Sexy Zeiten - 1968 etc.. Stefan Koenig

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Sexy Zeiten - 1968 etc. - Stefan Koenig


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beweis es in reagenzgläsern

       ich schreib es heimlich an die klassentafel

       ich träume nachts davon und werde feucht

       ich liebe dich

       ich tue alles für dich

       ich spüre es bei deiner zärtlichen umarmung ich schmecke es bei deinem kuss

       ich höre es aus deinen sanften worten

       ich rieche es an deinem aufregenden körper ich seh es in deinen wunderschönen augen

       du liebst mich

       du tust alles für mich

      Amy und ich verbrachten noch eine romantische Nacht bei Kerzengeflacker und O-Saft. Aber morgens um halb Fünf war für Amy die Nacht zu Ende. Dann schlich sie sich durch den Hintereingang aus unserem Haus, musste fünfzehn Minuten nachhause laufen, um sich heimlich in ihr Zimmer zum Restschlaf einzuschleichen. Ihre Schwester wusste Bescheid und hielt zu ihr.

      „Mach ihr bloß kein Kind!“, hatte sie mir mal beiläufig gesagt. Aber es klang gar nicht beiläufig, sondern echt besorgt. Beide Mädels wussten von ihrer Mutter, was es bedeutete, zu früh und alleinerziehend ein „uneheliches“ Kind in die Welt zu setzen. Es bedeutete nicht nur ein Leben in Armut, sondern auch eine fühlbare Ächtung von Mutter und Kind durch Verwandte, Nachbarn, Vorgesetzte. Nichts war schlimmer für das gute alte Bürgertum als eine unverheiratete Frau mit einem unehelichen Balg.

      *

      Oberstudienrat Cornelius brachte uns gutes Deutsch bei, zweifellos, aber Phantasie konnte er uns nicht leh­ren. „Da müssen Sie sich schon selber etwas einfallen lassen!“, gab er uns bei freien Aufsätzen den Rat. Bis-her hatte ich immer Einser geschrieben, doch mit den freien Aufsätzen, die mir eine wahre Lust waren, erhielt ich von Cornelius „widerwillig“, wie er betonte, meine erste doofe Zwei, weil ich keinen Anfang und kein Ende finden könne.

      Ich war äußerst kreativ und erfand die ungewöhnlichsten Geschichten. Da übernahmen Jugendliche wie wir die Macht im Staat und wählten ihren eigenen Bundespräsidenten und einen jugendlichen Kanzler, beides waren selbstverständlich Männer, denn Frauen waren an dieser Stelle noch völlig undenkbar. Später jedoch würden selbst diese Figuren – so schrieb ich im Aufsatz – abgeschafft, weil in einer gewaltfreien Gesellschaft keine solch wichtigtuerischen Amtsträger nötig sind. Das, so fand der Herr Oberstudienrat, gehe über die Realität weit hinaus, dann könnte ich ja gleich vom Paradies schreiben. Was ich im nächsten freien Aufsatz auch machte. Da bekam ich eine Vier, weil „Thema verfehlt“.

      *

      Fast ein Jahr nach meinem Austritt aus der Nachwuchsorganisation der CDU klingelte es nachmittags an der Tür. Lollo öffnete und rief: „Stefan, für dich!“

      Flugs kam ich aus meinem Kellerloch hoch und stand zwei unbekannten Jünglingen gegenüber. Erst hatte ich den Eindruck, die Zeugen Jehovas hätten ihre Propagandatrupps enorm verjüngt, dann aber dämmerte es mir, als ich das Abzeichen auf ihren Anzugrevers sah. Beide waren in meinem Alter, einer im grauen und der andere im dunkelblauen Anzug. Sie sahen aus wie Mamasöhnchen, die stets ihren Spinatteller brav aufaßen. Der etwas größere stellte sich als der neue JU-Vorsitzende vor, der andere sei sein Stellvertreter, und sie wollten gerne noch mal mit mir wegen der Mitgliedschaft in der Jungen Union sprechen. Man könne die Mitgliedschaft ja ruhen lassen, wenn ich derzeit wegen der Schule viel zu tun habe.

      Ich hatte eigentlich keinen Bock auf großartige Diskussionen, und fragte sie ganz einfach, was sie von den amerikanischen Bombenteppichen über Vietnam hielten. Die beiden guckten erst etwas verdattert, dann beteten sie das herunter, was ihnen als brave Untertanen ihre Alten eingetrichtert hatten. „Amerika verteidigt dort die Freiheit gegen den Sozialismus“, sagte der Größere.

      „Das müsstest du doch wissen!“

      „Und wer hat die Amerikaner gerufen?“, fragte ich. „Vielleicht wollen ja die Vietnamesen den Sozialismus.“

      „Es geht ja darum, dass der Kommunismus die ganze Welt beherrschen will.“

      „Das will doch der Kapitalismus auch“, sagte ich. „Und überhaupt: Was ist denn der Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus?“ Ich hoffte, sie würden mich nicht dabei erwischen, dass ich es selbst nicht zu erklären wusste. Das einzige, worüber ich mir im Klaren war, war die Unmenschlichkeit dieses Krieges im Namen von Freiheit, Menschenwürde und anderen unehrlichen Floskeln.

      „Ich glaube, du stehst nicht mehr auf unserer Seite“, meinte der Wortführer.

      „Christen sollten für den Frieden sein. Auf dieser Seite bin ich. Aber ihr seid mir wirklich zu unkritisch. Es tut mir leid.“ Damit ließ ich sie vor der Tür stehen und diese ins Schloss fallen.

      Auch das also waren meine Altersgenossen, nicht wenige, die immer noch wie in den vergangenen Jahrzehnten die ewig alte Leier ihrer alten Herren herunterbeteten. Egal was und wie es aus ihrem Mund kam, es klang stets nach abgestandenem, langweiligem und durchaus stupidem Gesülze. In den Ohren von uns, die wir aus dem Tiefschlaf der Republik aufgewacht waren, klang es einfach nur unerträglich und auch ein wenig widerlich. Waren das nicht Verräter an unserer Jugend? Kleideten sich wie die alten Säcke, trugen den uralten Fassonschnitt! Verhielten sich wie die Alten und verleugneten ihr Jungsein, unfassbar!

      Draußen hörte ich die Miele heranknattern. Das Motorradgeräusch war unverkennbar. Mein Vater kam entweder von seinem Büro, von einer seiner Baustellen, oder aber vom geliebten Sportplatz oder vom geheiligten Kleingarten nachhause.

      Ratter ratter töff töff ratter.

      „Was waren denn das für zwei geschniegelte Furzwürfel?“, fragte Otto. „Klassenkameraden?“

      „Nee, die sind von der Jungen Union und wollten mich wieder als Mitglied gewinnen.“

      „Ach, gar nicht mitgekriegt, dass du da nicht mehr bist. War da was?“

      *

      Mein Vater hatte mich mit Vierzehn problemlos zur JU gehen lassen, obwohl er nicht viel von den „verschlagenen CDU-Katholiken in der Union“ hielt. Auch meine Mutter hatte nichts gegen meine Mitgliedschaft eingewandt, das hätte auch total ihrer libertär-schwäbischen Einstellung widersprochen. Ich hatte beiden „vergessen“ zu sagen, dass ich aus dem Verein ausgetreten war.

      Diese Vergesslichkeit bescherte mir immerhin einen zusätzlichen freien Abend in der Woche, an dem ich mich im Club Voltaire mit wirklich philosophischen und tiefschürfenden Fragen auseinandersetzen konnte. Fragen zum Beispiel, die der Bedeutung des G-Punkts bei der Befreiung von der sexuellen Unterdrückung durch die bourgeoise Gesellschaft gewidmet waren. Oder Fragen zur Rolle der Lyrik im Befreiungskampf Lateinamerikas gegen die amerikanischen Bananenkonzerne.

      Ich brauchte diese Widersprüche und Diskussionen. Nur der ausformulierte Gedanke im Wettstreit mit anderen Gedanken war für mich von Bedeutung. Vom Einheitsgestammel vorgefertigter Parteireden hielt ich nichts mehr. Die Zeit war abgelaufen. Ich war fast erwachsen geworden.

      Vielleicht wäre ich an jenem Nachmittag gegenüber meinen Ex-Verbündeten verbindlicher gewesen, hätte versucht, sie zu überzeugen, wenn ich nicht gerade zuvor in der Schule ein Referat zum Vietnamkrieg gehalten hätte. Da hatten mir sogar mal unsere vier konservativen Superschleimer und auch die beiden Klassenstreber respektvoll applaudiert: „Die Vereinigten Staaten verteidigen in Südvietnam einen Staat, der nicht mehr existiert, und ein Volk, das sich nicht mehr verteidigen will. Jahrelang immer mehr von Krise zu Krise taumelnd, scheint Südvietnam in Anarchie zu versinken. Für die Verteidigung dieses Gebildes hat Amerika ein rotierendes Expeditionskorps mit mehr als 500.000 GIs eingesetzt. Diesem Truppenaufgebot stehen 1,5 Millionen


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