster.

      „Weshalb habt ihr den überhaupt kassiert?“, wollte der Notarzt von einem Cobra-Beamten wissen. „Hat das etwas mit der Katze zu tun, die sie gerade aus dem Haus gebracht haben?“

      „Schlimmer, Kannibalismus.“

      „Was, ein Menschenfresser?!“

      „Ja. Hat seiner Katze ein menschliches Gehirn verfüttert und sie dann …“

      „Sind Sie verrückt“, durchzuckte es Gradoneg, „ich bin kein Kannibale und dem Whitey hab ich auch nichts getan! Das ist doch alles ein verdammter Irrtum!“

      „Du halt bloß deine Goschn, sonst frisst du nämlich meine Faust! Das ist dann dein letzter menschlicher Körperteil!“, brüllte ihn der Cobra-Beamte an. „Erzähl das dem Haftrichter, aber nicht mir!“

      „Ich will sofort mit meiner Frau sprechen!“, muckte Gradoneg nochmals auf, sah aber, wie ihm ein geballter Noppenhandschuh gefährlich nahe kam.

      Ein absurdes Bild: Hinten am Rücken steckten seine Hände in Handschellen, vorne das Handy in der Hosentasche. Wäre es eine Karikatur in einer Zeitung gewesen, hätte er wahrscheinlich mit einem Schmunzler daran gedacht, seinem Josef mit dieser Methode die Handysucht abzugewöhnen.

      Der Notarzt schüttelte den Kopf, musterte Gradoneg von oben bis unten.

      „Mein erster Menschenfresser … Gut, dass ich bald in Pension gehe.“

      „Das … das ist doch völlig absurd“, schrie Gradoneg, „Das könnt ihr doch nicht mit mir machen! Ich hab niemandem etwas getan!“

      Dann schubsten sie ihn ins Stiegenhaus und führten ihn ab.

      Gradoneg und Whitey verließen jedenfalls beinahe zeitgleich die Wohnung.

      Er in Handschellen. Der Kater auf einer Trage der Österreichischen Tierrettung.

      An die zwanzig Cobra-Beamte standen ihnen im Stiegenhaus Spalier.

      Beide fuhren sie mit Blaulicht und heulenden Sirenen davon.

      Einer Richtung Gefängnis, der andere womöglich Richtung ‚Einschläfern‘ oder ‚Amputation‘.

      Es war die größte Blaulicht-Eskorte in der Geschichte Währings.

      Beide wussten nicht, ob sie jemals zurückkehren würden.

      Beide wirkten verloren.

      Sehr verloren.

      Zwei

      Ganz Währing ein Blaulichtmeer und Sirenengetöse. Einundzwanzig Einsatzwägen schlängelten sich durch die Kreuzgasse zur Martinstraße vor. Einundzwanzig!

      Tonnenweise Panzerglas rollte durch den Bezirk, zig Gewächshäuser der Wiener Gärtnereien hätte man damit bauen können. Dass es überhaupt bei der Polizei derart viele Sicherheitswägen gab, hätte sich Gradoneg nie gedacht. Fehlte nur noch ein Hubschrauber, der diesen Schwerverbrecher-Transport begleitete. Niemand in Währing würde Gradonegs Verhaftung je vergessen. Und wie die Währinger ihre Villen weitervererbten, würden sie noch ihren Enkeln von diesem seltsamen Matthias Frerk Gradoneg, dem letzten ‚Menschenfresser‘, erzählen; von einem Tag im Herbst, als das Blau des Himmels plötzlich auf die Straßen fiel und sie sich alle die Ohren zuhalten mussten.

      Selbstverständlich glaubte Gradoneg nach wie vor an die Gerechtigkeit, so hilflos und entwürdigt er sich auch in diesem gepanzerten Polizeitross fühlte. Österreich war gewiss keine blutige Diktatur, die gerade ein wiederauferstandener Idi Amin übernommen hatte. Und das, was er in seinem ersten Schock aus den Dialogen der Cobra-Beamten aufgeschnappt hatte, war ja völlig absurd und würde keine Minute der Österreichischen Verfassung standhalten. Unrecht war Unrecht, Verfassung war Verfassung. Eher könnten sie ihn als Anführer einer verschwörerischen Marsinvasion festnehmen denn als Menschenfresser. Außer dem einen Wurstblatt in einem Gabelbissen und hin und wieder einer Leberkäsesemmel aß er quasi kein Fleisch mehr. Huhn, Fisch und Lamm rührte er prinzipiell nicht an, selbst beim Wiener Schnitzel ging es ihm mehr um die Panier. Einfach lächerlich, „er“ ein Menschfresser! Sein jährlicher Fleischkonsum entsprach kaum der Hälfte seines eigenen Körpergewichts. Was ja bei den österreichischen Männern meist umgekehrt der Fall ist. Jeder Fettwanst hält doch hierzulande eine Schweinemast in seinem Magen.

      Absolut lächerlich! Er war fast Vegetarier und nun wollte man ihm ein Kannibalismus-Delikt auftischen. Da konnte man doch gleich die „Vegane Gesellschaft Österreich“ ins Gefängnis werfen. Blöder ging es nicht. Schade um jeden Tropfen Benzin in den Tanks der einundzwanzig Einsatzwägen. Eine größere Frechheit auf Kosten der Steuerzahler hatte es noch nie gegeben. Selbst ein EU-finanzierter Skilift in Dänemark machte da mehr Sinn. Nicht den geringsten Hinweis würde die Spurensicherung in seiner Wohnung finden. Höchstens einen abgeschnittenen Zehennagel, der ihm auf den Boden gefallen war. Vielleicht lag auch unten im Kellerabteil noch eine tote Maus, aber ansonsten hatte er keine Leichen anzubieten. Die einzige Leiche war ja er selbst – eine grausam misshandelte Justizleiche.

      Ganz sicher: Gradoneg bräuchte nur vor einem Richter den Mund aufzumachen, und die Sache wäre erledigt. Jedem denkenden Menschen würde seine Unschuld sofort einleuchten. Die Cobra-Beamten machten ja nur ihre Arbeit, stupid und unreflektiert, wie es eben im öffentlichen Dienst der Fall ist. Straßenkehrer fegen ebenfalls nach vorgegebenen Dienstplänen. Und steht dort irrtümlich einmal „Donau“ drauf, dann stecken sie eben ihre Besen ins Wasser. Und genau das taten gerade die Cobras – sie liefen mit falschen Koordinaten los und kehrten die falsche Straße.

      Dennoch spürte Gradoneg instinktiv, dass in diesem Blaulicht eine unheilvolle, schwarze Wolke mitschwebte und die Federn der üblen Gerüchte gerade in alle Himmelsrichtungen verteilt wurden. Und irgendetwas von diesen üblen Gerüchten würde ewig an ihm haften.

      Immer bedrängter und hoffnungsloser fühlte er sich so auch hinten im Auto, einem Survivor R. Eingezwängt zwischen zwei Polizisten, die Arme mit Handschellen am Rücken fixiert und den Sicherheitsgurt beinah schon um den Hals. Terroristen sollten hier eigentlich Platz nehmen, Serienmörder und Amokläufer, einige Politiker und Aktienspekulanten, aber doch nicht er. Ein unbescholtener Bürger aus Währing, ein Bilderbuchvater und österreichischer Steuerzahler. Selbst den Papst hätte man in diesen Stahlkessel stecken können – aber um Gottes willen nicht Matthias Frerk Gradoneg!

      Er rutschte im Survivor R nervös hin und her.

      „Den Haftbefehl …“, fiel ihm endlich ein stichhaltiges Argument ein. „Sie haben mir weder einen Haftbefehl vorgelesen noch meine Personalien erhoben.“

      „Alles längst geschehen“, hörte sich die Stimme des Cobra-Beamten neben ihm wie ein langer Gähner an. „Hättest besser aufgepasst.“

      „Ich war doch bewusstlos!“, protestierte Gradoneg.

      „Gusch!“

      Keine Frage, die ‚Cobra‘ war eine Eliteeinheit, und niemand ließ sich hier von irgendwelchen juristischen Formalitäten aus der Ruhe bringen.

      Gradoneg räusperte sich mehrmals und suchte in seiner trockenen Kehle nach einer angemessenen Stimme. Einen dunklen, männlichen Tonfall, der diesen hartgesottenen Männern gewachsen war und sich in deren Ohren nicht gleich wie ein Mückenfurz anhörte.

      „Also,


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