Freudvoller Weg. Geshe Kelsang Gyatso
Читать онлайн книгу.ob er mit unserer eigenen Erfahrung übereinstimmt und ob sein Ziel erstrebenswert ist. Wenn wir einmal ein sicheres Verständnis der Bedeutung des Dharma und Vertrauen in seine Verlässlichkeit erlangt haben, sind wir bereit, Meditation zu praktizieren.
Es gibt zwei Arten der Meditation: analytische Meditation und verweilende Meditation. In der analytischen Meditation führen wir eine zielgerichtete Untersuchung oder Überlegung über ein Objekt durch, analysieren seine verschiedenen Aspekte und untersuchen es von verschiedenen Standpunkten aus. Wir benutzen unsere Vorstellung, Achtsamkeit und logisches Denkvermögen, bis kraft unserer Untersuchung in unserem Geist ein besonderer Gedanke oder ein besonderes Gefühl entsteht und sich unser Geisteszustand verändert. Wie wir sehen werden, gibt es verschiedene Arten von Objekten. Manche, wie Unbeständigkeit oder Leerheit, sind Objekte, die vom Geist erfasst werden. Andere wie Liebe, Mitgefühl, Entsagung oder der Entschluss, sich in reiner Weise auf unseren spirituellen Meister zu verlassen, sind eigentliche Geisteszustände. Wir üben solange analytische Meditation aus, bis das besondere Objekt, das wir suchen, unserem Geist deutlich erscheint oder bis der besondere Geisteszustand entsteht, den wir erzeugen wollen.
Wenn wir zum Beispiel darüber meditieren, wie man sich auf einen spirituellen Meister verlässt, betrachten wir die verschiedenen Vorteile, die uns unser Vertrauen bringt, die Gefahren, die ein Verpflichtungs- und Vertrauensbruch schafft, und die verschiedenen Möglichkeiten, wie wir uns vertrauensvoll in Gedanken und Taten auf unseren spirituellen Meister verlassen können. Durch die Kraft dieser analytischen Meditation entwickeln wir den festen Entschluss, uns von ganzem Herzen auf unseren spirituellen Meister zu verlassen. Wenn dieser Entschluss klar und eindeutig in unserem Geist entsteht, haben wir unser Objekt der verweilenden Meditation gefunden.
In der verweilenden Meditation konzentrieren wir uns einsgerichtet auf ein tugendhaftes Objekt, ohne dass wir uns durch Ablenkungen in unserer Konzentration stören lassen. Das Objekt der verweilenden Meditation kann jedes tugendhafte Objekt oder ein besonderer Gedanke oder ein Gefühl sein, das durch die Kraft der analytischen Meditation in unserem Geist hervorgerufen wird. In der verweilenden Meditation halten wir dieses tugendhafte Objekt, diesen Gedanken oder dieses Gefühl, bis es anfängt, schwächer zu werden; dann führen wir erneut unsere analytische Meditation aus, um das Objekt wieder klar oder deutlich werden zu lassen. Es ist, als ob wir ein Feuer mit einem Blasebalg anfachen: Irgendwann ist das Feuer stark genug und wir können den Blasebalg weglegen und das Feuer brennen lassen. Genauso kommt die Zeit, in der wir die analytische Meditation beenden und die verweilende Meditation zum Zuge kommt. So wie das Feuer allmählich wieder schwächer wird, sodass wir erneut den Blasebalg benutzen müssen, so wird auch das Objekt unserer verweilenden Meditation allmählich schwächer werden, sodass wir wieder die analytische Meditation anwenden müssen.
Je Tsongkhapa sagte, dass Meditierende diese zwei Arten der Meditation verbinden sollten, weil eine gute analytische Meditation zu einer guten verweilenden Meditation und eine gute verweilende Meditation zu einer guten analytischen Meditation führt. Selbst wenn das Objekt der verweilenden Meditation nicht schwer zu finden oder im Geist hervorzurufen ist, müssen wir diese zwei Arten der Meditation verbinden. Wenn wir beispielsweise eine verweilende Meditation über unseren Atem ausführen wollen, müssen wir diesen zuerst untersuchen, um unser Meditationsobjekt klar zu identifizieren. Wenn unsere Untersuchung dazu führt, dass das Objekt unserem Geist deutlich erscheint, stabilisieren wir diese Erscheinung durch verweilende Meditation. Objekte wie Leerheit oder Bodhichitta sind schwerer zu finden, und deshalb müssen wir eine ausführlichere analytische Meditation durchführen. Doch der Vorgang der abwechselnd analytischen und verweilenden Meditation bleibt gleich.
Analytische Meditation lässt das Objekt unserem Geist klar oder deutlich erscheinen und verweilende Meditation lässt unseren Geist mehr und mehr mit dem Objekt vertraut werden, sodass sich schließlich der Geist und sein Objekt vermischen. Wenn wir beispielsweise eine analytische Meditation über die Leiden aller Lebewesen durchführen, wird Mitgefühl in unserem Geist deutlich entstehen. Wenn dies geschieht, führen wir die verweilende Meditation aus, um unseren Geist mehr und mehr mit Mitgefühl vertraut zu machen. Schließlich wird sich unser Geist mit Mitgefühl vermischen. Das bedeutet nicht, dass von nun an Mitgefühl das einzige Objekt unseres Geistes ist, sondern dass Mitgefühl untrennbar von unserem Geist geworden ist, und so wird unser Geist in allen unseren Gedanken und Handlungen niemals ohne Mitgefühl sein.
Zu Beginn ist unsere verweilende Meditation sehr schwach und wir sind kaum fähig, unser Objekt für mehr als einen Moment zu halten. Wenn wir unser Objekt verlieren, müssen wir zur analytischen Meditation zurückkehren, bis das Objekt wieder klar wird, und dann bemühen wir uns erneut, das Objekt zu stabilisieren. Wir müssen diesen Prozess ständig wiederholen. Weiter unten wird im Einzelnen erklärt, wie die Kraft unserer Konzentration verbessert wird.
Da mit wenig Erfahrung in Meditation die meisten Probleme durch Überanstrengung in der verweilenden Meditation entstehen, ist es wichtig, maßvoll zu sein und nicht durch zu großen Druck verkrampft zu werden. Unser Bemühen sollte entspannt und stetig sein, und wann immer wir müde werden, sollten wir uns ausruhen.
Die Praxis der Meditation ist sehr umfassend. Sie beinhaltet nicht nur, sich mit gekreuzten Beinen hinzusetzen und formelle Sitzungen auszuführen. Selbst wenn unsere verweilende Meditation schwach ist, können wir jederzeit analytische Meditation praktizieren. Wenn wir jetzt beispielsweise eine Pause machen, um über einige der gelesenen Punkte gründlicher nachzudenken, stellen wir vielleicht fest, dass uns unsere Überlegungen ganz natürlich zu einer analytischen Meditation führen, während wir in unserem Sessel sitzen. In ähnlicher Weise können wir analytische Meditation ausführen, während wir gehen, reisen oder einfache Handarbeiten ausführen.
Was ist das Ziel der Meditation? Durch analytische Meditation werden wir unser Objekt deutlich wahrnehmen, um dann durch verweilende Meditation tiefere Ebenen der Erfahrung oder Verwirklichung zu erlangen. Der Hauptzweck aller Lamrim Meditationen ist, unseren Geist in den Pfad zur Erleuchtung umzuwandeln, indem die höchsten Ebenen der Verwirklichung erreicht werden. Das Zeichen, dass wir eine vollkommene Verwirklichung irgendeines Objekts gewonnen haben ist, dass keine unserer nachfolgenden Handlungen unvereinbar damit ist und alle Handlungen sinnvoller werden. Wenn wir beispielsweise eine vollkommene Verwirklichung von Mitgefühl erlangt haben, werden wir nie wieder fähig sein, absichtlich irgendeinem anderen Lebewesen Schaden zuzufügen, und alle unsere nachfolgenden Handlungen werden durch Mitgefühl beeinflusst sein.
In den nachfolgenden Erklärungen werden Grundzüge und Anleitungen zu den analytischen Meditationen vermittelt und die Objekte der verweilenden Meditation aufgezeigt. Diese Unterweisungen sollen im Sinne von Richtlinien verstanden werden. Wir sollten unsere eigene Weisheit benutzen und in der Art und Weise, wie wir die gegebenen Ratschläge anwenden, flexibel sein. Jedes Mal wenn eine Gedankenfolge für unsere analytische Meditation präsentiert wird, sollten wir zuerst darüber nachdenken, wo uns diese Gedankenfolge hinführen will. Dann werden uns ganz natürlich eigene Gedanken, Gefühle und Erinnerungen einfallen, die uns in die gleiche Richtung führen. In achtsamer Weise verwenden wir unsere eigenen Gedanken und Erfahrungen, um unsere Meditation zu stärken, während wir darauf achten, belanglose Gedanken und Erinnerungen zu vermeiden.
Da es das Ziel der Lamrim Meditation ist, persönliche Erfahrungen aller Stufen des Pfades zur Erleuchtung zu gewinnen, werden sowohl verschiedene Arten von Begründungen und Gedankenfolgen als auch Hinweise und Beispiele aus den Schriften dargelegt, die wir berücksichtigen können. Die Begründungen werden nicht nur gegeben, um etwas zu beweisen. In der Tat sind viele der Punkte, über die wir meditieren, offensichtlich und müssen nicht bewiesen werden. Wir meditieren zum Beispiel darüber, dass der Zeitpunkt des Todes ungewiss ist, aber wir müssen dies nicht logisch beweisen, da jeder weiß, dass der Zeitpunkt des Todes ungewiss ist. Dennoch ist es eine Sache, rein intellektuell zu wissen, dass etwas wahr ist, eine ganz andere aber, eine persönliche Erfahrung dieser Wahrheit zu haben. Jeder weiß, dass der Zeitpunkt des Todes ungewiss ist. Doch wie viele Menschen leben ihr Leben so, dass sie niemals unter dem Einfluss der Annahme «Ich werde heute nicht sterben» handeln oder denken? Die meisten von uns handeln oder denken größtenteils so, als ob sie nicht sterben müssten. Folglich sind wir erschüttert, bekümmert oder wütend, wenn uns der Tod ereilt, als ob etwas Unnatürliches geschehen würde oder etwas, von dem wir noch nie gehört haben.