Bildung und Glück. Micha Brumlik

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Bildung und Glück - Micha Brumlik


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der Worte, und Gemütsbewegung, – Verstand, statt des Gefühls, – und Fröhlichkeit und Frömmigkeit bei guter Laune, statt der grämischen, schüchternen und finstern Andacht eintreten zu lassen.“72

      Die auf Kant folgende Moralphilosophie traute dieser Sublimationspädagogik bzw. der in ihr enthaltenen Zivilisationstheorie nicht und war bemüht, die Triebfedern der Moral in genau jenen „Gefühlen“ zu finden, die nach Kants Begriff der Moral mit ihr nichts zu tun haben konnten. An dieser Stelle setzen dann eine Reihe quasi naturalistischer Versuche ein, die entweder – wie der Kantianer Schopenhauer – eine natürliche Anlage zum Mitleid, oder – wie die unterschiedlichen Utilitarismen – einen Hang zur Luststeigerung postulieren, von psychischen Instanzen, die plausibilisieren sollen, warum Menschen nicht nur moralisch handeln sollen, sondern auch können.

       Auf den ersten Blick erscheint uneinsichtig, warum ausgerechnet eine Theorie der Tugenden das mit Kants deontologischer Zweiweltenlehre gestellte Problem besser lösen können soll als teleologische Lehren wie Utilitarismus oder Mitleidsethik. In einem nämlich sind sich deontologische und teleologische Lehren einig: daß es bei einer Theorie der Moral um eine Theorie des Handelns aus allgemeingültigen, normativen Prinzipien geht, während doch eine Theorie der Tugenden sich vor allem für persönliche Haltungen und partikulare Lebensentwürfe zu interessieren scheint. Handlungen und ihre Kriterien hier, Haltungen und ihre Ziele dort – scheidet die Theorie der Tugend mit dieser Grundentscheidung nicht von Anfang an als eine Kandidatin zur Begründung einer Moral aus? Im Gegenteil: Eine Theorie der Tugenden kann zur Begründung einer Moral und Schließung jener Lücke, die Kant hinterlassen hat, deshalb etwas beitragen, weil sie vor einem von beinahe allen modernen Moraltheorien ängstlich gemiedenen Problem nicht zurückweichen muß, nämlich der Frage, warum Menschen überhaupt moralisch sein sollen. Diese Frage wird sowohl im Utilitarismus als auch in den meisten kantianischen Moralen – mit Ausnahme von John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit – entweder agnostisch beantwortet oder unter Sinnlosigkeitsverdacht gestellt.73 So weist etwa der radikale Utilitarismus diese Frage als sinnlos zurück bzw. glaubt, über Moral nur mit solchen Menschen debattieren zu können, die schon moralisch sein wollen, während die transzendentalpragmatische Diskursethik ein gleichsam naturalistisches Konzept sprachlich vermittelter Sittlichkeit aufbietet, das die philosophische Frage entschärft bzw. mögliche Immoralisten konsequent pathologisiert.74 Dieser Preis für die Lösung einer philosophischen Grundsatzfrage scheint mindestens dann zu hoch, wenn noch nicht alle philosophischen Lösungen ausgeschöpft sind. Zu diesen nicht ausgeschöpften Lösungsversuchen gehört eine Theorie der Tugend, die mit der scheinbar partikularen, existentiellen Frage beginnt, was für ein Mensch ich im Kreise meiner Mitmenschen sein, als wer ich aufgrund welcher Eigenschaften anerkannt und geachtet sein will. Diesen Ausgangspunkt hat Kant ausdrücklich abgelehnt. In einer kritischen Untersuchung zu den unauslotbaren empirischen Motivationen (scheinbar) moralischen Handelns kommt er zu dem Schluß, daß „man doch in keinem Beispiel mit Gewißheit dartun kann, daß der Wille hier ohne andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz, bestimmt werde, ob es gleich so scheint; denn es ist immer möglich, daß insgeheim Furcht vor Beschämung, vielleicht auch dunkle Besorgnis anderer Gefahren, Einfluß auf den Willen haben möge.“75

      Beschämung, Furcht oder die Erfahrung, mißachtet worden zu sein,76 ist zwar ein Ergebnis moralisch verpönter Verhaltensweisen, darf aber gleichwohl nicht zum Motiv des eigenen, moralischen Handelns werden. Sich an derartigen Gefühlen zu orientieren hieße, sein Handeln an anderen denn vernunftgemäßen Prinzipien auszurichten.

      Im Unterschied dazu nimmt die Theorie der Tugend als Preis für die Möglichkeit, die Frage, warum Menschen moralisch sein sollen, beantworten zu können, Abstriche an einem absoluten Autonomieprinzip sowie einer Lehre vom reinen Willen hin. Diese Abstriche dürften um so eher zu akzeptieren sein, als auch die kantianischen Theorien der Moral – namentlich die Transzendental- bzw. Universalpragmatik von Apel und Habermas,77 die sich in dieser Hinsicht einig sind – mit ihrer Wendung zur Intersubjektivität einander anerkennende und sich auch affektiv begegnende Individuen in den Mittelpunkt stellen. Eine auf Intersubjektivität beruhende Theorie der Moral muß darauf verzichten, lediglich das Verhältnis des einsamen Subjekts zu einem ihm wie auch immer zugänglichen Moralprinzip ins Zentrum zu stellen, und wird die im Lauf der Sozialisation gebildete Moralität als Ergebnis von Anerkennungsakten verstehen, die allemal affektiv getönt sind.78

      Entgegen dem ersten Eindruck, daß es einer Theorie der Tugend ausschließlich um Haltungen geht, ist weiterhin festzustellen, daß auch sie – gemeinsam mit Kantianismus, Utilitarismus und alltäglicher Moral – davon ausgeht, daß es bei der Moral tatsächlich ums Handeln geht. Haltungen sind Handlungsbereitschaften, Dispositionen, die sich aus moralischen Einsichten, moralischen Gefühlen und motivationaler Stärke zusammensetzen; Dispositionen, bei denen – sofern sie vorliegen – davon ausgegangen werden kann, daß Individuen im Falle entsprechender Herausforderungen auch so handeln werden. Tugenden setzen zwar einen guten Willen voraus, sind mit ihm aber nicht identisch. Tugendhafte Personen haben über einen guten Willen hinaus auch die Kraft, ihn unter gegebenen Umständen sinnvoll zur Geltung zu bringen; von ihnen weiß man, daß sie so handeln werden, wie sie es verkünden und wie es von ihnen erwartet wird. Sie stellen gleichsam personengewordene Garantien für richtiges Handeln dar.

      Deshalb betont eine Theorie der Tugenden stärker noch als Utilitarismus und Kantianismus nicht so sehr den Aspekt des richtigen Tuns, sondern des richtigen Tuns. Indem die Theorie der Tugenden mit dem Alltagsverstand darauf beharrt, daß der Kern aller Moral das Tun des Rechten sei, nimmt sie eine Frage auf, die die abendländische Philosophie spätestens seit Platons Staat beschäftigt hat und innerhalb einer Lehre von den Kriterien richtigen Handelns – dem Programm von Kantianismus und Utilitarismus – nicht lösbar war: Warum soll man überhaupt moralisch sein, genauer, warum nicht nur moralisch denken, sondern auch moralisch handeln? Was veranlaßt einen Menschen, sein Selbstverständnis so zu bilden, daß er sich nur dann zu achten vermag, wenn er gemäß der Kriterien von Wohlwollen, Mitleid oder Gerechtigkeit handelt?

      Utilitarismus und Kantianismus müssen bei der Beantwortung dieser Frage, der Frage nach der Motivation zur Moral sowie der Begründung von Moralkonzepten, mit spiegelbildlichen Schwächen kämpfen. Kantianische Entwürfe sind zwar in der Lage, universale Rechte und Pflichten, die allen Menschen gebühren, zu begründen, können dafür jedoch das Motivationsproblem nur unzureichend lösen. Den Utilitarismen, die durch ausdrückliche Berücksichtigung von Eigeninteressen bzw. ihre hedonistische Anthropologie das Motivationsproblem immerhin in ihre Begründung aufgenommen haben, gelingt es bekanntermaßen nicht, grundlegende Begriffe wie die des „Rechts“ nachzuvollziehen. Daß das „Recht“ letzten Endes dem Nutzen aufgeopfert werden könnte, ist ein Einwand, den alle Spielarten dieser Theorie, vom Handlungs- bis zum Regelutilitarismus, nicht widerlegen konnten. Vor allem aber, und das hat John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit nachgewiesen, verfehlen die Utilitarismen ihr eigenes, nutzenorientiertes Gerechtigkeitsideal, weil sie die dazu beanspruchte Instanz eines vorurteilsfrei abwägenden unparteiischen Beobachters, der die unterschiedlichen Eigeninteressen gewichtet, nicht konstruieren können. Rawls’ eigene, auf prudentialen Überlegungen zum angemessenen Eigeninteresse beruhende Konstruktion der Gerechtigkeit als Fairneß erweist sich dementsprechend als ein Kantianismus nicht der Form, sondern der Inhalte. Darin folgen ihm die Diskursethiken, die mit guten Gründen auf der Legitimität aller einzubringenden Interessen beharren.

      Beide, Utilitarismus und Kantianismus – hier durchaus im Bunde mit dem Alltagsverstand –, stehen darüber hinaus hilflos vor einem Problem, von dem heute noch nicht einmal klar ist, ob und in welchem Ausmaß es in einer Theorie der Moral überhaupt zu berücksichtigen ist: der Frage nach der Legitimität des Eigeninteresses in Handlungskonflikten. Für eine Theorie der Tugend spricht im Sinne einer umfassenden und realistischen Klärung moralischer Orientierungen, daß sie ein meist vergessenes, verdrängtes oder tabuiertes, dafür um so dramatischeres Problem aller Moral offen anspricht: das Verhältnis von Eigen-, Nächsten- und Fernstenliebe. So zeichnen sich Kantianismus und alltägliche Intuition dadurch aus, daß sie unter Moral wesentlich selbstlose Einstellungen verstehen, während die Utilitarismen in dieser Frage zwar freimütiger argumentieren, jedoch das Gewichtungsproblem nicht lösen können: Selbst wenn


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