Das Trauma des "Königsmordes". Moshe Zuckermann

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Das Trauma des


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dann, wenn deren Macht schwindet und sie zu stürzen droht.

      Wenigstens bei der ersten Kategorie – so Fromm – handelt es sich vermeintlich um Menschen mit einem stark ausgeprägten Unabhängigkeitsbedürfnis, die mutig gegen jene Machthaber und Autoritäten ankämpfen, welche der Erfüllung dieses Bedürfnisses im Wege zu sein scheinen. Dieser Schein trügt jedoch, denn der Kampf des autoritären Charakters gegen die Autorität ist seinem Wesen nach im »Trotz« verankert49; es handelt sich um den Versuch, das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden, ohne daß dabei das (bewußte oder unbewußte) Bedürfnis, sich der Autorität zu unterwerfen, tatsächlich bewältigt würde: »Ein autoritärer Mensch ist niemals ein ›Revolutionär‹, lieber würde ich ihn einen ›Rebellen‹ nennen. Viele Menschen und viele politische Bewegungen sind dem oberflächlichen Beobachter ein Rätsel, weil sie anscheinend unerklärlicherweise vom ›Radikalismus‹ zu einem äußerst autoritären Gehabe hinüberwechseln. Psychologisch handelt es sich bei solchen Menschen um typische ›Rebellen‹«. Fromm geht gar in seiner Behauptung einen Schritt weiter:

      »Die Einstellung des autoritären Charakters zum Leben, seine gesamte Weltanschauung wird von seinen emotionalen Strebungen bestimmt. Der autoritäre Charakter hat eine Vorliebe für Lebensbedingungen, welche die menschliche Freiheit einschränken, er liebt es, sich dem Schicksal zu unterwerfen. Was er unter ›Schicksal‹ versteht, hängt von seiner gesellschaftlichen Stellung ab. […] Man kann Schicksal philosophisch als ›Naturgesetz‹ oder als ›Los des Menschen‹, religiös als ›Willen des Herrn‹ oder moralisch als ›Pflicht‹ rationalisieren – für den autoritären Charakter ist es stets eine höhere Macht außerhalb des einzelnen Menschen, der sich jeder nur unterwerfen kann. Der autoritäre Charakter verehrt die Vergangenheit. Was einmal war, wird in alle Ewigkeit so bleiben. Sich etwas noch nie Dagewesenes zu wünschen oder darauf hinzuarbeiten, ist Verbrechen oder Wahnsinn. […] Der Mut des autoritären Charakters ist im wesentlichen ein Mut, das zu ertragen, was das Schicksal oder ein persönlicher Repräsentant oder ›Führer‹ für ihn bestimmt hat. […] Nicht das Schicksal zu ändern, sondern sich ihm zu unterwerfen, macht den Heroismus des autoritären Charakters aus.«50

      Es sei wiederum betont: Völlige Unterwerfung, vorübergehende Rebellion gegen die Autorität, ohne sie tatsächlich gänzlich stürzen zu wollen, oder Auflehnung gegen eine Autorität aus Sehnsucht nach einer anderen, gar stärkeren, sind graduell unterschiedliche Erscheinungsformen desselben autoritären Patterns: die Abhängigkeit von der Autorität ist in allen Formen als konstante Determinante erkennbar; in dieser Abhängigkeit ist die emotionale Matrix des autoritären Charakters verkörpert, durch sie wird seinVerhalten und seine Handlungsweise, auch wenn dies zunächst nicht klar ersichtlich zu sein scheint, bestimmt. Mehr noch: Diese Abhängigkeit »neigt« dazu, sich selbst zu erhalten, denn gerade weil sie die »psychologische Sicherheit« des Bekannten und des Gewissen sowie die Abwehr gegenüber der Bedrohung durch das Unbekannte und das ungewisse Neue verkörpert, bedarf es für gewöhnlich mächtiger Anstrengungen, um sich von ihr loszulösen. Die Angst des autoritären Charakters vor der Loslösung von der Autorität ist daher mit seiner Angst vor der Verantwortung, welche es bei der Gestaltung der neuen Lage ohne Schirmherrschaft der Autorität zu übernehmen gilt, aufs engste verbunden. Die Verehrung der Vergangenheit, von der Fromm spricht, ist in diesem Sinne nichts anderes als die Angst vor der Zukunft.

      Auf der Grundlage dieses Begriffssystems können wir nun zur Darlegung der Hauptthese dieser Untersuchung übergehen. Wir behaupten, daß die historiographische Rezeption der Französischen Revolution im vormärzlichen Deutschland von dem in breiten Schichten des deutschen Bürgertums und der ihm angehörenden Intelligenz vorwaltenden autoritären Pattern entscheidend geprägt, wenn nicht gar gänzlich bestimmt wurde. Da man den Ablauf der Revolution (zumal in ihren Anfangsphasen) sowohl politisch als auch kollektiv-psychisch als eine Auflehnung gegen die Autorität begreifen kann, meinen wir in diesem Aspekt einen besonders abschreckenden Faktor einer Rezeption der Revolution als Modell einer möglichen Nachahmung in Deutschland erkennen zu dürfen. Unter diesem Gesichtspunkt erhält denn auch die Hinrichtung des französischen Königs eine ganz besondere Bedeutung; sie symbolisiert die gewaltsame Auflehnung gegen die Autorität im allerarchaischsten Sinne: der »Königsmord«, wie ihn viele jener Epoche zu nennen pflegen, wird mit der psychischen Folie des »Urvatermords«51 rezipiert, wenn man will: Der Landesvater wird von den Landeskindern ermordet.

      Das historische Indiz für eine solche Interpretation läßt sich am deutlichsten an der Wende in der Reaktion der meisten deutschen Gebildeten auf die Revolution erkennen. Diese Wende setzt zwar vor der Hinrichtung an, jedoch auch da immer im Zusammenhang mit dem, was sich als Auflehnung gegen die Autorität auslegen läßt. In ihren Anfängen wird die Revolution mit großem Jubel empfangen, der in den beiden ersten Jahren teilweise verklingt, mit dem Schock, den die Hinrichtung des Königs auslöst, aber vollends in Abscheu und allgemeine Verwerfung umschlägt. Dieser Prozeß reflektiert an sich das Element der Ambivalenz in der Beziehung zum Gesamtereignis. Von Anfang an ist die Französische Revolution im Grunde nichts anderes als eine Auflehnung gegen die Autorität52, und eben diese ersten Phasen werden von den deutschen Gebildeten begrüßt, weil sich in ihnen der Ausdruck einer eigenen Aggression gegen die Autorität ermöglicht; es handelt sich hierbei freilich um den von Fromm als »Rebellion« bezeichneten Reaktionsmodus: Die deutschen Gebildeten können eine Rebellion gegen die Autorität akzeptieren, nicht aber eine wirkliche Revolution, welche die Autorität gänzlich stürzen würde. Als die französischen Revolutionäre den entscheidenden Schritt machen, indem sie die Monarchie abschaffen und den König physisch liquidieren, setzt sich der autoritäre Charakter der deutschen »Beobachter« in eine psychisch motivierte ideologische Reaktion um, welche sie alsdann veranlaßt, dem gesamten Geschehen den Rücken zu kehren.

      Wir werden die individuell-psychischen Quellen der Ambivalenz weiter unten noch zu erörtern haben. Es scheint indes angebracht, schon an dieser Stelle hervorzuheben, daß sich das in diesem konkreten historischen Zusammenhang beschriebene Pattern bei allen politischen Schlüsselereignissen im Verlauf der deutschen Geschichte – von der Französischen Revolution bis hin zum Revolutionsversuch von 1848, wo es am entscheidenden Moment moderner deutscher Geschichtsentwicklung am krassesten zum Ausdruck kommt und den erfolgreichen Abschluß der Revolution letztlich verhindert – reproduzierend wiederholt.

      Damit soll nicht behauptet werden, der autoritäre Charakter sei ein Produkt der Französischen Revolution gewesen. Seine kollektive Genese hing vielmehr mit der historischen Sonderheit der strukturellen Entwicklung Deutschlands in den der Revolution vorangegangenen Jahrhunderten, mit den der territorialen Zersplitterung einwohnenden Erziehungsprozessen und mit der aus ihnen erwachsenen partikularistischen Mentalität und »politischen Kultur« zusammen.53 Und dennoch: Die Bedeutung der Französischen Revolution als katalysierender Faktor für die Verfestigung und historische Objektivierung des latenten Patterns in der Ára nach dem großen französischen Ereignis kann gar nicht übertrieben werden; denn die Revolution, als Scheideweg moderner Geschichte, erstellt einen neuen und bis dahin unbekannten Maßstab für die politische Ideologiepraxis. Sie bettet die Auflehnung gegen die konventionelle Autorität in eine umfassende Konzeption der Emanzipation ein: Sie affirmiert nicht nur die bewußtseinsmäßige Möglichkeit, daß der Sturz der Autorität weder eine Sünde noch die Übertretung eines sakralen Tabus darstelle, sondern erhebt ihn gar zur notwendigen Bedingung für die Befreiung des Menschen von seinen herkömmlichen sozialen und politischen Fesseln. Das der Revolution von der Seite »zuschauende« Kollektivsubjekt (wie etwa die deutsche Gebildetenschicht) kann diese Option nicht mehr ignorieren, wenn es daran geht, seine politischen und sozialen Zielsetzungen zu definieren. Freilich, gerade das Revolutionäre am Beschreiten des neuen Weges – d.h. gerade das Verlassen bekannter Strukturen zugunsten der bedrohenden Kontingenz einer ungewissen Zukunft (und trotz der in ihr utopisch umrissenen emanzipatorischen Verheißung) – kann all jene Ängste aufkommen lassen, welche die revolutionäre Wegbeschreitung verhindern und die Klammerung an die bestehenden Verhältnisse sichert, deren wichtigstes und bekanntestes Kontinuitätssymbol eben von der politischen Autorität verkörpert wird.

      Wir betonen die Dimension der Entscheidung hinsichtlich der Rezeption der Revolution und der in ihr enthaltenen Optionen. Wir meinen hierbei nicht


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