DS-GVO/BDSG. David Klein
Читать онлайн книгу.es naheliegend, in Fällen, in denen eine Einwilligung nicht eingeholt werden konnte, nach dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu fragen.[138] Die Frage dürfte aber hypothetischer Natur sein; bei Betroffenheit lebenswichtiger Interessen sind nur wenige Fälle denkbar, in denen eine mutmaßliche Einwilligung nicht anzunehmen ist. In Betracht kommen hier allenfalls Fälle erkennbarer Suizidabsichten. Hier mag es vertretbar sein, davon auszugehen, dass die lebenswichtigen Interessen stets die Risiken einer Gefährdung der Privatsphäre überwiegen.[139] Verweigert der Betroffene die Einwilligung ausdrücklich, und ist die Verweigerung nicht situativ unbeachtlich, wird dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Vorrang zu geben sein. Zugleich geht eine tatsächliche – wirksam erteilte – Einwilligung der mutmaßlichen Einwilligung vor.[140]
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Für ein Eingreifen zugunsten anderer natürlicher Personen kann es dagegen auf die Einwilligung des Betroffenen nicht ankommen. Hier muss der Schutz des Dritten das Datenschutzinteresse des Betroffenen nach entsprechender Abwägung regelmäßig überwiegen. Ein Korrektiv besteht in diesen Fällen insoweit, als – wie im Weiteren ausgeführt – ErwG 46 S. 3 das Eingreifen des lit. d zugunsten Dritter nur dann als gegeben erachtet, wenn kein speziellerer Ermächtigungstatbestand zur Verfügung steht. Die fehlende Einwilligung des Betroffenen muss auch dann unbeachtlich sein, wenn neben ihm zugleich Dritte geschützt werden sollen.[141]
VI. Subsidiärer Rechtfertigungstatbestand
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ErwG 46 bringt in S. 2 („Personenbezogene Daten sollten grundsätzlich nur dann aufgrund eines lebenswichtigen Interesses einer anderen natürlichen Person verarbeitet werden, wenn die Verarbeitung offensichtlich nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden kann.“) zum Ausdruck, dass Art. 6 Abs. 1 lit. d nur dann zum Tragen kommen soll, wenn kein anderer Rechtfertigungstatbestand eingreift,[142] wobei nach dem Wortlaut des ErwG 46 diese Subsidiarität nur bei Verarbeitungen zugunsten Dritter zum Tragen kommen soll. Dies können Ermächtigungen gestützt auf lit. c und e sein, aber auch bspw. der Ausnahmetatbestand nach Art. 49 Abs. 1 lit. f. Vorrangig dürfte insoweit auch Art. 9 Abs. 2 lit. c sein, in Fällen der Pandemiebekämpfung auch Art. 9 Abs. 2 lit. h und i.
(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
. . .
e) | die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde; |
I. Allgemeines: Zweck, Bedeutung, Systematik/Verhältnis zu anderen Vorschriften
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Art. 6 Abs. 1 lit. e erklärt die Datenverarbeitung für zulässig, wenn diese für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die entweder im öffentlichen Interesse liegt oder die in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Die Regelung entspricht im Wesentlichen der Regelungsbefugnis nach Art. 7 Abs. 1 lit. e DSRL.
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Es ist zu beachten, dass Art. 6 Abs. 1 lit. e keinen eigenständigen Zulässigkeitstatbestand für eine Datenverarbeitung darstellt.[143] Vielmehr steht lit. e im unmittelbaren inhaltlichen sowie systematischen Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 2 und 3. Dies wird bereits durch den Verweis in Abs. 2 und 3 auf lit. e deutlich. Hierbei ist insbesondere die Systematik von Abs. 2 und 3 zu beachten.[144] Art. 6 Abs. 1 lit. e i.V.m. Abs. 2 und 3 stellen lediglich eine Öffnungsklausel für mitgliedstaatliches Recht für den öffentlichen Bereich dar. Für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung ist stets eine mitgliedstaatliche Rechtsgrundlage erforderlich (z.B. § 3 BDSG).[145]
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Mit Art. 6 Abs. 1 lit. e sind zwei unterschiedliche Tatbestände gegeben, die zu trennen sind. Zum einen kann die Datenverarbeitung für die Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses erforderlich sein, zum anderen ist sie gerechtfertigt, wenn sie in Ausübung übertragener hoheitlicher Gewalt erfolgt. In beiden Fällen folgt die DS-GVO einem funktionalen Ansatz, indem sie nicht an die Stelle, die Daten verarbeitet, anknüpft, sondern an eine zu erfüllende Aufgabe.[146]
II. Wahrnehmung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse
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Nach lit. e Var. 1 ist die Datenvereinbarung rechtmäßig, wenn sie erforderlich ist, um eine Aufgabe im öffentlichen Interesse wahrzunehmen.
1. Aufgabenträger
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Art. 6 Abs. 1 lit. e spricht im Einklang mit der Vorgehensweise der DS-GVO im Übrigen lediglich vom Verantwortlichen, ohne zu definieren, ob dieser öffentliche oder nichtöffentliche Stelle ist. Ausweislich des ErwG 45 a.E. ist davon auszugehen, dass lit. e sowohl für öffentliche Stellen wie für „eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts“ gelten kann, sofern die Datenverarbeitung durch öffentliche Interessen gerechtfertigt ist und sofern dem Privaten die eigenverantwortliche Datenverarbeitung zu diesem Zweck obliegt.[147] Ungeklärt ist indes, ob sich Beamte die sich in Verbänden organisieren, um die rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und beruflichen Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, so etwa die Polizeigewerkschaft, für die in diesem Zuge erfolgende Datenverarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 lit. e oder auf lit. f berufen können. Die zivilrechtliche Organisation der Gewerkschaft spricht für lit. f, bei dessen Auslegung die Bindungen des Beamtenverhältnisses zu berücksichtigen sind.
2. Begriff der Aufgabe im öffentlichen Interesse
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Keine Aussage trifft die DS-GVO zur Definition des öffentlichen Interesses. Lediglich beispielhaft benannt werden in ErwG 45 gesundheitliche Zwecke, „wie die öffentliche Gesundheit oder die soziale Sicherheit oder die Verwaltung von Leistungen der Gesundheitsfürsorge“; deswegen lässt sich die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte