Die LEERE und die FÜLLE. Eckhard Lange
Читать онлайн книгу.durch Kündigungen rigoros verkleinert worden waren. Ausländisches Kapital, Manager ohne Bezug zu dem, was sie verwalteten, routinierte Insolvenzverwalter waren seine Gegner, und manches Mal wünschte er sich die Zeiten zurück, wo echte Eigentümer patriarchalisch streng vielleicht, aber doch mit Gerechtigkeitssinn und Verantwortungsgefühl über ihre Angestellten herrschten. Da waren Verhandlungen noch ein fairer Kampf, Mann gegen Mann, wenn es um die Rechte der Mitarbeiter ging – ein Streit, getragen von gegenseitiger Achtung und meist endend mit einem versöhnlichen Handschlag.
Auch Gilbert Gamesch war zwar Eigentümer, persönlich haftender Gesellschafter dieses riesigen Konglomerats scheinselbständiger Märkte und Handelsgesellschaften, aber er war nicht mehr greifbar für Fred Anders, schickte nur noch seine zynischen Anwälte vor oder einen dieser arroganten Geschäftsführer, die sich als Menschenfreunde feiern ließen, wenn sie morgens vor versammelter Presse einen Tausend-Euro-Scheck an einen Kindergarten überreichten aus tiefer Verantwortung für die Zukunft des Landes, während sie nachmittags eine unliebsame, weil gewerkschaftlich organisierte Kassiererin unter irgendwelchen fadenscheinigen Gründen feuerten. Fred Anders war müde geworden in diesem ständigen, meist aussichtslosen Kampf, und er sehnte seinen letzten Arbeitstag herbei, der Ende des Jahres anstand. Aber er wollte nicht ohne Erfolg, einen letzten kleinen Triumph gegenüber diesem Gamesch abtreten. Und das war wieder einmal misslungen.
Gilbert Gamesch wusste nicht viel von diesem Fred Anders, war ihm noch nie persönlich begegnet. Ein Name nur, einer von vielen Spielsteinen auf dem Brett, wenn es um Arbeitnehmer ging, um Tarife, Betriebsräte, Gewerkschaften – alles hinderliche, überflüssige Dinge in seinen Augen, lästig für ein freies Unternehmertum, das nur dem Markt verpflichtet war – und natürlich dem Gewinn. Mit diesen Leuten zu verhandeln, das war unter seiner Würde. Derartige Kleinigkeiten erledigten seine Leute für ihn, dazu wurden sie schließlich bezahlt. Und sie waren geübt genug, um es im Regelfall ohne Rücksprache mit der Konzernspitze, mit Gilbert Gamesch persönlich zu tun.
Dennoch war er durchaus präsent in seinen Unternehmungen. Es war mehr als nur eine Marotte, dass er häufig in irgendeinem seiner Märkte irgendwo im Land auftauchte, unangemeldet, gleichsam inkognito wie ein gewöhnlicher Kunde, dass er durch die Gänge streifte, die Ordnung auf den Regalen inspizierte, die Mitarbeiterinnen beobachtete, ihre Arbeitsweise, ihren Umgang mit den Kunden, um dann gegebenenfalls anschließend den Marktleiter höchst direkt zwar mit leiser, aber deutlicher Sprache zurechtzuweisen. Doch seine Streifzüge hatten noch einen anderen Zweck. Seine Augen suchten die jungen, die hübschen vor allem unter den weiblichen Auszubildenden, und welche Gefallen gefunden hatte in seinen durchaus wählerischen Augen, die sprach er an, fragte nach irgendwelchen Waren, verwickelte sie in ein fachliches Gespräch. Aber er prüfte weder ihr Sachwissen noch ihre Zuvorkommenheit gegenüber dem Kunden, sein prüfender Blick ruhte auf dem, was der Dienstkittel verbarg, und er hatte genug Fantasie, aber auch genug Erfahrung, um sich dieses Darunter vorzustellen. So gab er sich am Ende leutselig als Chef zu erkennen, bestätigt vom herbeizitierten Marktleiter, und wenn er den Eindruck hatte wirken lassen – schließlich war er nicht nur Herr aller Märkte, sondern auch eine stattliche Erscheinung, sportlich, sonnengebräunt, männlich eben - lud er eines dieser jungen Dinger auch gern zum Essen ein, ganz ohne Hintergedanken natürlich, allein um seine Solidarität mit all seinen Mitarbeitern zu demonstrieren und Leistungen ganz persönlich zu würdigen. Und dennoch: Das Gerücht, nie wirklich bestätigt, aber dennoch hartnäckig hinter vorgehaltener Hand verbreitet, besagte schlicht, dass es selten beim Essen allein geblieben sei.
Doch so sehr Fred Anders auch nachforschte, niemals gelang es ihm, einen Beweis dafür zu erbringen. Sicher, die Mädchen fürchteten um ihren Arbeitsplatz. Doch meist knüpften sie allerlei wahnwitzige Hoffnungen an ein solches nächtliches Erlebnis in irgendeinem Hotelzimmer: Hoffnung auf eine Wiederholung, auf den Eindruck, den sie glaubten hinterlassen zu haben und der sie vielleicht – vielleicht! – zu größerer Gunsterweisung berechtigen könnte, beruflich, vor allem jedoch privat. Daß sich solche Hoffnungen nie erfüllten, sie schwiegen darüber, aus Angst, aus Enttäuschung, aus Scham. Und so gab es keinerlei Warnung für die nächsten Opfer. Wobei noch zu fragen wäre, ob sie je etwas genutzt hätte.
„Jus primae noctis,“ nannte der Gewerkschafter bitter, was er nur ahnen konnte, und was er nie öffentlich machte, weil er keine Verleumdungsklage riskieren wollte. Aber es passte zu jener anderen Wendung, die Gilbert Gamesch in seinen Augen kennzeichnete und die Fred Anders schon eher auch in den Mund nahm: „Handeln nach Gutsherrenart.“ Und hatten nicht die adligen Patrone auf ihren Herrensitzen jahrhundertelang sich dieses Recht gegenüber ihren Leibeigenen genommen, ehe sie einer Eheschließung zuzustimmen bereit waren?
KAPITEL 2
Gilbert Gamesch störten solche Gerüchte nicht im geringsten, solange sie nicht zum öffentlich erhobenen Vorwurf wurden und er gezwungen wäre, dagegen rechtlich vorzugehen. Im Gegenteil: Sie schmeichelten seinem Selbstbewusstsein, ob sie nun wahr waren oder nicht – das Bild des Frauenhelden, des unwiderstehlichen Eroberers gefiel ihm durchaus. Daß er sich mit attraktiven Frauen umgab, allerdings in anderen Größenordnungen, das war schließlich nahezu jede Woche irgendeinem jener Blättchen zu entnehmen, die man gerne der sogenannten Regenbogenpresse zuordnet. Hier gab es Bilder zuhauf, die den Konzernchef Hand in Hand mit einem Filmsternchen, einem Partyluder oder einer Schlagersängerin zeigten, und die Vermutungen über die Intensität dieser Beziehungen erfüllten die geheimen Sehnsüchte so mancher Leserin. Hätte er es da nötig, die Dummheit minderjähriger Ladenmädchen auszunutzen wie ein vergreister Lüstling? Na also!
Außerdem konnte er ein ganz anderes Ambiente bieten als irgendein Hotelzimmer. In Genua lag sein Schiffchen, wie er die Yacht mit gekonntem Understatement gerne bezeichnete; in den Schweizer Alpen stand ihm ein großzügiges Chalet zur Verfügung; und neben je einer Stadtvilla in Frankfurt und Berlin in bester Lage besaß er seit kurzem auch ein spätbarockes Herrenhaus einschließlich aller Nebengebäude, die zu einem Gutsbetrieb früher dazugehörten, irgendwo im Holsteinischen. Insofern nahm er den Vorwurf, nach Gutsherrenart zu verfahren, mit einem ironischen Lächeln zur Kenntnis, ohne zu widersprechen. All dieser Besitz entsprang nicht einem Bedürfnis, sich die eigene Größe immer neu zu bestätigen, sie war seinem Renommee geschuldet, war Teil der Werbung für seine Unternehmungen. Er selbst hatte in all diesen Häusern meist nur zwei oder drei Räume, die er tatsächlich bewohnte, und die waren in erster Linie zweckmäßig, seinen Bedürfnissen nach Entspannung, seiner Schwäche für übersichtliche Ordnung entsprechend eingerichtet – ohne all die meist recht unbequemen Designermöbel, aber auch ohne wertvolle, aber unpraktische Antiquitäten. Nur dort, wo die Pressefotografen zugelassen waren, wo öffentlichkeitswirksame Empfänge stattfanden, hatte er bekannte Innenarchitekten wirken lassen.
Auch auf Mode ließ er sich nicht festlegen. Er kleidete sich, wie es ihm gerade in den Sinn kam, höchstens angepasst an bestimmte Anlässe – seriös oder leger, auffallend oder eher nachlässig. Selbstverständlich besaß er eine Sammlung maßgefertigter Anzüge, die teure Eleganz verrieten. Gerne gab er sich auch maritim mit heller Leinenhose und einem marineblauen Blazer, und oft genug lief er in verwaschenen blauen oder sandfarbenen Jeans aus den Billigangeboten seiner eigenen Märkte herum, dazu je nach Wetterlage ein Sweatshirt oder ein Kragenpullover gleicher Herkunft. Dann verriet nur die stets fein aufeinander abgestimmte Farbigkeit aller sichtbaren Teile den Geschmack ihres Trägers.
Was auch immer er anzog, er war und blieb eine alles in allem imponierende Erscheinung, jederzeit hätte er ein Casting als Hollywooddarsteller für sich entscheiden können. Hochgewachsen und muskulös, verriet sein Körper, dass er ihn regelmäßig trainierte. Das dunkelblonde Haar trug er kurzgeschnitten, aber es war dicht und seit seinen Kindertagen lockig. Ein energisch-eckiges Kinn und ausgeprägte Wangenknochen kontrastierten auffallend mit einem sinnlichen, weich geschwungenen Mund und dunklen Augen unter gewölbten, schmal gehaltenen Brauen, dem eher weiblichen Teil des Gesichts. Die schmalen Hände verrieten kaum, dass er bei Segelregatten kräftig zugreifen konnte und in seiner Jugendzeit manchen aggressiven Mitschüler mit hartem Schlag zum Schweigen und zum Rückzug gebracht hatte.
Seine Jugend – sie hatte ihm manches abverlangt als Sproß der Familie, die schon damals als reich galt, was keineswegs Ansehen und Freundschaften im Kreis