Das Trauma des "Königsmordes". Moshe Zuckermann

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Das Trauma des


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Ambivalenz, die mit diesem Vorgang einhergeht. »Wenn Paris kein Königtum mehr haben will, will es darum die Republik?« fragt Aulard, »[…] Haß auf das Königtum, Zaudern, sich für die Republik zu erklären – diese beiden widerspruchsvollen, aber tatsächlichen Empfindungen leben beieinander im Geiste des Pariser Volkes […]«.69 Der Auflehnungsakt gegenüber den Mächten der Vergangenheit wird also von einer Unentschlossenheit, die Regierungsform auszurufen, welche die Souveränität und die neuerlich gewonnene Freiheit repräsentieren soll, begleitet. Im Grunde wird »die Republik […] nicht ausgerufen; sie entsteht erst am nächsten Tag, fast verstohlen, durch die Entscheidung, daß fortan alle amtlichen Aktenstücke ›aus dem Jahr I der Republik.‹ zu datieren sind«.70 Die erste Aufnahme des neuen Zustandes durch die Bevölkerung ist dementsprechend »ziemlich kühl«; die meisten Zeitungen feiern »eher die Abschaffung des Königtums als die Aufrichtung der Republik.« Sogar im Jakobinerklub hütet man sich, das Wort ausdrücklich zu erwähnen. »Erst am 24. September beschlossen sie, ihr Protokoll vom Jahre I der Republik zu datieren.«71 Die Revolutionäre wußten sehr wohl, daß die Anhänglichkeit an den König noch überall in Frankreich recht weit verbreitet war. Auch ohne Robespierres Monarchismus im Jahre 1789 hervorzuheben, kann man behaupten, daß sowohl er als auch andere radikale Führer der Revolution sich dessen bewußt waren, daß »der Monarch von einer riesigen, als ›Volk‹ bekannten Menge – den Arbeitern und den Bauern – geliebt wurde, und dies nicht nur religiöser Sentimente halber oder wegen des der geheiligten Person des Königs beigemessenen, legendären Prestiges (obschon diese Empfindungen nicht außer acht gelassen werden sollten)«, sondern weil er als Beschützer der Bauern vor der Tyrannei des örtlichen Adels gilt, und weil »die große Macht der Monarchie als politische Institution darin liegt, daß sie die Kontinuität gewährleistet.«72 Es waren Vermutungen solcherart, die Befürchtungen und Zweifel im Herzen eines Mannes wie Marat haben aufkommen lassen: »Er war der Meinung, die Republik sei schwach; die Franzosen seien keine guten Republikaner und nicht für die Freiheit geboren. Die Worte République française riefen bei ihnen offensichtlich keinerlei Gefühlsaufwallungen hervor. […] Deshalb weigerte er sich, an die Republik zu glauben, bis Ludwigs Haupt von seinen Schultern getrennt wurde.«73

      Angesichts dieser Gegebenheiten geht man wohl nicht fehl, wenn man der Hinrichtung des Königs, dem konkreten »Vatermord«, die Funktion eines Kriteriums für die Bereitschaft und Fähigkeit der französischen Bevölkerung, den begonnenen politischen Emanzipationsprozeß durchzustehen, beimißt. Der Prozeß des Königs wird somit zu ihrer letzten Prüfung vor der endgültigen Entscheidung über das Schicksal der Revolution. Je näher aber der unumgängliche Entscheidungsmoment heranrückt, desto stärker bricht die Ambivalenz bei den Revolutionären durch, wie sowohl den gegensätzlichen Positionen der Girondisten und der Montagnards als auch der Weise, wie jede der Seiten seine Position der Öffentlichkeit präsentiert, zu entnehmen ist. Robiquets Bemerkung, daß weder die Sitzungen des Konvents noch die langwährende Abstimmung über die Verurteilung des Königs von einer sonderlich »schweren und schmerzerfüllten« Stimmung gekennzeichnet gewesen seien, erfährt eine unserer Darlegung gemäße Deutung, wenn man der Darstellung Gascars folgt:

      »So haben die Girondisten durch allerlei Aktivitäten versucht, das Erscheinen des Königs vor der in einen Gerichtshof verwandelten Versammlung hinauszuzögern. Sie hatten zwar selbst die Maßnahme verlangt, fürchten aber nun ihren Ausgang und wagen nicht die Nachsicht, die sie mit dem gestürzten Monarchen haben, konsequent zu vertreten. Die Montagnards dagegen sind zwar entschlossen, ihn zum Tode verurteilen zu lassen, hüten sich jedoch, die Strafe auch offen zu verlangen; sie wissen nur zu gut um den unklaren Respekt, den ein Großteil der Bevölkerung noch immer vor der Person des Königs empfindet. Wegen dieser zwar gegensätzlichen, aber auf beiden Seiten nicht eindeutig zum Ausdruck gebrachten Haltung vollziehen sich der Prozeß Ludwigs XVI. und wenig später die namentliche Abstimmung der Abgeordneten ohne laute, lärmende Debatten in gleichsam schemenhaften Halbdunkel.«74

      Wir meinen, daß die sich in der Äußerungssweise der streitenden Positionen widerspiegelnde Ambiguität mehr als nur politisches Kalkül zum Inhalt hat. Die Tatsache, daß viele der Versammlungsmitglieder ihre Meinung im Laufe der Sitzungen geändert haben, die girondistische Forderung, eine Volksbefragung bezüglich der Urteilsfrage zu veranstalten und die Weigerung der Jakobiner, dieser Forderung nachzukommen, sowie die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Girondisten selbst und die knappen Ergebnisse der Abstimmung – all diese deuten nicht nur darauf hin, daß »die große Mehrheit der Franzosen noch immer Royalisten« waren, sondern auch, daß ein nicht unbedeutender Teil der Volksvertreter selbst vor dem »Odium des Königsmordes« zurückschreckte.75 Soboul hat demnach zwar recht mit seiner Behauptung, daß wenn man den Tag des 10. August nicht verurteilen wollte, man tatsächlich gezwungen gewesen sei, den König für schuldig zu erklären, aber man sollte die Schwierigkeit der Verwirklichung einer solchen zweckrationalen Unumgänglichkeit im Spiegel der Aussagen vieler der Versammlungsmitglieder bewerten, die bezeugten, »wie sehr die Tatsache sie bewegte und erschütterte, daß ein ehemaliger König vor der Vertretung seines Volkes als Angeklagter erschien.«76

      Eine solche Verknüpfung von erklärten politischen Zielsetzungen und (der Ambivalenz Ausdruck verleihenden) emotionalen Äußerungen lassen sich auch deutlich an den Reden der Delegierten im Laufe des Prozesses des Königs ablesen. »Bürger,« ruft Saint-Just am 13. November, »wenn das römische Volk nach sechs Jahrhunderten der Tugend und des Hasses gegen die Könige, wenn Großbritannien nach Cromwells Tod das Königtum trotz seiner Energie wieder aufleben sahen, was müssen bei uns nicht die guten Bürger, die Freunde der Freiheit fürchten, wenn sie das Beil in unsern Händen zittern sehen, wenn sie ein Volk erblicken, welches am ersten Tag seiner Freiheit vor der Erinnerung an seine Ketten Scheu hat! Welche Republik wollen Sie mitten unter unsern innern Kämpfen und unserer gemeinsamen Schwäche errichten?«77

      Die rhetorische Frage, die den Delegierten das Irrationale ihrer Reaktion auf den möglichen Tod des Königs vor Augen führen soll, deckt gerade jene Sphäre auf, die sich eines rein rationalen Zuganges entzieht. Die Hand zittert, weil sie das Beil zur Vollbringung einer Tat führen soll, der gegenüber das Herz zwiespältig empfindet; sie kann diese Tat nicht wie selbstverständlich ausführen, genauso wie der Schwenker des Beils seine Freiheit nicht auf Befehl zu empfinden vermag, eben weil er sich mit der psychischen Realität von Erinnerungen, die ihn paralysieren, auseinanderzusetzen hat. Es handelt sich demnach um den Versuch, die Ambivalenz zu überwinden, wenn Saint-Just feststellt: »Dieselben Menschen, welche Ludwig richten sollen, haben eine Republik zu gründen; diejenigen, welche der gerechten Bestrafung eines Königs irgendwelche Wichtigkeit beilegen, werden niemals eine Republik gründen.«78 Ähnlich stellt auch Jacques Roux das Problem als eine Dichotomie ohne möglichen Zwischenweg dar: »Entweder fällt Louis’ Kopf oder wir werden uns unter den Trümmern der Republik begraben.«79 Es erhebt sich die Frage, warum es die Revolutionäre so sehen. Welchen Schaden kann schon der gestürzte und eingesperrte Ludwig noch verursachen? Die Antwort hierauf dürfte klar sein: Nicht in seiner Fähigkeit zu handeln und zu schaden liegt Ludwigs Macht, sondern in der Art, wie die durch ihn verkörperte Institution verinnerlicht worden ist; die ihm durch die psychische Realität verliehene Macht ist ungleich größer als seine objektive. Dies fühlt offensichtlich auch Robespierre, als er im November 1792 behauptet: »Bürger, wenn es euch schwerer fällt, einen König zu bestrafen als einen schuldigen Bürger zu belangen; wenn eure Strenge in umgekehrtem Verhältnis zur Größe des Verbrechens und zu der Schwäche des Verbrechers steht, dann seid ihr noch sehr weit von der Freiheit entfernt; dann besitzt ihr noch immer die Seele und die Vorstellungen von Sklaven.«80

      Die Seele von Sklaven ist die Seele von Menschen, die in einen repressiven Zustand hineingeboren wurden, die die Freiheit nicht als eine Grunderfahrung verinnerlichen gelernt und daher eine psychische Verfassung der Abhängigkeit entwickelt haben. Sklaven sind fast so machtlos wie Kinder; Robespierres rügende Worte spiegeln also ein objektives Paradox wider: Er wendet sich an die Versammlungsmitglieder als rationale Erwachsene, ahnt jedoch auch, daß sie in der Zwickmühle der Ambivalenz eingezwengt sind. Er muß daher seine Zuhörer in einen quasi prämoralischen Zustand versetzen: »Wenn eine Nation gezwungen gewesen ist, auf das Recht des Aufstandes zurückzugreifen, tritt sie dem Tyrannen gegenüber in den Naturzustand


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