Innen wachsen – außen wirken. Julia Buchebner
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Abb. 2: Eisbergmodell: Die innere Dimension der Nachhaltigkeit
Die Metapher des Eisbergs deutet an, dass nur ein kleiner Teil über der Oberfläche sichtbar ist, während der weitaus größere Teil unsichtbar unter der Oberfläche schlummert, aber deshalb nicht weniger real oder hinderlich ist. Du erinnerst dich sicher: Die Wächter auf der Titanic haben den »winzigen« Eisberg anfangs auch nicht wahrgenommen oder als gefährlich erachtet. Der massive Koloss darunter war es jedoch, der schließlich das Schiff zum Sinken brachte.
Diese Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit von inneren Mechanismen ist auch mit unterschiedlichen Maßen an Bewusstheit verbunden.
So ist man sich in der Regel des eigenen Verhaltens bewusst beziehungsweise kann es mit nur wenigen Fragen relativ leicht ins Bewusstsein geholt, erinnert, reflektiert und sichtbar gemacht werden. Wir haben im Kapitel über den inneren Schweinehund ja schon darüber berichtet.
Weniger bewusst hingegen sind die Werte und Einstellungen, die unserem Verhalten zugrunde liegen und im Eisbergmodell bereits unter der Oberfläche angeordnet sind. Werte sind wie Orientierungsleitfäden, die uns sagen, was in der Gesellschaft oder in einem bestimmten sozialen Umfeld als erstrebenswert gilt und was nicht. Nicht jede Person hat ihre eigene Wertelandkarte explizit verfügbar oder bewusst abrufbar, daher bedarf es hier bereits tiefergehender Reflexionsarbeit, um die eigenen, handlungsrelevanten Werte und Wertekonflikte zu identifizieren.
Noch unbewusster ist uns die Ebene unserer Gefühle und des eigenen Schattens. Der Schatten umfasst nach dem Schweizer Psychiater C. G. Jung alle Persönlichkeitsanteile, die verdrängt oder verleugnet wurden, weil sie einem bestimmten Selbstbild von uns entgegenstehen, uns unliebsam erscheinen oder sozial unerwünscht sind.39 Auf dieser Ebene inbegriffen sind auch alle Gefühle wie Ängste, Trauer oder Wut und all unsere negativen Glaubenssätze (»Ich bin wertlos«, »Ich bin nicht gut genug« etc.), die wir nicht haben wollen und daher in unser Unterbewusstsein verfrachtet haben.
Wenn wir nun beginnen, auf persönlicher Ebene »Schattenarbeit« zu leisten, werden wir lernen, unsere eigenen Wunden und Glaubenssätze zu transformieren, und setzen so ein tiefgreifendes Heilungspotenzial für uns und den Planeten frei. Du wirst noch staunen, wenn wir dir im dritten Teil unseres Buchs die Wirkung des tiefenpsychologischen Schattens auf die Nachhaltigkeit vor Augen führen.
Zu guter Letzt treffen wir am Urgrund des Eisbergmodells auf die spirituelle Ebene, die sich mit Ausnahme einiger sehr wacher Menschen tief im Unbewussten versteckt. Sie stellt den größten Hebel für die Nachhaltigkeit dar, da alle darüberliegenden Ebenen auf ihr fußen. Hier liegen alle Grundannahmen über das Leben, über die wir nicht einmal mehr nachdenken, weil sie uns so selbstverständlich vorkommen. Zum Beispiel, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei oder dass wir voneinander getrennte »Fleischklöpschen« seien, die ohne Sinn und Zweck auf der Erde »herumstrawanzen«.
Letztlich lassen sich – und das werden wir noch ausführlich erläutern – viele unserer ökologischen Probleme auf eine spirituelle Krise des Menschen zurückführen. Der Mensch hat vergessen, wer er in Wahrheit ist, wie viel Kraft und Lebendigkeit durch seine Adern fließt, welche Träume in ihm schlummern und wie viel Liebe er eigentlich zu verschenken hat.
Das Loslösen aus überholten Weltbildern, das Erlangen von innerer Freiheit und das tiefe Empfinden von Verbundenheit ist also etwas, woran wir arbeiten können und müssen, wenn wir eine nachhaltige und zukunftsfähige Welt erschaffen wollen. Gleichzeitig aber ist genau das auch ein Prozess der Gnade, der meist viel Zeit verlangt und den wir nur bedingt aktiv beeinflussen können. Mit diesem Paradoxon müssen wir wohl oder übel leben. Was wir aber auf alle Fälle tun können, ist ein erhöhtes Bewusstsein dafür zu entwickeln, wer wir sind, was wir können, was wir erschaffen wollen und wie wir mit unserer Natur und Umwelt in Verbindung stehen. Und allein damit ist schon sehr viel gewonnen.
In den folgenden Abschnitten möchten wir anhand des Eisbergmodells erörtern, wie eine gesellschaftliche Verwandlung in Richtung Nachhaltigkeit aussehen könnte. Und auch wenn dieser Wandel viel gemeinschaftliches Engagement im Außen benötigt, so wollen wir in diesem Buch vor allem auf die innere und individuelle Ebene eingehen und den erforderlichen Transformationsprozess von hier aus betrachten.
Wir werden, von oben beginnend, den Eisberg Schritt für Schritt nach unten wandern und auf jeder Ebene die Frage stellen, wie wir die erlangten Erkenntnisse über die »inneren Verhinderer« positiv und zukunftsweisend nutzen können. Das wird uns helfen, den Pfad des Problemdenkens zu verlassen und eine neue, lösungsorientierte und visionäre Perspektive einzunehmen.
Jeder der drei tiefer liegenden Ebenen – Werte, Gefühle und Weltbilder – ist nachfolgend ein eigener Buchteil gewidmet. In jedem Teil beschreiben wir neben den hinderlichen Faktoren auch immer Schlüssel und Methoden, durch die wir zu mehr Bewusstheit und Achtsamkeit für uns selbst und für unsere Mitwelt gelangen können.
Zudem zeigen wir, wie wir jene inneren Kernkompetenzen erreichen können, die wir für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft brauchen:
Ein aufgeklärtes Wertebewusstsein
Emotionale Kompetenz
Ein neues Weltbild der Verbundenheit
Natürlich haben diese Kernkompetenzen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unser Hauptanliegen ist die Beschreibung eines bewussten, reifen und zukunftsfähigen Menschen, der es vermag, das 21. Jahrhundert mit Liebe und Verantwortung zum besten Wohle aller mitzugestalten. Diese Beschreibung kann von dir beliebig ergänzt und weitergedacht werden. Du darfst, nein, SOLLST sogar all unsere Ideen prüfen und kritisch hinterfragen, denn dies zählt zu den wichtigsten Eigenschaften jeder wachen Person.
Da sich das vorangegangene Kapitel bereits mit der Verhaltensebene beschäftigt hat, wollen wir nun weiter abtauchen ins Unbewusste, immer tiefer und tiefer, bis an die Wurzeln unserer Existenz. Am tiefsten Punkt werden wir schließlich erkennen, was die Transformation unseres Bewusstseins tatsächlich für die Erhaltung des Planeten bedeutet und welche Schätze wir für unser Leben daraus mitnehmen können. In diesem Sinn wünschen wir dir viele gute Erkenntnisse, spannende Denkprozesse, inspirierende Gefühle und eine angenehme Reise – nach innen!
3. Werte als Richtungsweiser
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl meinte einmal, dass man Werte nicht lehren, sondern nur vorleben könne. Da wir diese Einstellung grundsätzlich teilen, hat es uns auch viel Zeit und Muße abverlangt, all unsere Gedanken, Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Werte in passende Texte zu packen. Wir hoffen, dir damit ein paar interessante Einsichten vermitteln zu können und dich darin zu bestärken, mit gutem Beispiel voranzugehen und zukunftsfähige Werte nach außen hin vorzuleben.
Warum wir Werte überhaupt betrachten müssen, zeigt uns etwa der sogenannte »Knowledge-Action-Gap«. Er beschreibt die häufig vorhandene Kluft zwischen Wissen und Verhalten, die wir schon beim inneren Schweinehund beobachten konnten. Wir wissen zum Beispiel, dass Fernreisen via Flugzeug klimaschädliche Gase in die Atmosphäre blasen, dennoch lassen wir uns zu gerne die südliche Sonne auf den Bauch scheinen. Wir wissen, wie unwürdig die Lebensbedingungen von Tieren in der Massentierhaltung sind, aber auf unser Schnitzel wollen wir nicht verzichten. Wir wissen auch, dass Textilarbeiter in Bangladesch nicht gerade in einem fairen, sicheren oder gesunden Arbeitsumfeld beschäftigt sind, dennoch ist das neue T-Shirt einfach zu toll, um nicht zuzugreifen.
Hand aufs Herz: Wie oft hast du schon etwas gemacht, von dem du wusstest, dass es dir oder anderen womöglich Schaden zufügt? Eben! Diese Dinge passieren einfach, und irgendwann geht es uns allen mal so. Doch was lenkt uns da?
Um diese Frage zu beantworten, sollten wir einen Blick auf all die inneren Werte werfen, die unseren Handlungen zugrunde liegen. Sie beeinflussen unser Verhalten,