Die LEERE und die FÜLLE. Eckhard Lange

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Die LEERE und die FÜLLE - Eckhard Lange


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hinauf in ein Zimmer, wo ein breites französisches Bett wartete. Er schaute mich nur an, und da streifte ich mir das Kleid vom Körper, und er zog Hemd und Hose aus, dann fuhren seine Hände ganz sanft über mein Haar, über das Gesicht, die Schultern, und als sie meine Brüste berührten, löste ich auch den BH und bot sie ihm dar. Dabei sprachen wir kein einziges Wort, nur unsere Körper drängten sich aneinander, und irgendwann streiften wir beide ab, was sie noch trennte, und er trug mich durch den Raum und legte mich auf das Bett wie in einer Hochzeitsnacht, und dann beugte er sich über mich und küsste alles, was ihm küssenswert schien, und ich ließ ihn gewähren, ließ ihn mit allem gewähren, bis hin zur letzten, tiefsten Vereinigung. Und dann, als auch alles Nachspiel sein Ende genommen hatte, schlief ich ein, den Kopf auf seine Brust gebettet, und erwachte erst, als die Morgensonne das Bett erreicht hatte und mir durch die geschlossenen Augenlider drang.

      Es war offenbar niemand außer uns im Haus, aber er hatte unten in der Halle den Frühstückstisch gedeckt, und erst nach dem Essen eröffnete er mir, dass der fingierte Diebstahl Teil einer von ihm selbst angeordneten Strategie sei, und er bat mich um Entschuldigung. Da bot ich ihm an, die Klage zurückzunehmen, damit er sich nicht öffentlich dazu bekennen müsste. Ich tat es von mir aus, ohne dass er mich gedrängt hätte. Ich tat es – nun ja, aus Liebe zu ihm. Denn ich liebte ihn, und ich liebe ihn immer noch, auch wenn mir schon in jener Stunde klar war, dass unsere Beziehung nur von kurzer Dauer sein würde. „Wir werden die Entlassung zurücknehmen,“ sagte er und nahm dabei meine Hand, „aber ich denke, es wäre nicht gut, wenn du an diesen Arbeitsplatz zurückkehrst. Und ich möchte den Marktleiter nicht entlassen, er hat eine Familie, und er hat nur auf Weisung gehandelt. Aber ihr beide in einem Geschäft, das wäre auch für dich sicher unerträglich. Du solltest erst einmal ein paar Tage Urlaub machen – und ich lade dich dazu ein. Danach sehen wir weiter.“

      Und so kam es zu diesen wunderbaren gemeinsamen Tagen in der sommerlichen Schweiz, von denen niemand etwas erfahren sollte. Und so kam es, dass ich bald darauf die Leitung jenes neu eröffneten Marktes übernahm, der für ihn, wie er bei der Einweihung sagte, eine ganz besondere Bedeutung hätte: „Dieser Markt, wenn auch neu errichtet, steht auf einem denkwürdigen Platz. Hier, damals auf einem leergeräumten Trümmergrundstück, hat Wilhelm August Gamesch 1948 in einer Baracke sein erstes Geschäft im Westen Deutschlands eröffnet, hier hat meine leider so früh verstorbene Mutter ihre Lehrzeit verbracht, hier ist die Wiege von GiGa! Und ich vertraue sie jetzt einer Frau an, die durch ihre Tapferkeit, ihren Mut und ihre Entschlossenheit, wenn es um das Wohlergehen meiner Mitarbeiter geht, gezeigt hat, dass GiGa auch in Zukunft wegweisend sein wird für kundenfreundliches, mitarbeiterorientiertes und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften.“

      Das waren seine Worte – und jeder wusste, dass es nur Sprechblasen waren. Ich auch. Aber es waren die Worte eines Mannes, mit dem mich vieles verband, und der für mich immer jener zartfühlende, sanfte, verständnisvolle Liebhaber bleiben wird. Nennt es Verrat, ihr habt aus eurer Sicht sicher recht. Aber was ist solch ein Verrat, wenn ich sonst meine Liebe verraten hätte!

      ZWEITER TEIL: ENKIDU – 1. KAPITEL

      Gilbert Gamesch war, so scheint es, auf dem Scheitelpunkt seiner Erfolge. GiGa, sein Werk, war deutschlandweit die größte und auch erfolgreichste Handelskette, sowohl was die Höhe des Umsatzes als auch die Zahl der Märkte betraf. Der Plan einer Übernahme eines weiteren Konkurrenten hätte mit Sicherheit den Widerspruch des Kartellamtes zur Folge gehabt. Und eine Ausweitung in die europäischen Nachbarländer hinein hielt er – über das bislang Erreichte hinaus – für wenig erfolgversprechend. Nein, für ihn war alles erreicht, wenigstens auf dem Sektor des Einzelhandels. Dabei war Gilbert noch nicht einmal vierzig Jahre alt. Auch wenn seine Mutter ihm ein wenigstens regional führendes kleines Imperium hinterlassen hatte, an dem er doch auch schon mitwirken konnte – den eigentlichen Konzern, die unerreichte Bedeutung des Namens GiGa, zusammengezogen aus seinen beiden Namen, hatte allein er erreicht.

      Es begann ihn zu langweilen, nur noch hier und da einen neuen Markt zu eröffnen, einen Einkaufspreis um weitere Prozente zu drücken, den Gewinn um einige Millionen zu steigern. Das war alles kleinlich und seiner unwürdig in seinen Augen, und dafür hatte er seine Leute, die es schließlich gut gelernt hatten unter seiner Anleitung. Allein den Multimillionär zu spielen, mit seinem Reichtum zu protzen, sich mit ständig wechselnden Gespielinnen zu umgeben, die er im Grunde nur den sensationshungrigen Medien zum Fraß vorwarf – das war keine Lebensaufgabe, die ihn wirklich reizen oder gar befriedigen konnte. Es schien niemanden mehr zu geben, mit dem ein Kampf sich lohnen würde, den er in die Knie zwingen könnte. Ja, so schien es.

      Doch da geschah das Unerwartete, das Unwahrscheinliche, das Ungeheuerliche: Wie aus dem Nichts trat plötzlich jemand zu diesem Kampf an, ein Newcomer, ein Nobody, ruppig, aggressiv, rücksichtslos, brutal – zunächst im süddeutschen Raum, den GiGa noch nicht flächendeckend erobert hatte, dann aber zunehmend nach Norden vordringend, den mächtigen Konkurrenten offen herausfordernd. Niemand wusste, wer dieser Nicolas Kidou war. Dass er eine regionale Ladenkette, lange in Familienbesitz und entsprechend schlecht finanziell ausgestattet, kurz vor der Insolvenz übernahm, interessierte nur die lokale Presse. Über die Herkunft des dafür nötigen Kapitals wurde nur spekuliert, man vermutete irgendwelche US-amerikanischen Investmentfonds dahinter. Aber warum setzten sie gerade auf diesen unbekannten Unternehmer, der noch nicht einmal eine Lehrzeit bei einem der Großen der Branche vorweisen konnte?

      Doch es sollte sich bald herausstellen, dass sie den richtigen Mann förderten. Binnen kurzem schrieb die Kette wieder schwarze Zahlen, und das mit gutem Grund: Dem Personal wurde gekündigt, Nicolas Kidou bot den Gefeuerten die Neueinstellung zu wesentlich niedrigen Löhnen an und hatte damit Erfolg. Die Warenpalette wurde rigoros zusammengestrichen, dafür sanken die Preise. Hatten die drei großen Handelsriesen, die sich den Markt weitgehend geteilt hatten, zunehmend auf Eigenprodukte gesetzt, um Niedrigpreise durchhalten zu können, praktizierte Nicolas Kidou genau das Gegenteil: Er bot Markenartikel an, und doch konnte er dank zäher Verhandlungen mit den Produzenten billiger verkaufen als die Konkurrenz. Dennoch kaufte er in erstaunlichem Tempo immer weitere unrentabel gewordene regionale Filialisten auf, man sagte ihm bald nach, er würde an jedem Tag einen neuen Markt eröffnen.

      Längst war auch Gilbert Gamesch hellhörig geworden. Was er in Erfahrung brachte, war beunruhigend: Dieser Nicolas Kidou schien nicht nur ein besonderes Geschick bei der Beschaffung des erforderlichen Kapitals zu besitzen, er war ein unbamherziger Antreiber, was seine Beschäftigten anging. Geringe Löhne und eine möglichst geringe Zahl von Angestellten, dafür hohe Anforderungen an die Arbeitskraft und rigoros durchgesetzte Entlassungen, wenn die Leute nicht spurten. Das geltende Arbeitsrecht wurde von ihm so ausgelegt, wie es seiner Firmenphilosophie entsprach, Klagen vor den Arbeitsgerichten nahm er dafür in Kauf. Strafen für unlauteren Wettbewerb ließen ihn kalt. Unterm Strich zahlte sich die Praxis aus für ihn. Die gegen ihn gerichteten Urteile kamen ihn jedenfalls billiger als wenn er immer den Gesetzen entsprechend verfahren wäre.

      Bald war der Name Nicolas Kidou im Land bekannt: Bei den Konsumenten als günstige Einkaufsadresse, bei den Gewerkschaftern als Ausbeuter, bei Erzeugern als Erpresser und bei den Konkurrenten als gefährliche Bedrohung. Kritische Leitartikler und politische Magazine fielen über ihn her, aber sein Umsatz stieg von Monat zu Monat. Einzig die Regenbogenpresse fand keinen Zugang zu ihm: Keine Interviews und keine Homestories, auch die investigativsten Klatschreporter konnten nichts Bedeutsames in Erfahrung bringen. Als Privatperson blieb Nicolas Kidou ein Unbekannter, ein Phantom – keine Skandale, keine Frauengeschichten, auch keine Männergeschichten, kein privater Luxus. Nicolas Kidou schien ein Besessener zu sein, ein asketischer Kapitalist. Nicht einmal Bilder kursierten von ihm, sieht man von ein paar mühsam herausvergrößerten Fotos ab, die bei den wenigen offiziellen Anlässen entstanden waren, auf denen er sich dennoch gekonnt hinter anderen versteckte. Doch das Geheimnis um seine Person machte ihn nur umso interessanter für die Öffentlichkeit – ihn und sein neu entstandenes Imperium.

      KAPITEL 2

      Es lag lange zurück, dass Gilbert ihre Dienste in Anspruch genommen hatte. Er hatte es nicht nötig, für etwas zu zahlen, was er jederzeit umsonst haben könnte. Doch jetzt ging es um


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