DS-GVO/BDSG. David Klein
Читать онлайн книгу.bisherigen Verordnungs- und Richtlinientexte, die den Begriff des „Vertrags“ auf europäischer Ebene zum Gegenstand haben, enthalten weder entsprechende Definitionen noch eine klare Abgrenzung. In der Rom-I-Verordnung etwa ist der verwandte Begriff des vertraglichen Schuldverhältnisses nicht definiert; in der Verbraucherrechte-Richtlinie fehlt ebenso ein tauglicher Anknüpfungspunkt. Der Begriff des „Vertrags“ muss jedenfalls auch fehlerhafte bzw. nichtige Vertragsverhältnisse umfassen, um diese nicht aus dem Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 lit. b auszunehmen. Letzteres würde zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, da der Verantwortliche etwa bei einer ex-tunc-Nichtigkeit eines Vertrages plötzlich seiner Erlaubnis für die Verarbeitung in der Vergangenheit beraubt wäre. Ob in einem solchen Fall – z.B. der Anfechtung wegen Irrtums – eine Verarbeitung alternativ auf ein berechtigtes Interesse des Verantwortlichen nach Art. 6 Abs. 1 lit. f gestützt werden könnte, wäre dann wiederum Frage des Einzelfalls und würde den Verantwortlichen unverschuldet dem Risiko aussetzen, personenbezogene Daten ohne entsprechende Erlaubnis verarbeitet zu haben, selbst wenn der Betroffene selbst Anlass dafür gegeben hat, dass der Verantwortliche diese Verarbeitung vorgenommen hat.[82]
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Bereits hieran wird deutlich, dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Vertrag, quasivertraglichen oder vertragsähnlichen Schuldverhältnissen nicht zielführend ist. Um unter dem Gesichtspunkt der ratio des Erlaubnistatbestandes eine Datenverarbeitung zu ermöglichen, die primär im Interesse des Betroffenen ist, dürften wohl auch vorvertragliche und vertragsähnliche Schuldverhältnisse unter dem Begriff des Vertrags zu subsumieren sein.[83] Eine solche weite Auslegung ist auch im Interesse des Betroffenen, sichert sie doch eine enge Zweckbindung bei der folgenden Verarbeitung, und steht in Einklang mit Art. 6 Abs. 1 lit. b Alt. 2. Bestimmte Vertragstypen setzen bereits im Rahmen vorvertraglicher Verhandlungen umfassende Informationspflichten voraus. Hierfür sind in der Regel Daten des Vertragspartners zu erheben und zu verarbeiten, um die Informationspflichten tatsächlich erfüllen zu können. Würde ein solches vorvertragliches Schuldverhältnis nicht unter dem Begriff des Vertrages bzw. die der vorvertraglichen Maßnahme eingeordnet, müsste der Verantwortliche entweder das Risiko eingehen, dass eine solche Erfüllung gesetzlicher Informationspflichten, die primär in seinem eigenen Interesse erfolgt, einer Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f genügt oder die Einwilligung des Betroffenen einholen. Beides würde dem Interesse der Parteien des Vertrags zuwiderlaufen, einen möglichst unkomplizierten und transparenten Vertragsschluss herbeizuführen.[84] Ebenso spricht in systematischer Hinsicht für eine weite Auslegung des Vertragsbegriffs, dass der europäische Gesetzgeber in der Rom I-VO vorvertragliche Schuldverhältnisse in Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen hat. Eine solche Ausnahme fehlt in der DS-GVO; im Gegenteil sind vorvertragliche Maßnahmen vom Wortlaut ausdrücklich erfasst.
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Ferner dürften unter den Begriff des Vertrages auch solche Verträge fallen, die nicht zwischen zwei natürlichen Personen abgeschlossen werden, sondern zwischen Unternehmen oder Verbänden, die die Betroffenen selbst vertreten bzw. eine Regelung zu Gunsten des oder der Betroffenen abschließen sowie Auslobungen und ähnliche einseitige Rechtsgeschäfte,[85] außerdem auch die Geschäftsführung ohne Auftrag,[86] Verträge zu Gunsten Dritter u.a. (s.u. Rn. 56 sowie 65).
c) Betroffener als Vertragspartei
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Eine weitere Schwierigkeit besteht in der offenen Formulierung von Art 6. Abs. 1 lit. b im Hinblick auf die vertragliche Stellung der betroffenen Person als „Partei“.
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Art. 6 Abs. 1 lit. b bezieht sich ausdrücklich auf die betroffene Person als Vertragspartei, worunter zunächst die Parteien des Vertrages fallen, die direkt eine Rechtsbeziehung eingehen, also etwa Käufer und Verkäufer im Rahmen eines Kaufvertrages.
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Allerdings dürften unter den Parteienbegriff auch solche Personen fallen, die nicht direkt die zuvor genannte Rechtsbeziehung eingehen, sondern nur Begünstigte sind.[87] Im deutschen Zivilrecht würde eine solche Partei etwa der Dritte bei einem Vertrag zu Gunsten Dritter, oder der Arbeitnehmer eines Tarifvertrages bzw. einer Betriebsvereinbarung sein, soweit diese etwa im Rahmen eines Sozialplans Bezug auf einzelne Arbeitnehmer nimmt und hierzu eine Datenverarbeitung dieser Betroffenen stattfindet.[88] Eine solche Einordnung verhindert eine mögliche Diskrepanz zwischen datenschutzrechtlicher und vertragsrechtlicher Wertung. Würde die Datenverarbeitung von begünstigten oder beteiligten Personen nicht auf Art. 6 Abs. 1 lit. b gestützt werden können, wäre in vielen Fällen auf Art. 6 Abs. 1 lit. f als Rechtsgrundlage zurückzugreifen.[89] Macht ein Betroffener von seinem Widerspruchsrecht im Rahmen von Art. 21 Gebrauch, wird mit erfolgreichem Widerspruch die Vertragserfüllung für den Verantwortlichen tatsächlich unmöglich. Ob dies aber zugleich einen zivilrechtlichen Anspruch auf Rücktritt oder Kündigung des Vertrages mit dem Vertragspartner und damit die Befreiung von einer möglichen vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Dritten auslöst, läge im Risiko des Verantwortlichen. Eine Verknüpfung von Datenverarbeitung und Vertrag über die Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. b ist in diesen Fällen interessengerecht.
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Darüber hinaus ist Partei auch, wer zum Zwecke der Vertragserfüllung zur Duldung oder einem Unterlassen verpflichtet ist, sofern nicht Art. 6 Abs. 1 lit. c einschlägig ist.
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Demzufolge ist Partei jeder Beteiligte des Vertragsverhältnisses, der ein Interesse oder eine Pflicht zur Duldung der jeweiligen zivilrechtlichen Handlung hat, die die Datenübermittlung bzw. Datenverarbeitung bedingt.
2. Vorvertragliche Maßnahmen auf Anfrage des Betroffenen
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Vorvertragliche Maßnahmen sind an die Voraussetzung gebunden, dass sie auf Anfrage des Betroffenen erfolgten.[90] Auch im Hinblick auf den Begriff „vorvertragliche Maßnahme“ fehlt eine Definition in der DS-GVO, so dass wiederum eine autonome Auslegung erfolgen muss.
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In Ergänzung zu dem zuvor Gesagten (s.o. Rn. 47) bedeutet dies, dass der Betroffene in irgendeiner Art und Weise erkennbar für die andere Partei den Abschluss eines Vertrages und die hierfür erforderliche Übermittlung von Daten jedenfalls für möglich hält. Nicht erforderlich dürfte es jedoch sein, dass die Parteien zu diesem Zeitpunkt bereits die konkreten Parameter für den noch zu schließenden Vertrag kennen bzw. sich überhaupt einig sind, tatsächlich einen Vertrag zu schließen.[91] Ebenso wenig ist an dieser Stelle erforderlich, dass alle durch den Betroffenen übermittelten Daten tatsächlich für die spätere Vertragserfüllung notwendig sind. Ihre Verarbeitung, insbesondere ihre Speicherung zum Zeitpunkt der vorvertraglichen Maßnahmen ist jedenfalls so lange zulässig,